Cream of Crime: Töten zum Lebensunterhalt
■ Ausweg aus der Simplizitätsfalle: Luis Sepúlvedas „Tagebuch eines sentimentalen Killers“
Einer alten Lebensweisheit zufolge liegen Sentimentalität und Terror nah beisammen. Es ist also nur plausibel, wenn man das „Tagebuch eines sentimentalen Killers“ vorgelegt bekommt. Es handelt sich dabei um eine längere Erzählung des Chilenen Luis Sepúlveda, der als prononcierter Kriminalliterat bisher nicht in Erscheinung getreten war. Jetzt hat er einen Doppelschlag gelandet. Denn neben jener längeren Erzählung gibt es auch einen kurzen Kriminalroman: „Die Spur führt nach Feuerland“.
Sepúlveda ist, wie wir aus seinen nichtkriminalen Werken wissen, ein sehr reflektierter Autor. Es überrascht also nicht, wenn Erzählung und Roman in diametralem Gegensatz stehen. Sie nähern sich der crime fiction aus zwei grundverschiedenen Richtungen: Das „Tagebuch“ ist ein „literarischer“ Text. Er basiert auf Literatur und Film und schert sich keinen Pfifferling um eine irgendwie dargestellte Realität. Die Sentimente unseres Killers ergießen sich in eine Form des 19. Jahrhunderts, eben ins Tagebuch. Die Figur des einsamen Spezialisten, der zum Lebensunterhalt andere Leute tötet und ansonsten ein kultiviertes Kerlchen ist, ist rein topisch – so wie Jeff Costello in Jean-Pierre Melvilles Klassiker „Der eiskalte Engel“ oder der anonyme Killer in Forsyth' Roman „Der Schakal“. Der Schakal scheiterte bekanntlich an seinem pathetischen Berufsethos, der „eiskalte Engel“ an einer schönen Frau. Beide hätten im Traum nicht daran gedacht, ihr Innenleben einem Tagebuch anzuvertrauen. Ihre Sentimente artikulieren sich in action. Das war Literatur pur. Sepúlveda nun setzt noch eine Metaebene drauf. Durch die Entsorgung der Sentimente ins Tagebuch bekommt der Killer plötzlich eine sehr plausible Realität. Er scheitert nämlich nicht an irgendwelchem pathetischen Fidelwipp. Er ist ausgesprochen „realitätstüchtig“ – herzlos und gemein. Und diesen Clou hat Sepúlveda rein literarisch hergestellt. In der „Spur nach Feuerland“ probiert er ein anderes kriminalliterarisches Prinzip. Hier will er eine Geschichte aus der Realität mit realistischen Mitteln erzählen. Alte Nazis und alte Stasis jagen hinter einem Schatz her. Die Jagd führt – na? – nach Feuerland. Weil die alten Knorpelspieße schon reichlich arthritisch sind, zwingen sie einen abgemusterten Ex-Guerillero aus – na? – Chile in ihre Dienste, der sich auf der Reeperbahn als Rausschmeißer verdingt und sich dabei mit Neonazis anlegt. Bald führt eine breite Blutspur via Santiago de Chile runter in die tierra del fuego. Das alles ist hart am Kitsch und hat kein literarisches Netz, in dem sich eine abstürzende Handlung notfalls auffangen ließe. Lediglich ein paar liebevoll gezeichnete Nebenfiguren und ein paar gelungen Dialogteile beweisen, daß wir keinen Billigschmöker mit unfreiwilligem Komikquotienten vor uns haben. Die Chronologie beider Bücher allerdings ist tröstlich: „Die Spur führt nach Feuerland“ ist der ältere Text. Ich kann nur spekulieren, ob Sepúlveda gemerkt hat, daß er mit der Erzählhaltung des gespielt naiven Realisten gestrandet ist, aber die radikale Änderung des Konzepts hin zum „Tagebuch“ scheint ein Indiz dafür.
Was lernt uns das? Daß crime fiction inzwischen viel zu elaborierte künstlerische Möglichkeiten hat, als daß man sich mit schlichten „Realismuskonzepten“ durchmogeln könnte. Sepúlveda hat, wenigstens für sich, den richtigen Ausweg aus der Simplizitätsfalle gefunden. Thomas Wörtche
Luis Sepúlveda: „Die Spur führt nach Feuerland“. Deutsch von Harry Stürmer. VLA Schwarze Risse, Berlin 1999, 198 Seiten, 26 DM
Luis Sepúlveda: „Tagebuch eines sentimentalen Killers“. Deutsch von Willi Zurbrüggen. Hanser Verlag, München 1999, 83 Seiten, 16,80 DM
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