Covid-19 in Gesundheitseinrichtungen: Corona-Hotspot Krankenhaus?
Multiresistente Keime, überlastete Krankenstationen: Was Kliniken gegen die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus tun.
Margit Tiel (Name geändert) leidet seit Jahren an einer chronischen Krankheit, muss deshalb immer wieder ins Krankenhaus. Anfang Januar ist es wieder so weit: Die Entzündungswerte der 81-Jährigen sind so hoch, eine Einweisung in die Klinik unumgänglich. Am 11. Januar wird sie mit einem Krankentransport ins örtliche Klinikum Gifhorn eingeliefert. Der Gifhorner 7-Tages-Inzidenzwert liegt da bei knapp 260. Der Landrat verkündet eine Ausgangssperre.
Es ist ihr Sohn, der die Geschichte von Margit Tiel erzählt. Natürlich habe es einen Coronatest gegeben, als Tiel in die Klinik kam. Der war negativ. Genau wie die Tests, die ihr häuslicher Pflegedienst regelmäßig machte. Und wie die, die die Kinder machten, bevor sie sie besuchten.
Margit Tiel erholt sich im Krankenhaus, steht kurz vor der Entlassung. Das Pflegestift, in dem sie danach vorerst bleiben soll, wartet nur auf den negativen Corona-Test. Doch der Test, der am 18. Januar in der Klinik eingeht, ist positiv. Tiel wird auf die Corona-Station verlegt. „Es war ganz klar, dass sie sich in der Klinik infiziert hat“, sagt ihr Sohn.
Kein Einzelfall. Immer wieder gab und gibt es Berichte über Corona-Ausbrüche in Kliniken. Da war im Frühjahr 2020 beispielsweise der Ausbruch in der Krebsabteilung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. 62 Menschen waren nach Klinikangaben infiziert, 11 Patient:innen starben.
Typische Krankenhausinfektionen
Als im Januar dieses Jahres bekannt wurde, dass im Berliner Vivantes Humboldt-Klinikum Menschen mit der besonders ansteckenden britischen Virusvariante infiziert waren, wurde für das Krankenhaus ein Aufnahmestopp verhängt. Und im Klinikum Region Hannover in Lehrte infizierten sich Ende Februar 23 Patient:innen und 18 Mitarbeiter:innen.
Die Frage, wie viele Menschen sich insgesamt in Krankenhäusern mit dem Coronavirus angesteckt haben, ist kaum zu beantworten. Zwar listet der tägliche Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) derzeit 10.912 Covid-19-Fälle und 2.162 Todesfälle für Personen auf, die in Kliniken betreut wurden.
Die Zahl ist jedoch eine Mindestangabe, weil bei vielen positiv Getesteten entsprechende Angaben fehlen. Unklar ist demnach auch, ob sich diese Menschen wirklich in der Klinik angesteckt haben. Gleiches gilt für Klinikpersonal, für das das RKI aktuell mindestens 27.658 Infektionen angibt.
Dabei sind Krankenhausinfektionen kein Coronaphänomen. Laut RKI kommt es pro Jahr zu schätzungsweise 400.000 bis 600.000 solcher nosokomialer Infektionen und 10.000 bis 20.000 Todesfällen. Meist sind es bei Eingriffen eingeschleppte Bakterien, die beispielsweise Wundinfektionen oder Harnwegsinfekte auslösen.
Auch Mitarbeiter:innen betroffen
Viruserkrankungen seien seltener, sagt Constanze Wendt, Fachärztin für Infektionsbiologie. Sie leitet die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am RKI. Es komme aber immer wieder vor, dass auch Rota- oder Grippeviren kleinere Ausbrüche in Krankenhäusern verursachen.
Die jetzige Situation sei dennoch besonders, sagt Wendt. Zum einen gebe es nicht nur eine hohe Zahl infizierter Patient:innen, sondern auch infizierter Mitarbeiter:innen. Das habe Auswirkungen auf den gesamten Krankenhausbetrieb.
