D’Angelo in Berlin: Unnachgiebig, präzise, das Herz klopft
„Black Messiah“: Flankiert von seiner Band The Vanguard gibt der Sänger D'Angelo ein triumphales Konzert mit der Dramaturgie eines Gottesdienstes.
Am Anfang ist Groove. Ist Soul, ist Funk. Uncle Jam wants you: Das Gesetz der Schwerkraft wirft dich zu Boden, saugt dich an wie ein schwarzes Loch und transportiert dich auf der eins von vier Takten zum Kern der Geschichte. Down with the Groove. Bum, zwei, drei, vier, bum, zwei, drei, vier. Der Beat ist runtergestrippt bis auf die Knochen, bum, zwei, drei, vier. Kick, Snare, Hihat. Bum, zwei, drei, vier. Unnachgiebig, präzise: Atomuhr. Einatmen, Atem anhalten.
In den Breaks entlädt sich all die elektrisch aufgeladene Spannung. Es kitzelt im Nacken, rinnt die Wirbelsäule runter. Bum, zwei, drei, vier. Das Herz klopft. Du bist lebendig. Die Pobacken lachen über beide Ohren. Der Körper entkrampft, wird geschmeidig. Wohin du blickst, Menschen sind im Groove frohen Mutes, sie tanzen, nicken zum Bum-zwei-drei-vier. Umarmen sich, werfen die Hände in die Luft. Kreischen, pfeifen, singen mit. Samstagabend, du bist auf dem ausverkauften Konzert von D’Angelo in der Berliner Columbiahalle und, Ladies and Gentlemen, das gibt es nicht alle Tage; im Showbusiness schon gar nicht.
D’Angelo wird flankiert von seiner achtköpfigen Band The Vanguard, fünf Musikern und drei Sängern. Eine davon rechts außen, Kendra Foster, die die Songs von D’Angelos neuem Album zusammen mit ihm komponiert hat. Am Schlagzeug John Blackwell, der sonst für Prince spielt. Der Reigen beginnt mit „Prayer“ vom neuen Album „Black Messiah“, zu hören ist die Stimme eines Gospelpredigers in einem Gewitter.
Und das Konzert entwickelt selbst die Dramaturgie eines Gottesdienstes, D’Angelo reizt das Publikum mit Call-&-Response-Spielen, gelegentlich funktioniert seine ausdrucksstarke, an den Southernsoul-Sänger Al Green gemahnende Stimme allein auf der Basis vom Begleitgesang des Publikums. Wahnsinn.
Als Kollektiv handeln, als wären wir alle Anführer
Ziemlich am Anfang spielt er auch den Song „1000 Deaths“ (vom neuen Album), der einen Filmausschnitt aus dem Dokumentarfilm „The Murder of Fred Hampton“ verwendet. Mit Bedacht ausgewählt von D’Angelo, Hampton war ein Mitglied der Black Panthers, der 1969 mit 99 Schüssen von der Polizei in seinem Schlafzimmer in Chicago getötet wurde. Ein begnadeter Redner, schlau, charismatisch, der die Black Community organisieren konnte. Am Ende des Songs ballen D’Angelo und die drei Sänger ihre Fäuste, als Bezugnahme auf eine ikonische Solidaritätsgeste dreier US-Sportler bei der Sommerolympiade 1968 für die Black Panthers.
„ ’Black Messiah‘ handelt nicht von einem Anführer, es evoziert eine Gefühlswelt, dass wir als Kollektiv handeln müssen, als wären wir alle Anführer.“ Schreibt D’Angelo im Booklet seines neuen Albums als Antwort auf die rassistisch motivierte Polizeigewalt (etwa in Ferguson) gegen Schwarze, die vergangenes Jahr in den USA zu landesweiten Protesten geführten hat. Grund auch, warum D’Angelo das Album noch im Dezember veröffentlich hat. In der TV-Show „Saturday Night Live“ trug er kürzlich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I can’t breathe“.
Am Samstagabend in Berlin gab es öfter Kostümwechsel. Mal im roten Umhang, mal in Lederjacke mit Stars-&-Stripes-Flagge: Uncle Jam wants you. D’Angelo und the Vanguard stehen zusammen in einer Linie auf der Bühne. D’Angelo geht immer wieder nach vorn, reiht sich ansonsten ein, spielt Gitarre, E-Piano, singt. Es ist keine Soloshow, er ist nicht nur Sänger, er hält die Band zusammen, genauso wie sie ihn.
Und D’Angelo wirkt glaubwürdig, weil er weiß, wie er singt, weil er weiß, wovon er singt. Bum, zwei, drei, vier. Ganz am Ende als zweite Zugabe performt D’Angelo „Untitled – How does it feel“ vom zweiten Album „Voodoo“. Ein Liebeslied, bei dem D’Angelo croont. Einer nach dem anderen verlassen die Musiker die Bühne. Der Bum-zwei-drei-vier schleicht aus. D’Angelo spielt weiter, singt weiter. Es ist ein Triumph.
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