Coronavirus in Südkorea: Virus versus Rechtsstaat
Während China mit Zwangsmaßnahmen gegen das Virus kämpft, muss Südkorea sein demokratisches System achten – und meldet immer mehr Infektionen.
Im chinesischen Wuhan hingegen ziehen Behörden beim Kampf gegen das Virus andere Seiten auf: Anfang Februar filmt ein Bewohner von seinem Fenster aus, wie zwei Männer in Ganzkörperanzügen eine Metallbox von einem Wohnhaus auf einen Transporter hieven. Furchtbare Schreie sind hörbar, offenbar befindet sich eine Frau darin, die in Zwangsquarantäne gesteckt wird.
Nach China ist Südkorea das mit Abstand am stärksten vom Virus betroffene Land. Bis Mittwochnachmittag haben die Behörden über 1.260 Infizierte und 12 Tote bestätigt. Vor allem ist die 2,6-Millionen-Einwohner-Metropole Daegu im Süden des Landes betroffen. Dennoch bleiben dort die Restaurants und Cafés geöffnet.
In Peking hingegen ist das öffentliche Leben nach wie vor stillgelegt. Vor den Toren der Wohnsiedlungen wachen Mitglieder der Nachbarschaftskomitees, die jeden Besucher kontrollieren und Körpertemperaturen messen. Viele Millionen Städter mussten sich in den letzten Tagen für zwei Wochen in Zwangsquarantäne begeben. Familien, die sich seit Wochen nicht sehen können, oder gebrechliche Senioren, die nur dank Nachbarschaftshilfe versorgt werden: Es sind unglaubliche Opfer, die der Bevölkerung abgerungen werden.
Neuninfektionen gehen zurück
Doch sie scheinen sich zu lohnen. Abseits der Provinz Hubei gehen die Neuinfektionen seit rund zwei Wochen zurück. „Trotz berechtigter Kritik innerhalb und außerhalb Chinas an der anfänglichen Vertuschung des Krankheitsausbruchs werden Pekings Bemühungen um internationale Zusammenarbeit und Transparenz geschätzt“, sagt Mikko Huotari, Leiter der Berliner Denkfabrik Merics.
Der Virusausbruch stellt nicht nur die Gesundheitssysteme auf die Probe, sondern auch die Freiheiten der liberalen Demokratien. Als die Regierung in Südkorea eine mögliche Isolation der Stadt Daegu andeutete, fiel die Entrüstung konservativer Bevölkerungsschichten so stark aus, dass die Pläne sofort wieder in der Schublade verschwanden. Und nachdem in der Innenstadt Seouls ein Demonstrationsverbot ausgesprochen wurde, zogen dennoch christliche Gruppen auf die Straße.
In China hingegen gibt es keine regierungskritischen Demonstrationen – allerdings auch keine unabhängigen Medien, die die Intransparenz der Parteikader im Umgang mit dem Virus hätten anprangern können. „Die Anzahl der Fälle in Südkorea scheint zumindest teilweise so hoch, weil Korea gute Diagnosekapazitäten, freie Medien und ein demokratisch zur Verantwortung zu ziehendes System hat“, sagt der Korea-Forscher Andray Abrahamian.
Während sich Chinas Präsident Xi Jinping nach Ausbruch des Virus fast sieben Tage lang nicht in der Öffentlichkeit blicken ließ, besuchte sein südkoreanischer Amtskollege Moon Jae In umgehend die Stadt Daegu. Die Situation sei ernst, sagte das Staatsoberhaupt in gelber Arbeitsjacke und Mundschutz im Gesicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin