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Coronahilfen für SelbständigeSteinschleuder ohne Stein

Gastkommentar von Thomas Gesterkamp

Die Coronahilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige sind eine Mogelpackung. Viele müssen Gelder zurückzahlen.

Der Restart lässt auf sich warten Foto: dpa/Marcus Brandt

D ie Lufthansa erhielt 5,8 Milliarden, der Reisekonzern TUI 1,2 Milliarden. Daimler schüttete mitten in der Pandemie 1,4 Milliarden Euro Dividende aus, zugleich sparte der Autobauer 700 Millionen durch Kurzarbeitergeld. Großkonzerne profitierten von der „Bazooka“, einer Panzerabwehrwaffe, die SPD-Finanzminister Olaf Scholz martialisch zu Beginn der Coronakrise versprach. Die Unterstützung für Gastwirte, Musikerinnen oder freie Grafiker ist im Vergleich eine Steinschleuder – ohne Stein.

Beispiel Nordrhein-Westfalen: Das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium hat im Juni alle Emp­fän­ge­r:in­nen der „NRW-Soforthilfe“ angeschrieben. Rund 370.000 Kleinstbetriebe mit maximal fünf Beschäftigten sollten bis Oktober ihren „tatsächlichen Liquiditätsengpass ermitteln“.

Hinter der bürokratischen Formel verbirgt sich sozialer Sprengstoff: Weil sie kaum „Fixkosten“ haben und diese ihren Umsatz nicht überschreiten, müssen viele Miniunternehmen die im letzten Jahr erhaltenen 9.000 Euro zurückzahlen. Wohlwollend betrachtet handelt es sich um einen kostenfreien Kredit für zwei Jahre: ein schwacher Trost nach langem Berufsverbot für Künstler und andere Mitarbeiterinnen der Veranstaltungsbranche.

Großspurige Ankündigungen begleiteten die Lockdowns. Man entschädige „unbürokratisch“, so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Doch nur ein Drittel der im laufenden Etat eingeplanten Gelder kam an. Von 65 Milliarden wurden lediglich 23 Milliarden Euro an die Länder transferiert oder direkt an die Antragsteller ausgezahlt. Für das Vorjahr fällt die Bilanz noch peinlicher aus: Knapp 25 Milliarden waren veranschlagt, genutzt wurden davon ganze 3,7 Milliarden Euro.

Viele Solo-Selbständige verzichteten auf Antrag

Die Differenz erklärt sich teils, weil die Programmierung der Antragssoftware lange dauerte und das Geld erst im Folgejahr überwiesen wurde. Wirkung zeigten aber auch die Erfahrungen der Betroffenen mit der „Soforthilfe“: Die Behörden drohten, man werde genau prüfen, um möglichem Subventionsbetrug auf die Schliche zu kommen. Es gab vereinzelte „schwarze Schafe“, sie fielen aber quantitativ kaum ins Gewicht. Das Aufbauschen krimineller Praktiken schreckte tatsächlich Bedürftige ab: Viele der bundesweit 2,2 Millionen Soloselbstständigen verzichteten auf weitere Anträge.

In der „Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe“ haben sich 7.000 Betroffene zwecks einer Klage gegen die Rückzahlung zusammengetan – und eine auf Verwaltungsrecht spezialisierte Düsseldorfer Kanzlei eingeschaltet. Bei den Mails an die Emp­fän­ge­r:in­nen habe man „zuvor nicht geltende Änderungen an den Bewilligungsbescheiden“ vorgenommen, argumentiert die Gruppe. Als Beleg für Ungereimtheiten dient auch eine Pressemitteilung: „Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden“, schrieb Olaf Scholz am 23. März 2020.

Unübersichtlich und kompliziert

„Die Bedingungen waren unklar und unpräzise, sie wurden uminterpretiert“, kritisiert Verdi. Die Gewerkschaft unterhält ein Service-Referat für Freiberufler, in Newslettern wird kompetent und umfangreich über die Coronahilfen informiert. „Es rächt sich, dass in der Vergangenheit versäumt wurde, sozialstaatliche Regeln zu etablieren, die die Lebens- und Erwerbslagen der Soloselbstständigen berücksichtigen“, heißt es auf der Webseite der Gewerkschaft. Referatsleiterin Veronika Mirschel setzt auf den jedem Mitglied zugesagten Rechtsschutz, doch erst nach den Zahlungsbescheiden könne man klagen.

Die Coronaprogramme sind ein föderaler Flickenteppich. Auch Hamburg, Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz haben Prüfungen eingeleitet und fordern Geld zurück. Der in NRW zuständige Minister Andreas Pinkwart lobt wie seine FDP-Parteifreunde gern das freie Unternehmertum.

Seine Presseleute bejubeln das „größte Hilfsprogramm in der Geschichte des Landes“, faktisch werden Existenzen ruiniert. Möglich ist nicht einmal ein vorläufiges Herausrechnen der Hilfen bei den Finanzämtern, solange die tatsächlich gezahlte Fördersumme nicht endgültig feststeht. Die Empfänger/innen zahlen für 2020 Steuern auf Gelder, die ihnen der Staat danach wieder wegnimmt.

Versagen bei den Soloselbstständigen

Kein Wunder, dass der Mut zur „Ich-AG“ schwindet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnt, die Pandemie zwinge immer mehr Selbstständige zur Aufgabe. Ein Viertel sei bereits ausgestiegen, 11 Prozent suchten eine Stelle, 15 Prozent seien „inaktiv“, vor allem Frauen. Mindestens 130.000 Betroffene meldeten sich beim Jobcenter, beziehen also jetzt Hartz IV.

Der Umgang mit Kleinstunternehmen in der Coronakrise belegt ein politisches Versagen. SPD-Minister Hubertus Heil ist stolz auf das Kurzarbeitergeld, sogar die Sozialabgaben der Be­zie­he­r:in­nen übernimmt der Staat. Festangestellte werden gut versorgt, Frei­be­ruf­le­r:in­nen mit Brosamen abgespeist.

Wirksam sind die Zuschüsse nur dort, wo Betroffene hohe Mieten für Läden und Büros zahlen oder Leasingverträge bedienen mussten. Im Gegensatz zu Künstlerinnen oder anderen Heimarbeitern konnten sie diese Kosten anrechnen lassen. Eigentümer und kreditgebende Banken erhielten zuverlässig ihr Geld.

Nutznießer: Konzerne und Banken

So entpuppt sich die angebliche Unterstützung von Minibetrieben als Subvention ganz anderer Art: Nutznießer sind Immobilienfirmen und Versicherungskonzerne, denen die teuren Objekte gehören. Deren Profite wurden gesichert – Selbstständige hingegen mit gebrochenen Versprechen im Regen stehen gelassen.

Die Aussichten bleiben düster: In der Veranstaltungswirtschaft mit ihren langen Planungsvorläufen ist völlig unklar, was künftig stattfinden darf. „Im Herbst und Winter nur digital“, bekommen Musikerinnen oder Messebauer derzeit zu hören. Selbst Termine in 2022 stehen unter Vorbehalt, frühestens 2023 könnte analoge „Normalität“ einkehren.

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4 Kommentare

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  • Wieso verwundernd? Ein Skandal sicherlich, die mangelnde Präsenz in der Berichterstattung, gerade angesichts der kommenden Wahlen, fast zu erwarten. Enttäuschend wäre noch treffender.

  • Der Artikel verweist auf einen absoluten Skandal. Mich wundert es, dass das im Wahlkampf kaum Erwähnung findest. Es sind so viele kleine Selbständige komplett pleite gegangen, haben ihre Kleinstbetriebe aufgeben müssen oder existieren faktisch nur noch auf dem Briefkopf. Es geht da wohl auch um den Zeitpunkt von Einnahmen. Wenn ein Kunde irgendwann 100 EUR verzögert nachzahlt gilt das plötzlich als aktuelle Einnahme und gefährdet die ganzen Hilfen. Es ist so offensichtlich, dass hier politisch auf den Schwächsten herumgetrampelt wird.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Eine weitere Komponente der latenten Benachteiligung ist, dass die Selbstständigkeit zusätzliche Kosten wie die teurere Krankenversicherung verursacht, die aber gar nicht als "Betriebskosten" bewertet werden.

    Ganz konkret haben viele Selbstständige - auch gerade die älteren und aus historischen Gründen - private Krankenversicherungen, die auch dann Geld kosten, wenn es keine Erträge gibt. Da kommt man auch nicht heraus und wer einen Altvertrag hat, kann nicht mal den Anbieter wechseln, weil die Rücklagen des Versicherers nicht übertragen werden (müssen). Dann bleibt nur der Notlagentarif und der gilt nur für die Kernversicherung. Wenn Zusatzversicherungen etwa für Zahnersatz kündigt der Versicherer sofort, wenn der nicht bedient wird. Da gibt es keine Notlagenregelungen. Wer nicht Hartz-4 beantragt, zahlt auch den Notlagentarif alleine von dem fehlenden Einkommen.

    Für viele Selbstständige wäre es ein gewaltiger Sprung, wenn die Krankenversicherung und vielleicht auch die freiwillige Mindestleistung in die gesetzliche Rentenversicherung als Kosten anerkannt würden.

    Ein anderes Problem ist die restriktive Regelung der Betriebskosten bei Arbeitszimmer/-stätte und Auto. Faktisch sind die meisten Selbstständigen auf beides angewiesen und nutzen das auch in der Regel "richtig" - dennoch sorgt die Steuergesetzgebung dafür, dass man diese Kosten schon unter normalen Umständen nicht oder eben nur teilweise absetzen kann. Das tut dann bei den Bewertungen für die Soforthilfen doppelt weh.

    Ich kann zwar das Auto nicht abmelden, bleibe aber letztlich auf den Kosten sitzen, weil es mangels Auftrag keine berufliche Nutzung gibt. Also die Vorhaltung bestimmter Betriebsmittel ist überhaupt nicht berücksichtigt...

    Jede Vokabel, die mir zur näheren Bezeichnung der Verantwortlichen jetzt enfällt, wäre strafbar...

  • Bei den anderen Hilfen waren die Variationen der Nichtgewährung übrigens vielfältig. Ich bin normalerweise als Konferenzdolmetscherin hauptsächlich für Ministerien, Botschaften und pol. Stiftungen tätig. Bei November-/Dezemberhilfe gingen Menschen wie ich leer aus. Begründung: "Ihre Auftraggeber sind nicht pandemiebedingt geschlossen." An Perfidie kaum zu überbieten, wie ich finde.



    Die mehrsprachigen Online-Konferenzen, die wir seither 'vertonen', machen nur einen Bruchteil dessen aus, was es früher an Arbeit gab, vielleicht zehn bis 20 Prozent.



    Auf H-IV bzw. GruSi verwiesen zu werden, erwies sich vor allem für Ältere als Problem, denn Altersrücklagen waren erst so stark aufzubrauchen, dass am Ende bei 20 angenommenen Lebensjahren im Rentner*innenalter max. 400 Euro im Monat übrigbleiben würden. Das Gros der "Solos" in Kulturberufen mit direktem Kundenkontakt ist weiblich. Die Chose ist also zutiefst frauen- und altersdiskriminierend, kurz: machistisch. Wen wundert's. Das Bild der "Bazooka" hätte nie eine Frau gewählt.



    [Über die Lage dieses Jahr kann ich nicht viel sagen. Ich hatte Glück im Unglück, habe jetzt zwei Industriekunden, aber nicht alle konnten wechseln.]