Coronamythen und Fakten (3): „Covid nicht tödlicher als Grippe“
Als Beweis für dieses Argument wird am häufigsten John Ioannidis zitiert, Professor aus Stanford. Doch der behauptet das gar nicht.
Seit dem 17. März 2020 ist John Ioannidis weltweit bekannt. Damals schrieb der Professor für Medizin, Epidemiologie, Statistik und öffentliche Gesundheit im Magazin STAT, dass die Maßnahmen gegen die Coronapandemie ein Fiasko seien. Die Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO, nach denen 3,4 Prozent der Sars-Cov-2 Infizierten stürben, würden „Horror“ verbreiten und seien nutzlos.
Die Maßnahmen gegen Corona würde mehr Schaden als Nutzen anrichten. Später errechnete er für ebenjene WHO, dass im globalen Schnitt nur 0,23 Prozent der Infizierten sterben. Ioannidis ist Kronzeuge aller, die glauben, Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe.
Allerdings geht Ioannidis für die Influenza von einer globalen Infektionssterblichkeit von nur 0,1 Prozent aus, wie er der taz in einem Mailverkehr schreibt. Zwar gebe es Länder wie Japan, Singapur oder Katar, in denen sei nach aktueller Datenlage die Sterblichkeit bei Covid-19 niedriger als bei einer Grippe, in Ländern wie Spanien, Belgien und Italien sei sie aber offenbar „wesentlich höher“.
Wer Ioannidis also als einzig legitime Quelle ansieht, kann die Behauptung, Covid sei nur eine Influenza, nicht aufrechterhalten. Zumal sich gegen die Grippe vulnerable Gruppen impfen lassen können – gegen Covid-19 ging das bisher nicht. Selbst wenn an Covid-19 also prozentual genauso viele Infizierte sterben würden wie an einer Grippe – wovon nicht einmal Ioannidis ausgeht –, würde es doch deutlich mehr Infizierte und damit Tote geben.
Es ist eine absurde Situation: Die Corona-Infektionen und -Todesfälle in Deutschland steigen auf immer neue Höchststände. Doch ob bei Demonstrationen oder im Internet: Weiterhin werden wissenschaftliche Fakten angezweifelt oder komplett bestritten.
Die taz hat sich darum die wichtigsten Behauptungen der Corona-Skeptiker und -Leugner noch einmal vorgenommen und erklärt in diesem Dossier knapp und verständlich, warum diese nicht überzeugend sind. Wir wollen damit allen, die selbst Zweifel haben, Fakten präsentieren, die helfen, diese zu zerstreuen.
Alle Texte gesammelt finden Sie unter taz.de/coronamythen.
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Grippe tötet mehr Kinder als Covid-19
Ioannidis selbst betrachtet Covid-19 heute differenzierter. „Wir haben ein sehr ernstes Problem, das habe ich nie bezweifelt, und Bemühungen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sind essentiell“, schreibt er der taz. Dennoch hält er einen „blinden Lockdown“ nach wie vor für falsch. Der schütze ältere Menschen nicht, sondern schade nur der Gesundheit anderer, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Man müsse vulnerable Gruppe schützen, durch drakonische Hygienemaßnahmen und wesentlich mehr Tests.
„Ich glaube, ein Vergleich mit der Grippe verwirrt nur, weil die Mischung der Fälle unterschiedlich gelagert ist“, so Ioannidis weiter. Die Grippe würde weltweit jährlich zwischen 20.000 und 100.000 Kinder töten, während Covid-19 eine verheerende Wirkung in den Pflegeheimen in Industrieländern habe.
Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen, die WHO schreibt lediglich, dass jährlich weltweit geschätzt 290.000 bis 650.000 Menschen an oder mit der Grippe sterben. Bei Covid-19 sind es derzeit laborbestätigt 1.650.000 Tote.
Dass aber deutlich mehr Kinder an Grippe als an Covid sterben, ist unbestritten. Doch auch bei einer Influenzawelle sterben zum überwiegenden Teil Menschen über 60 (zu sehen hier auf Seite 48, dort finden sich auch Angaben zu Kindern), etwa ein Drittel der Fälle verläuft generell ohne Symptome, ein Drittel nur mit milder Symptomatik, schreibt das Robert-Koch-Institut. Dass beide Krankheiten überwiegend alte Menschen tödlich treffen, ist unumstritten.
