Coronapolitik in Frankreich: „Vorsätzliche Gefährdung von Leben“

Hat Frankreichs Regierung zu wenig gegen die Pandemie getan? Die Justiz prüft, ob Ex-Premierminister Édouard Philippe und andere vor Gericht müssen.

Edouard Philippe hält sich die Hand ans Ohr

War seine Coronapolitik zu wenig konsequent? Frankreichs früherer Premier Philippe Foto: Vincent Isore/imago

PARIS taz | Der spezielle Gerichtshof der Republik (Cour de Justice de la République, kurz CJR) in Frankreich prüft, ob mehrere ehemalige Regierungsmitglieder in Frankreich wegen ihrer Coronapolitik vor Gericht müssen. Im Fokus stehen der ehemalige Premierminister Édouard Philippe sowie die Ex-Gesundheitsministerin Agnès Buzyn und ihren Nachfolger, den gegenwärtigen Regierungssprecher Olivier Véran.

Mehrere rechtlich anerkannte Beschwerden werfen ihnen „vorsätzliche Gefährdung von Leben“ und „bewusst unterlassene Hilfe in einer Katastrophensituation“ vor. Der CJR hat Philippe mittlerweile befragt, aber noch nicht angeklagt.

Bei der Befragung am vergangenen Dienstag gingen die Richter des CJR mit aller Diskretion vor. Wie trotzdem am Samstag herauskam, ist der frühere Regierungschef nun vorerst ein von Anwälten „unterstützter Zeuge“ („témoin assisté“) – ein Zwischenstatus zwischen einfachem Zeugen und einem Angeklagten.

Auch nach Philippes Befragung lässt der CJR nicht alle Verdachtsmomente gegen ihn fallen. Die beauftragten Untersuchungsrichter können ihn weiterhin anklagen und vor Gericht stellen, wie es die klagenden Vereinigungen fordern.

Dilettantisch und widersprüchlich

Die Politik der Regierung wurde von Beginn an als dilettantisch und teils widersprüchlich kritisiert. Édouard Phi­lippe war seit 2017 Premierminister, am 3. Juli 2020 trat er zurück. Doch allein in den ersten Monaten der Pandemie registrierte die Johns-Hopkins-Universität rund 30.000 Corona-Todesfälle in Frankreich. Bis heute sind es insgesamt 156.000.

In der Folge wurden zahlreiche Klagen eingereicht, von Vereinigungen der Opfer und aus Kreisen des Pflegepersonals, das im von Staatspräsident Emmanuel Macron deklarierten „Krieg“ gegen das Virus an vorderster Front stand. Am Tag nach dem Rücktritt von Phi­lippes Regierung im Juli 2020 wurden die Ermittlungen gegen sie öffentlich bekannt.

Bemängelt wird beispielsweise, dass die für Krisenfälle bereitgestellten Bestände an Schutzmasken aus Spargründen drastisch vermindert worden waren. Frankreich ging so mit völlig ungenügenden Reserven die Pandemie. Selbst in Krankenhäusern fehlte Schutzmaterial.

Wider besseres Wissen habe die zuständigen Regierungsmitglieder behauptet, allen voran die damalige Gesundheitsministerin Buzyn, Schutzmasken seien unnötig oder ineffizient. Außerdem habe die Regierung die für solche Katastrophenfälle vorgesehene Krisenzelle erst im März berufen.

Da grassierte Covid-19 längst in Frankreich, worüber die Regierung durchaus informiert gewesen sei. Das belegt aus der Sicht der Klagenden den Tatbestand „vorsätzlicher unterlassener Hilfe“ und „Gefährdung“. Gegen die Ex-Gesundheitsministerin wurde im September 2020 Anklage erhoben.

Beim ehemaligen Premierminister Philippe müssen sich die Klangenden aber damit abfinden, dass es immerhin weitere Ermittlungen gibt. Der Gerichtshof tut sich in der Regel eher schwer mit Klagen von Bürgern. Untersuchungsverfahren dauern lange und verlaufen meistens im Sande.

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