Cumhuriyet Online-Chef wieder frei: „Sie halten uns für dumm“
Für einen Tweet seiner Zeitung wurde Oğuz Güven inhaftiert. Über die Einschüchterungstaktik und Doppelmoral der türkischen Justiz.
Der Aufenthalt in einem Gefängnis ist für Medienschaffende in der Türkei fast schon zu einer Referenz für guten Journalismus geworden. Oğuz Güven, Online-Chefredakteur der regierungskritischen Tagezeitung Cumhuriyet , der am Mittwoch aus der Haft entlassen wurde, hat sein „Pflichtpraktikum“ absolviert.
Am 15. Mai war er aufgrund eines Tweets, der über den Account der Cumhuriyet verbreitet wurde, festgenommen und der Terrorpropaganda beschuldigt worden. Nach 30 Tagen Haft kam er nun wieder frei. Die ersten Verhandlungen sollen im Herbst stattfinden.
Journalismus ist kein Verbrechen
Kurz nach seiner Freilassung sagte Güven gegenüber taz.gazete, mit den Festnahmen wollten die Behörden die Journalisten insgesamt einschüchtern. „In den Anklageschriften werden Medienschaffende als Putschisten oder Mitglieder einer Terrororganisation dargestellt. Wir sind Journalisten. Unseren Job zu machen ist kein Verbrechen“, so Güven.
1972 geborener Journalist. Nach Tätigkeiten für die Tageszeitungen Milliyet, Sabah und Cumhuriyet begann er als Reporter für die 'Zeitung Birgün zu arbeiten, wo er noch heute tätig ist. Acarer gewann 2016 den renommierten Metin Göktepe Journalistenpreis und 2017 den Preis für unabhängige Journalisten.
Er macht sich große Sorgen um die noch immer inhaftierten 160 Kolleg*innen verschiedener Medien. Mit einigen hat er sich denselben Hof im Gefängnis von Silivri geteilt, in dem auch Welt -Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert ist. „Ich habe sie zurückgelassen, daher kann ich nur eine schmerzliche Freude empfinden“, sagte er. „Sie alle kennen den wahren Grund ihrer Inhaftierung. Keiner von ihnen hat sich zur Stimme des Regimes instrumentalisieren lassen. Sie sitzen als politische Gefangene in Haft, dessen sind sie sich bewusst.“
Mit zweierlei Maß
Der 55-jährige Journalist ist inzwischen an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Die türkische Justiz messe mit zweierlei Maß, sagte er. „Es gibt Armeeoffiziere und andere politische Figuren, die der Gülen-Bewegung nahe – stehen und von der Justiz nicht so gründlich überprüft werden“, so Güven.
So sei zum Beispiel der Schwiegersohn des ehemaligen Regierungssprechers Bülent Arınç (bekannt für sexistische Äußerungen im Parlament, Anm. d. Red.), am 6. Juni wegen Verdachts der Mitgliedschaft der Vereinigung des Predigers Fethullah Gülen verhaftet und schon binnen zwei Tagen wieder entlassen worden, weil sein Auf – enthaltsort bekannt sei.
An der Schwelle zur Diktatur
Güven hält das für vorgeschoben: „Als ob die Aufenthaltsorte von Journalisten nicht bekannt seien. Ich lebe seit 55 Jahren am selben Ort. Diese Doppelmoral verletzt die Würde der Gesellschaft. Die AKP hält uns für dumm.“ In Anbetracht der aktuellen Situation sei die Türkei instabil geworden.
„Sie können kein Land regieren, in dem sie die Abgeordneten von 6 Millionen Wähler verhaften und Medien mundtot machen“, sagte Güven. Nachdem Politiker der prokurdischen HDP verhaftet wurden, seien nun auch Politiker der kemalistischen CHP ins Visier geraten: „Im 21. Jahrhundert sind diese Methoden der Repressionen nicht akzeptabel. Die Türkei befindet sich mit diesen Methoden an der Schwelle zu einem faschistischen System. Niemand sollte denken, dass es ihn nicht treffen könne.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!