Coronamaßnahmen in Deutschland: Komplizierte Suche nach Auswegen
Die Debatte um einen noch härteren Lockdown verschärft sich. Das Spitzentreffen mit Merkel findet schon kommenden Dienstag statt.
Die Zahl der Neuinfektionen sei weiter „viel zu hoch“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag, dazu käme das „Risiko neuer Mutationen“ des Virus, die ansteckender sein sollen als die bisher bekannten Varianten. Man brauche weitere Kontaktreduzierung, wo immer möglich, erklärte Seibert.
Ein Schwerpunkt der Debatte ist die Forderung nach mehr Homeoffice. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie Gewerkschaften und Arbeitgeber riefen am Freitag gemeinsam dazu auf, dass mehr Menschen ihrer Arbeit von zu Hause aus nachgehen. Arbeitgeber, Beschäftigte und Betriebsräte stünden „gemeinsam in der Pflicht“, die Möglichkeit des Homeoffice „verantwortungsvoll“ zu nutzen, heißt es in der Erklärung. Darin wird aber auch eingeräumt, dass Produktion, Fertigung, Pflege und die Versorgung mit wichtigen Gütern „Präsenz“ erforderten. Homeoffice sei „nicht für jede Tätigkeit geeignet“.
Nach einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom arbeiten 45 Prozent der Berufstätigen ganz oder teilweise im Homeoffice. Beim ersten Lockdown im Frühjahr sei der Anteil der MobilarbeiterInnen höher gewesen als derzeit, ein höherer Anteil sei „also möglich“, sagte Seibert.
Kommt die nächtliche Ausgangssperre?
Angesichts der Debatte um schärfere Maßnahmen wandten sich Wirtschaftsverbände dagegen, die Arbeit in den Betrieben auszusetzen. Auch der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, erklärte, ein „Total-Shutdown der Wirtschaft“ wäre eine „katastrophale Panikmaßnahme mit unabsehbaren Folgen“. Selbst die härtesten Lockdown-Maßnahmen mit Fabrikschließungen wie in Frankreich, Italien und Spanien hätten die Pandemie nur für kurze Zeit eindämmen können.
Frenzel sagte, es sei „verwunderlich“, dass im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs über die Hygieneauflagen und deren Einhaltung „zu wenig diskutiert und gehandelt“ werde. Zwischenzeitlich hatte die Nachricht für Aufregung gesorgt, Bundeskanzlerin Angela Merkel erwäge angeblich, den öffentlichen Personennahverkehr stillzulegen. Dies wurde von Seibert dementiert.
Denkbar in der Debatte ist eine Ausweitung der nächtlichen Ausgangssperren, die bisher schon in Gebieten mit hohen Infektionszahlen gelten. Auch eine Ausweitung der Maskenpflicht auf die wirksameren FFP2-Masken, wie sie in Bayern schon gilt, ist eine Option.
Die bundesweit durchgehende Schließung von Kitas und Schulen wäre eine weitere Möglichkeit, denn bisher verfahren die Bundesländer dabei nicht einheitlich. Bildungsforscher Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut warnte allerdings vor weiteren Bildungseinschränkungen. Schulöffnungen könnten nach dem Alter gestaffelt werden. Schulunterricht müsse „Vorrang“ und die Coronabekämpfung andere Schwerpunkte haben.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte sich in der Sendung „Maybrit Illner“ auch angesichts der schwer kalkulierbaren neuen Virusmutationen für einen „kompletten Lockdown“ ausgesprochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
G20-Gipfel in Brasilien
Milei will mit Kapitalismus aus der Armut
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört