DER HITLER-VERGLEICH VON HERTA DÄUBLER-GMELIN IST UNSINN: Populismus will gelernt sein
Herta Däubler-Gmelin gilt in ihrer Heimatstadt Tübingen als „Schwertgosch“. Was sie allerdings anlässlich einer Wahlversammlung in der Derendinger Sportgaststätte zum Besten gab, war überhaupt nicht scharfzüngig, sondern platt gewalzter Unsinn. Kann man sagen, Bush verfolge die gleichen Methoden wie Hitler, wenn er durch kriegerische Aktionen im Ausland von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken wolle? Wer auch nur eine schwache Ahnung von der Geschichte Nazideutschlands hat, der weiß, dass Hitler seine Angriffskriege nicht vorbereitet und geführt hat, weil er sonst der inneren Widersprüche in Deutschland nicht Herr geworden wäre. Die deutsche Aufrüstungspolitik, die mit ihr verbundene Konjunktur, der Rückgang der Arbeitslosigkeit – all dies stieß auf breiten Konsens in der deutschen Bevölkerung.
Aber erfüllte Herta Däubler-Gmelins Vergleich wenigstens den politischen Zweck, das Herz des sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Publikums zu erwärmen, das auszusprechen, was viele fühlen, sich aber nicht zu sagen trauen? Auch linker Populismus will gelernt sein. Er muss sich auf eingeschliffene Vorurteile stützen. Zweifellos gibt es viele Menschen in Deutschland, die Bush als Kriegstreiber ansehen – für diese Haltung gibt es gute Gründe und sie hat überhaupt nichts gemein mit „antiamerikanischen“ Stereotypen. Die imperiale Kriegspolitik der USA wird aber in der deutschen Öffentlichkeit in keiner Weise mit Hitlers Vernichtungs- und Ausrottungskriegen in Verbindung gebracht. Der populistische Vorstoß der Justizministerin geht ins Leere.
Hitler- und Faschismus-Vergleiche haben nichts dazu beigetragen, die Luftangriffe auf Jugoslawien zu legitimieren. Genauso wenig wie sie dazu beitragen, der notwendigen Abgrenzung von der Politik der Bush-Administration zusätzliches Gewicht zu verleihen. Für populistische Manöver sind sie untauglich. Besser unterlassen. CHRISTIAN SEMLER
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