Crosslauf-WM auf dem Museumsdach: Über der Moorleiche
Die Crosslauf-WM in Aarhus wurde als modernes Event organisiert. Der Parcours ging über Heuballen, Pfützen, Matschpassagen und ein Dach.
Von einem „Versöhnungstag“ schreibt der Onlinedienst Africa Tembelea. Versöhnt hatte sich Joshua Cheptegei mit sich selbst. Der Mann aus Uganda, von dem einmal das Geburtsjahr 1996, ein andermal 1992 kolportiert wird, hat an diesem Wochenende endlich erreicht, wofür er sein ganzes bisheriges Leben trainierte: Crosslauf-Weltmeister im Einzel und im Team.
Im dänische Aarhus hatte sich die Crosslauf-Weltspitze versammelt, wo die Veranstalter nicht nur auf platter Wiese mit allerlei Heuballen, Riesenpfützen und Matschpassagen, sondern sogar auf einem Museumsdach einen halbwegs anspruchsvollen Parcours über 10,24 Kilometer drapiert hatten. Gerade das schräge Dach stellte eine der schwierigsten Passagen dar.
Im Moesgaard-Museum liegt die Moorleiche des Grauballemannes, der sich, wenn er noch etwas merkte, über das Getrampel auf dem grasbewachsenen Dach gefreut haben dürfte. Endlich mal keine Tartanbahn, sondern Laufbedingungen fast wie im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung!
Cheptegei siegte nach 31:40 Minuten vor Jacob Kiplimo (auch Uganda) und Geoffrey Kamworor (Kenia). Und die „Versöhnung“ bestand darin, dass er, anders als vor zwei Jahren bei der WM im ugandischen Kampala, sich das Rennen gut eingeteilt hatte, nämlich diesmal Titelverteidiger Geoffrey Kamworor im richtigen Moment quasi stehen ließ. Damals hatte ein taktisch völlig falsch aufgestellter Cheptegei einen 60-Meter-Vorsprung verspielt und war nur 30. geworden.
In einem durchaus statistisch ausdrückbaren Sinne sporthistorisch ging es beim Frauenrennen in Aarhus zu: Hellen Obiri aus Kenia ist nämlich die erste Leichtathletin, die in Indoor, Outdoor und im Cross den WM-Titel holte: 2012 Hallenweltmeisterin über 3.000 Meter, 2017 5.000-Meter-Weltmeisterin im Stadion, und nun das Gold auf dem Museumsdach.
In der Tradition mittelalterlicher Berufsläufer
Die WM in Aarhus, die Erfolge von Obiri und Cheptegei und nicht zuletzt die Idee, das Museumsdach zu nutzen, könnten dazu beitragen, dass der traditionsreiche Crosslauf sich wieder neben der Stadionleichtathletik etablieren könnte. Während die nämlich nach den fetten Jahren der großen Abendfeste stagniert, kann ein Sport, der eindrucksvolle Fernsehbilder mit Naturhintergrund liefert, derzeit punkten. Das machen die Wasserspringer vor, die sich andere Lokalitäten als das örtliche Freibad suchen, und das haben in der Leichtathletik die Stadtmarathons bewiesen.
Crosslauf ist ja auch die älteste Form des Rennens unter Wettkampfbedingungen, und er steht auch in der Tradition der mittelalterlichen Berufsläufer, die Depeschen und Waren von einem Ort zum anderen transportierten. Dokumentiert sind die ersten Crosslauf-Meisterschaften im Jahr 1867, bis 1924 gehörte es auch zum olympischen Programm, mit der finnischen Lauflegende Paavo Nurmi als Doppelolympiasieger. Und dass man das, was früher Querfeldein hieß, auch im Stadion betreiben kann, wenn man nur genügend Hindernisse aufbaut, dürfte der massenmedialen Verwertbarkeit auch entgegenkommen.
An sportlicher Qualität mangelte es jedenfalls nicht, die Crosslauf-WM ist schon lange kein lästiger Zusatztermin für die Weltspitze mehr, wo sich noch irgendein Titel holen lässt. Der Auftritt von Hellen Obiri beweist das. Und dass die sich ein spannendes Duell mit der letztlich zweitplatzierten Äthiopierin Dera Dida lieferte, ist der zweite Beweis für diese These.
Aus Deutschland war nur die deutsche Meisterin Elena Burkard am Start. Mit Platz 23 von 118 Teilnehmerinnen war sie immerhin viertbeste Europäerin. Dass der Langstreckenlauf, auch wenn er über dänische Heuballen und Museumsdächer führt, weiter eine afrikanische Domäne bleibt, hat auch in Aarhus niemand irritiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos