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Coronahilfen und KulturschaffendeAn der Lebenswirklichkeit vorbei

Zwischenruf aus Sachsen: Die Coronahilfsprogramme erreichen selbstständige Künstler und Kreative nicht.

Bauzaun vor der Semperoper auf dem Theaterplatz in Dresden Foto: dpa/Robert Michael

Als die Bundesregierung mit dem neuerlichen Lockdown Anfang November die sogenannten Novemberhilfen auflegte, empfahlen die sächsischen Landeskulturverbände spontan noch deren Nutzung. Denn erstmals wurden in dem vorwiegend an die Wirtschaft adressierten Programm auch Kulturveranstalter und selbstständige Künstler berücksichtigt.

Bis heute lobt das von Monika Grütters (CDU) geführte Bundeskulturministerium die mit dem zuständigen Wirtschaftsministerium ausgehandelten Fortschritte. Es sei ein „Erfolg für den Kulturbereich“, dass die November- und Dezemberhilfen nicht nur den direkten Opfern von Schließungen wie etwa Veranstaltern, sondern auch den direkt und indirekt über Dritte Betroffenen zugutekommen, antwortet ein Ministeriumssprecher.

Also jenen, die künstlerisch für Auftraggeber tätig sind. Außerdem müsse für Anträge unter 5.000 Euro kein Steuerberater mehr engagiert werden.

Doch Beispiele aus Sachsen zeigen: Die Überbrückungshilfen I und II gelten als Flop. „Für die Mehrheit der wirklich Bedürftigen kommen die Hilfen nicht infrage“, stellt Torsten Tannenberg als Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates ernüchtert fest. Zumindest für den Musikbereich hat dieser größte Landeskulturverband einen Internetworkshop durchgeführt und eine Umfrage gestartet. 53 „Fälle“ von Enttäuschten sind dokumentiert. Verglichen mit einem Landesförderprogramm für Musikpädagogen während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020, wären nur noch 3 Prozent der damals 645 Geförderten bei den Novemberhilfen antragsberechtigt.

Verwirrende Erfahrungen

Woran liegt das? Für Verwirrung sorgte schon das Antragsverfahren. Eine Musikpädagogin des Dresdner Schütz-Konservatoriums erfuhr gemeinsam mit ihrem Mann, dass man zunächst ein Zertifikat der Steuersoftware Elster benötigt. Nach zwei Wochen trafen die beiden Briefumschläge vom Finanzamt ein. Ihr um die Weihnachtstage herum eingereichter Antrag wurde zwar umgehend online bestätigt, blieb aber bis heute ohne weitere Resonanz. Wegen technischer Probleme beginne die Auszahlung erst jetzt, räumte das Bundeswirtschaftsministerium ein. Für die Geldüberweisung sind die Länder zuständig.

Eine völlig entgegengesetzte Erfahrung machte wie viele Musikerkollegen auch der Jazztrompeter Sebastian Haas, Vertreter der Lehrbeauftragten an der Dresdner Musikhochschule. Binnen Minuten wurde sein online gestellter Antrag ohne Prüfung bestätigt. Nur zwei Tage später trafen Abschlagszahlungen auf dem Konto ein.

Eine dritte Kategorie unter den Kreativen und Künstlern bilden die vorsichtigen Skeptiker. Sie haben die Antragsbedingungen möglichst genau gelesen und danach auf einen Antrag verzichtet wie die stellvertretende Vorsitzende des Kom­ponistenverbandes Sachsen, Agnes Ponizil. „Nicht in der Euphorie einen Antrag stellen“, warnt sie.

Denn das entscheidende Kriterium für die Gewährung der Überbrückungshilfe ist, dass die Umsatzausfälle ab November mindestens 80 Prozent des Monatsumsatzes 2019 oder des durchschnittlichen Wochenumsatzes 2019 betragen. Das sei im Sinne einer Gleichstellung mit den unmittelbar Betroffenen so festgelegt, sagt der Sprecher des Grütters-­Ministeriums.

Hybride Einkommen

Agnes Ponizil aber hat etwa die Hälfte ihrer Einkünfte durch digitalen Fernunterricht und Chorproben aus ihrem Kreativstudio in der Dresdner Neustadt heraus retten können. Auftritte und Kompositionsaufträge hingegen fielen völlig weg.

Dieser Mix, die „hybriden Einkommen“, sind nicht nur für die freie Tätigkeit in der Musikbranche typisch: Konzerte, sogenannte Muggen, Privatunterricht oder Lehrtätigkeit an einer Musikschule, Unterricht im Rahmen des Programms „Jedem Kind ein Instrument“ oder der ­Ganztagsangebote an Schulen, bei Komponisten Einkünfte aus der Verwertungsgesellschaft GEMA.

