Coronaschäden bei Vierschanzentournee: Stille nach dem Sprung
Die publikumslose Vierschanzentournee sorgt in Oberstdorf für Tristesse und mächtige Einbußen. Diese Woche gehen 20 Millionen Euro Umsatz verloren.
Wenn sich jemand in Oberstdorf auskennt, dann ist es Karl Geiger. Vor 27 Jahren wurde der Skiflug-Weltmeister in der Marktgemeinde im Allgäu geboren. Hier ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen. Auf den Sprungschanzen im Schattenbergstadion hat er seine ersten Hüpfer gemacht. Dort hat er zur Jahrtausendwende Martin Schmitt zugejubelt, der dreimal hintereinander das Auftaktspringen der Vierschanzentournee gewonnen hat. Vor drei Monaten hat er standesgemäß in kurzer Lederhose seine Freundin geheiratet. Und in diesem Ort ist auch vor zwei Wochen deren Tochter zur Welt gekommen. Kurzum: Oberstdorf darf getrost als die Heimat von Karl Geiger bezeichnet werden.
Doch in diesen Wochen lernt er seine Heimatstadt am Fuße des Nebelhorns neu kennen. „Es ist alles ein wenig unwirklich“, sagte er vor dem Start zur Vierschanzentournee, „normalerweise sind die Hotels voll, die Leute gehen Skifahren und es gibt noch viele andere tolle Sachen, die man machen kann.“ Normalerweise.
Oberstdorf nach Weihnachten 2020 jedoch ist coronabedingt wie ausgestorben. Es ist kein Vergleich zu den Jahren davor, als 25.000 Besucher das Auftaktspringen der Tournee hautnah miterleben wollten und sich zuvor im Ort aufgehalten haben. Weder in Garmisch-Partenkirchen noch in Innsbruck oder in Bischofshofen prägen die Skisprungfans das Stadtbild so eindrucksvoll. Am Marktplatz neben der Kirche in Oberstdorf tummelten sich die Besucher aus Deutschland, Österreich und Polen einträchtig nebeneinander an den Glühweinständen, danach schoben sich die Menschenmassen über die Oststraße hinauf Richtung Schanze.
Nichts von alledem gibt es in diesem Jahr. Nur wenige Menschen laufen durch die Straßen, die meisten führen ihre Hunde Gassi. Wie auch sonst in der Republik sind fast alle Geschäfte geschlossen. Statt üppig beladenen Ständern mit Kleidung vor den Läden hängen Plakate in den Schaufenstern, auf denen Rabatte bis zu 70 Prozent versprochen werden. Doch wer soll diese Angebote wahrnehmen?
400.000 Übernachtungen weniger
Besonders betroffen sind die Hotelerie und die Gastronomie. „Zwischen dem 16. März 2020 und dem 10. Januar 2011 gehen den Betrieben nach unseren Hochrechnungen 90 Millionen Euro Umsatz verloren“, sagt Frank Jost. Allein in der Woche der Vierschanzentournee, so der Oberstdorfer Tourismusdirektor, seien dies etwa 20 Millionen Euro. Oberstdorf und seine 10.000 Einwohner leben von den Touristen. In normalen Jahren registrierte Deutschlands südlichste Gemeinde 2,7 Millionen Übernachtungen. In diesem Jahr sind es 400.000 weniger. Dies bedeutet auch weniger Einnahmen für die Gemeinde. „In diesen Tagen bekommen wir über die Kurabgaben 25.000 Euro pro Tag“, sagt Jost.
Ausgefallen ist natürlich auch die Präsentation der weltbesten Skispringer. Am Abend vor der Qualifikation haben sich immer Tausende Fans im Kurpark getroffen, haben die 100 Meter vom Oberstdorf-Haus zum kleinen Pavillon ein Spalier gebildet, durch das die Sportler meist leicht joggend durchgelaufen sind. Die Arme hatten sie wie Flügel ausgebreitet, um sich mit den Fans abzuklatschen. Am Sonntagabend überquerten vereinzelt Menschen den Park, meist eiligen Schrittes.
Kurze Zeit hatten die Macher in Oberstdorf Hoffnung, dass sie doch einige Zuschauer ins Stadion lassen können. Statt der 25.000 nur 2.500. Im Stadion waren bereits entsprechende Vorkehrungen getroffen worden. Doch mit dem zweiten Lockdown wurde auch dieser Plan zunichte gemacht.
Tourismusmanager Jost hofft immer noch, dass wenigstens beim zweiten sportlichen Highlight dieses Winters einige Fans dabei sein dürfen. Vom 23. Februar bis 7. März 2021 finden die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften statt. Ein Grund für die Bewerbung war, dass mit den Titelkämpfen die Bekanntheit der Marktgemeinde als Wintersportdestination gesteigert wird. Sollten bis dahin immer noch die strengen Regeln gelten, sagt Jost: „Eine Weltmeisterschaft ohne Zuschauer ist mir lieber als keine Weltmeisterschaft.“ Er baut dabei auf die Kraft der Fernsehbilder.
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