Cream of Crime: Zug um Zug
■ Geoffrey Households Spionage-Thriller
Redet man mit Thriller-Autoren der reflektierten Sorte, wie Julian Rathbone etwa, über Bücher und writer's writer, fällt unweigerlich der Name Geoffrey Household: leuchtendes Beispiel dafür, wie man nackenhaarsträubenden suspense ohne Horror und großes Gemetzel erzeugt. Dabei hatte Household nur einen großen Buchmarkterfolg: „Einzelgänger, männlich“ – und das war schon 1938. Die Geschichte eines kernigen Briten, der auszieht, um Hitler zu ermorden, und dann selbst zum Gejagten wird, war so ausgefuchst gut, daß britische Geheimdienstkreise ernsthaft darüber nachdachten, den Attentatsplan in die Tat umzusetzen.
Household (1900–1988) selbst war inzwischen in eben diesen Kreisen gelandet. Als Mitglied des militärischen Geheimdienstes trieb er sich auf dem Balkan und in Nahost herum. Sein Leben vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte durchaus die Qualitäten eines Romans von ihm selbst oder Eric Ambler. Er war Bankier in Rumänien, Bananenhändler in Spanien, Handlungsreisender für Druckerfarben in Südamerika und Verfasser von Hörspielen in den USA. Er war, wie er sich selbst korrekt einschätzte, „ein britischer Gentleman ohne nationale Vorurteile“. Daß seine anderen Romane nie allzugroße Aufmerksamkeit erregt haben, ist zutiefst ungerecht.
„Augen im Dunkeln“ zum Beispiel hat einen wahnsinnigen Plot. Ein österreichischer Graf wird vom britischen Geheimdienst als Gestapomann ins KZ Buchenwald eingeschleust. Dort gelingt es ihm, unter höchster Gefahr und dank absolut klandestinen Verhaltens, wenigstens einige Leben zu retten. Schnitt. Nach dem Krieg lebt der Graf bestens getarnt und mit hieb- und stichfester Legende in England. Aus dem Top-Spion ist ein anscheinend harmloser, verschrobener Gelehrter geworden, der sich mit „kleinen Säugetieren“ befaßt, weil ihm, was Wunder, die größeren, zweibeinigen suspekt geworden sind. Aber plötzlich schwebt er in Lebensgefahr. Ein überlebender Kopf der französischen Résistance – adlig auch der – führt einen persönlichen Rachefeldzug gegen alte Nazi- Schergen. Von der wirklichen Rolle unseres Helden hat er keine Ahnung.
Dummerweise fliegt zuerst ein braver, unschuldiger Briefträger in die Luft. Das war der Sündenfall des Franzosen. Der österreichische Graf findet, daß sowas nicht angeht, und steigt in den Ring – die Herren Blaublüter treffen in der idyllischen englischen countryside zu einem atemberaubenden Duell aufeinander. Sie agieren wie zwei Schachspieler, die das Brett nicht sehen können. Sie sind sich fatal ähnlich, und sie gehorchen dem Kodex, der nicht mehr im geringsten in die Zeit (wir sind in den 50er Jahren) paßt.
Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht, weil Household die Regeln klar und deutlich in seine Prosa einflicht. Zug um Gegenzug, Rochade um Rochade setzt sich der Feinstmechanismus des Spiels in Gang. Households Dreh, das im Kampf gegen die Deutschen schwer verwüstete Seelenleben seiner Protagonisten mitzudenken und gleichzeitig die Denkbarrikaden der zählebigen britischen Klassengesellschaft polemisch zur Disposition zu stellen, bewahrt das Buch davor, zum bloß albernen muchomacho- Abenteuerspiel in Wald und Flur zu verkommen. Insofern ist es unfair, nur die suspense-Potenz von Households Romanen zu preisen. Aber, ach, diese Qualität überwölbt in der Tat alle anderen: Denn was Household aus kleinen, begrenzten Situationen machen kann (zwei Männer in einer stockdunklen Scheune zum Beispiel), ist oft kopiert und nie erreicht worden.
„Augen im Dunkeln“ ist eines der seltenen Bücher, die man zwanghaft zu Ende lesen muß, obwohl man tausend andere Dinge zu tun hätte. Sogar „wichtigere“. Thomas Wörtche
Geoffrey Household: „Augen im Dunkeln“. Roman. Deutsch von Andreas Vollstädt. Haffmans Verlag, Zürich 1999, 255 Seiten, 18,90 DM
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