Corona und Kolumbiens Gefängnisse: Aufstand im Knast

Ein wegen des Coronavirus verhängtes Besuchsverbot verschärft die Lage in Kolumbiens ohnehin hoffnungslos überbelegten Gefängnissen.

Menschen laufen eine Straße entlang

Familienangehörige von Gefangenen eilen über eine Straße auf das Gefängnis La Modelo zu Foto: John Paz/dpa

BOGOTÁ taz | In kolumbianischen Gefängnissen rebellieren die Häftlinge aus Angst vor dem Coronavirus. In Bogotá sind nach Angaben des Justizministeriums am Samstag 23 Gefangene bei einem Fluchtversuch aus dem Gefängnis La Modelo gestorben, 83 wurden verletzt.

Von den sieben verletzten Mitarbeitern der Gefängnisbehörde Inpec sind zwei in kritischem Zustand. Auch in zwei weiteren Gefängnissen in der Hauptstadt und mindestens fünf weiteren im Land rebellierten Häftlinge.

Was genau in La Modelo und in anderen Gefängnissen geschah, ist bislang schwer nachzuprüfen. Journalist*innen, die Videos von drinnen zugespielt bekamen, haben diese bewusst nicht verbreitet – die Bilder seien zu grausam. Eine Journalistin, die auf Nachfrage Videos an Kolleg*innen weitergibt, spricht von Massakern. Anwohner*innen berichten, sie hätten Schüsse gehört.

Justizministerin Margarita Cabello Blanco betonte, dass kein Häftling aus La Modelo entflohen sei, und stritt ab, dass Gesundheitsprobleme den Fluchtversuch motiviert hätten. Es gebe keinen einzigen Fall von Coronavirus in kolumbianischen Gefängnissen, weder bei Insassen noch beim Personal.

Es ist unmöglich, den Sicherheitsabstand einzuhalten

Die nationale Ombudsstelle und das staatliche Kontrollorgan für Beamt*innen forderten die Regierung hingegen auf, aus gesundheitlichen Gründen den Gefängnisnotstand auszurufen. Der Aufstand begann weniger als 24 Stunden, nachdem Präsident Iván Duque eine nationale Quarantäne bis 13. April angekündigt hatte.

Gewerkschaften von Gefängnispersonal, soziale Organisationen und Universitäten warnen schon länger vor der großen Gefahr, in der sich die Häftlinge und das Personal befinden. Die Zustände in kolumbianischen Gefängnissen sind menschenunwürdig. Die Überbelegung beträgt landesweit durchschnittlich 55 Prozent, in einigen Gefängnissen sogar 500 Prozent.

Es ist es unmöglich, den empfohlenen Sicherheitsabstand gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus einzuhalten. In manchen Gefängnissen gibt es nicht einmal Wasser. In Zeiten der Pandemie fehlt es selbst dem Personal an Schulung, Handschuhen und Mundschutz. In den meisten Gefängnissen kommen auf 5.000 Häftlinge zwei Ärzte.

Zudem hat Präsident Iván Duque am 12. März als Präventionsmaßnahme alle Besuche verboten. Das verschärft die Probleme. Denn für die Versorgung der Insassen sind großenteils die Verwandten zuständig: Sie bringen Kleider, Nahrung und Hygieneartikel – wie die Seife zum Händewaschen. Insassen klagen, dass sie ohne die Pakete Hunger leiden. Erst vor Kurzem wurden die staatlichen Essensrationen wieder gekürzt.

„Eine solche Schließung führt zur Unterversorgung und stört die soziale Ordnung der Gefängnisse, schafft Gewalt und Panik“, sagte Libardo Ariza, Mitglied der Gefängnis-Forschungsgruppe der Universidad de los Andes, der Zeitung El Espectador.

Ähnlich äußerten sich im Fernsehen Angehörige, die am Sonntag stundenlang verängstigt vor dem Gefängnis La Modelo auf Informationen warteten. Sie hatten auch zwölf Stunden nach den Vorkommnissen keine offizielle Nachricht erhalten, ob ihre Verwandten unter den Todesopfern oder Verletzten seien.

Am Sonntag kam es in drei weiteren Gefängnissen zu Unruhen.

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