Hinzu komme, dass das Auftreten asymptomatischer, aber dennoch ansteckender Infektionen in dem Maße bisher nicht bekannt war und neben den bewährten Basishygienemaßnahmen zusätzliche Maßnahmen wie Teststrategien und Isolation erfordere.
Die Gesundheitsbehörden und das RKI machen den Krankenhäusern Vorgaben und Empfehlungen, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Aber den Kliniken bleibt Spielraum.
Maskenpflicht – wann, wo, wie?
Das zeigen auch die Antworten auf die Anfragen, die die taz an verschiedene Kliniken in Deutschland geschickt hat. So herrschen seit Monaten in den Krankenhäusern weitreichende Besuchsverbote und überall gilt die Maskenpflicht. Aber wo welche Maske getragen wird, ist durchaus unterschiedlich geregelt. Aus einer Bremer Klinik heißt es, dass bis in die Verwaltungsbereiche eine FFP2-Maskenpflicht bestehe. In anderen Häusern wird diese Art nur bei direktem Patient:innenkontakt verwendet.
Unterschiede gibt es auch bei der Teststrategie. Das RKI empfiehlt bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 50 regelmäßige Testungen bei allen Beschäftigten und Patient:innen. Zwar sind PCR-Tests bei Aufnahme von Patient*innen mittlerweile die Regel, für das weitere Vorgehen haben die Krankenhäuser aber sehr unterschiedliche Strategien.
Eine Hamburger Klinik beispielsweise testet Patient:innen in definierten Bereichen wie den Krebsstationen nach eigenen Angaben wöchentlich. Die Mitarbeiter:innen mit Patient:innenkontakt werden regelmäßig getestet. Die, die auf Covid-Stationen oder mit besonders vulnerablen Patient:innen arbeiten, zweimal in der Woche.
Aus einer anderen Klinik wiederum heißt es, es gebe kein regelhaftes Mitarbeiter:innenscreening, es hätten aber alle Bereiche die Möglichkeit, selbst Schnelltests zu machen.
Angst vor dem Krankenhaus
Sicher vor einer Infektion fühlen sich durch das derzeitige Vorgehen jedenfalls nicht alle Angestellten. Eine Umfrage zur Situation der Pflege während der Covid-19-Pandemie, an der rund 1.000 Pflegekräfte, die meisten davon aus Krankenhäusern, bis Anfang Januar teilgenommen haben, hat ergeben, dass viele Angst vor einer Infektion haben. Rund 70 Prozent der Befragten gaben an, dass sie einen Konflikt sehen zwischen ihrer beruflichen Tätigkeit und der eigenen Sicherheit.
„Das ist wirklich krass, denn es geht dabei ja darum, dass die Pflegekräfte etwas für andere tun, sich dabei aber nicht genug geschützt fühlen“, sagt Uta Gaidys, Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und eine der Autorinnen der Studie.
„Und es geht nicht nur um die Frage, ob ich mich selbst infiziere, sondern auch darum, ob ich das Virus in meine Familie trage.“ Gaidys folgert aus den Umfrageergebnissen, dass es dringend eine einheitliche Teststrategie brauche, für Mitarbeiter:innen und Patient:innen.
Das könnte auch Patient:innen mehr Sicherheit geben, die aus Angst vor einer Ansteckung Krankenhäuser meiden. In der ersten Coronawelle berichteten Notaufnahmen von einem dramatischen Rückgang der Patient:innenzahlen, weniger Menschen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall wurden behandelt.
Patient:innen bleiben weg
Dass es aber plötzlich weniger Betroffene gibt, gilt als unwahrscheinlich. „Wir haben im ersten Lockdown in Kiel gesehen, dass wir 30 bis 40 Prozent weniger Patienten mit Schlaganfallsymptomen hatten“, berichtet auch Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Im zweiten Lockdown sei die Zahl nicht so hoch.