Doch wie valide sind überhaupt die Zahlen, mit denen Ioannidis hantiert? Vergleicht man die Sterblichkeit einer Grippe mit Covid-19, gibt es erhebliche Unbekannte: Bei der Grippe wird in wesentlich geringerem Umfang getestet – und auch bei Covid-19 kann man immer noch nur abschätzen, wie viele Menschen das Virus ohne oder mit nur leichten Symptomen hatten. Daten sind außerdem international kaum vergleichbar, Teststrategien sind unterschiedlich, Meldesysteme uneinheitlich. Die vielen Länder-Rankings über Coronatodesfälle pro 100.000 Einwohner*innen sind eigentlich für die Tonne.
Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.
Angaben zur wichtigen sogenannten Infektionssterblichkeit – abgekürzt IFR, aus dem Englischen infection fatality rate – schwanken. Es geht dort darum, wie viele mit Corona oder Influenza-Viren infizierte Menschen prozentual sterben. Das ist nicht zu verwechseln mit der Fallsterblichkeit, über die verlässliche Daten existieren: Sie gibt an, wie viele der durch Labortest bestätigten Infektionen zum Tode führen. Die Fallsterblichkeit bei Covid-19 liegt laut Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Deutschland bei rund zwei Prozent.
Ioannidis landet bei seinen Berechnungen zur Sterblichkeit bei Covid-19 stets im unteren Bereich, bei denen zur Grippe eher im oberen. Die ist laut der US-Gesundheitsbehörde CDC etwa mit einer IFR von 0,05 Prozent nur halb so tödlich wie von Ioannidis angenommen. Seine viel zitierten Arbeit für die WHO ist wiederum von vielen Seiten methodisch kritisiert worden.
7 Tote als Basis
Für Deutschland hat Ioannidis beispielsweise die bekannte Heinsberg-Studie ausgewertet. Sie kommt auf eine IFR von 0,36 Prozent. Allerdings wurden zahlreiche Todesfälle, die erst nach Abschluss der Studie aufgetreten sind, offenbar nicht erfasst, so dass die reale IFR höher gelegen haben dürfte. Die zweite von Ioannidies genutzt Studie stammt von der Universität Marburg, bei der Mitarbeiter*innen des Unternehmens Infraserv Hoechst getestet wurden.
Die Autor*innen der Studie schreiben selbst, die Proben seien nicht repräsentativ, eine IFR geben Sie nicht an. Insgesamt wertet Ioannidis damit für Deutschland Studien aus, in deren Verlauf sieben Menschen an Covid-19 gestorben sind, bei rund 2.000 involvierten Personen. Aus dieser Fallzahl schließt Ioannidis mit statistischen Methoden auf die Infektionssterblichkeit für ganz Deutschland. Ob das eine plausible Methodik ist, ist zweifelhaft.
Die Arbeiten zahlreicher anderer Wissenschaftler*innen kommen zu zu wesentlich gravierenderen Zahlen. Für New York etwa kommt eine Studie auf eine IFR von 1,39 Prozent. Eine internationale Gruppe Wissenschaftler*innen, unter andrem aus Harvard, kommen für die USA auf eine IFR bei Covid-19 von 0,6 Prozent (hier zu finden auf Seite 21).
Auf diese Arbeit beruft sich auch Herwig Kollaritsch, Professor an der Medizinischen Universität Wien, der in der taz sagte: „Covid-19 ist circa 10-fach tödlicher als die Grippe.“ Laut der Studie liegt übrigens auch die Sterblichkeit für 50- bis 60-Jährige mit 0,3 Prozent deutlich über den Werten einer Grippe. Die Autoren dieser Studie kommen zu einem Schluss, den wohl alle unterschreiben können: „Maßnahmen, um Infektionen bei älteren Menschen zu verhindern, könnten die Opferzahlen substanziell senken.“
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