Josephine Hage ist eine gefragte Beraterin am Sächsischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft in Leipzig. Sie schildert Beispiele aus den darstellenden Künsten. Freie Schauspieler mit einer unterjährigen Anstellung für ein Theater- oder Filmprojekt bekommen den Ausfall einer befristeten Festanstellung infolge Bühnenschließung nicht ersetzt, wenn sie trotzdem noch mehr als 20 Prozent ihres normalen Umsatzes freiberuflich erzielen.

Komplett – oder gar nichts

Allen gemeinsam ist, dass sie das 80-Prozent-Kriterium nicht erreichen, weil ihnen in der Krise nicht alle Standbeine wegbrechen. An der Dresdner Musikhochschule etwa war Unterricht noch bis Mitte Dezember möglich, und einige Privatschüler halten auch noch durch. Jene Einkommensmischung, die zuvor das Überleben am Existenzminimum sicherte, wird selbstständigen Künstlern und Pädagogen also in der Krise zum Verhängnis.

Drastisch zugespitzt: Es muss einen schon komplett erwischen, sonst hat man von den Überbrückungshilfen nichts. Auch Umsatzeinbußen von 75 Prozent berechtigen nicht zur Inanspruchnahme. „Geringverdiener sind überproportional ­benachteiligt“, schlussfolgert Josephine Hage vom Kreativen Sachsen, weil ihnen keine lu­kra­tiven Standbeine verbleiben. Erstattet werden die Verluste gegenüber dem Vorjahr zudem nur zu 75 Prozent.

Wer das zu spät bemerkte und schon einen Abschlag überwiesen bekam, legt jetzt das Geld vorsichtshalber in den Sparstrumpf, weiß der Sächsische Musikrat. Denn mit einer Rückforderung muss gerechnet werden, wenn in einigen Monaten vielleicht ein Bescheid ergeht. Inzwischen aber muss die Einnahme auf der Steuererklärung angegeben und versteuert werden.

Eine Konzertpianistin, der nur noch ein Teil ihrer Lehrtätigkeit verblieben ist, versuchte in Panik, das Geld wieder loszuwerden, und zeigte sich selbst beim Finanzamt an, um einem Verfahren wegen Subventionsbetrug zu entgehen. Kein Einzelfall, wurde ihr dort gesagt.

Vernichtende Urteile

Die Künstler-Urteile über die Bundeshilfen fallen deshalb vernichtend aus. „Die Lebenswirklichkeit vieler Kulturschaffender wird nicht erfasst“, kritisiert Trompeter Sebastian Haas. Der Deutsche Kulturrat und der Deutsche Musikrat haben deshalb eine Absenkung der 80-Prozent-Grenze für Umsatzverluste auf mindestens 50 Prozent gefordert.

Dem scheint die noch nicht zur Antragstellung freigegebene Überbrückungshilfe III für dieses Jahr ­entgegenzukommen. Sie enthält auch das seit August des Vorjahres geltende und mit einer Milliarde Euro ­dotierte „Neustart“-Programm zur Stabilisierung des Kulturbetriebs.

Die Kulturselbstständigen haben von den 1.500 Stipendien allerdings nur etwas, wenn sie klassische Musiker sind. Immerhin sollen Künstler und Kreative, die von der Hand in den Mund leben und kaum Betriebskosten nachweisen können, nun eine fiktive Betriebskostenpauschale von maximal 5.000 Euro geltend machen können, gestreckt allerdings bis zum Juni diesen Jahres.

Für Josephine Hage, die auch Co-Sprecherin des bundesweiten Fördernetzwerks Kultur- und Kreativwirtschaft ist, reicht das für den Lebensunterhalt nur in Kombination mit der Grundsicherung nach Hartz IV.

Sie unterstellt eine „Dogmatik“, die ignoriere, dass Kulturschaffende auch Teil des Wirtschaftssystems sind und also gleichberechtigte Hilfe erwarten könnten. Dieser implizite Verweis auf die Grundsicherung führe zu einer Abhängigkeit von Partnern in einer Bedarfsgemeinschaft.

Sie spricht auch von einem „Dschungel“ kommunaler und Landesförderprogramme. Die sind allerdings weitestgehend ausgelaufen, wie „Denkzeit“ in Sachsen oder „Kultur ans Netz“ in Sachsen-Anhalt. Warum sie manchmal nicht voll ausgeschöpft wurden, steht auf einem anderen Blatt. „Es gibt ­derzeit einfach keine praktikablen ­Hilfen“, resümiert der Dresdner Jazztrompeter Sebastian Haas.

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