Berg betont, dass Notfälle unbedingt ins Krankenhaus müssen und auch Anzeichen von Schlaganfällen und Herzinfarkten nicht ignoriert werden dürfen. „Das Problem, das durch nicht rechtzeitiges Kommen auftreten kann, ist viel größer und realer als eine mögliche Corona-Infektion, das steht in keinem Verhältnis“, sagt die Ärztin.
Das gelte für alle Patient:innen, bei denen eine schwere Krankheit oder das Wiederauftreten einer Krankheit vermieden werden soll. Gerade Nachsorge, beispielsweise bei Krebserkrankungen, müsse ernst genommen werden.
Theoretisch sei es aus Sicht der Krankenhaushygiene möglich, den überwiegenden Teil der nosokomialen Infektionen zu verhindern, sagt Hygieneärztin Wendt, die Kliniken in dieser Frage berät. Aber praktisch stoße das an Grenzen: „Das ist eine irrsinnige Herausforderung, den ganzen Tag bei hoher Belastung aus Hygienesicht alles richtig zu machen.“
Dünne Personaldecke
In den letzten zehn Jahren habe der Bereich Krankenhaushygiene zwar deutlich mehr Stellenwert bekommen. „Das ist aber umso schwerer umsetzbar, je dünner die Personaldecke“, sagt Wendt. Wie sehr dies in Zeiten einer Pandemie gilt, zeigen Überlastungsanzeigen von Klinikpersonal.
Wenn es einen Ausbruch gebe, sagt Peter Walger von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, dann werde eine genaue Analyse gemacht. So habe es Ausbrüche gegeben, die auf fehlerhafte oder fehlerhaft getragene FFP2-Masken zurückgingen. In anderen Fällen sei das Pausenverhalten der Mitarbeiter:innen unangebracht gewesen.
Dass es im Januar auch in der Klinik, in der Margit Tiel behandelt wurde, mehrere infizierte Patient:innen und Mitarbeiter:innen gab, bestätigt das Krankenhaus. Wie viele Menschen betroffen waren, beantwortet es nicht.
Weil sie nur spärlich über Ausbrüche informierten oder diese erst durch Medien öffentlich wurden, standen Kliniken immer wieder in der Kritik. Die Einrichtungen fürchten Rufschädigung, finanzielle Einbußen oder sogar Strafverfolgung, sagen die Expert:innen.
Offene Fehlerkultur
Zum Ausbruchsmanagement gehöre aber auch eine transparente Kommunikation, betont Walger. „Es hat sich gezeigt, dass die Öffentlichkeit und Patienten es honorieren und verstehen, wenn wir sagen, dass Fehler passieren können“, so Walger. „Was die Menschen nicht akzeptieren: Wenn wir sagen, wir sind fehlerfrei, und dann passiert doch etwas.“
Margit Tiel bleibt auf der Corona-Station zunächst ohne Symptome. Dann verschlechtert sich ihr Zustand, sie braucht Sauerstoff, soll auf die Intensivstation. Die Kinder bereiten sich auf das Schlimmste vor. Aber die 81-Jährige schafft es. „Es kommt einem Wunder gleich“, sagt ihr Sohn Mitte Februar. Ein erneuter Coronatest von Margit Tiel ist negativ. Sie wird entlassen in das Seniorenstift, der Sohn plant das erste Mal wieder einen Besuch bei seiner Mutter.
Happy End? Zwei Tage nach Tiels Aufnahme meldet das Seniorenstift einen Corona-Ausbruch – wieder Isolation für Frau Tiel. Inzwischen konnte sie zwar ihre Kinder wiedersehen, doch der nächste Krankenhausaufenthalt aufgrund ihrer Vorerkrankungen steht unmittelbar bevor. „Das mulmige Gefühl bleibt“, sagt Tiels Sohn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen