Corona und Berliner Abgeordnetenhaus: Nicht schön, aber unumgänglich
Angesichts des Coronavirus wird im Berliner Abgeordnetenhaus diskutiert, für den Krisenfall ein Notparlament zu ermöglichen. Ein Wochenkommentar.
G espenstisch wirkte das am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Nur wenig mehr als die Hälfte der Parlamentarier im Plenarsaal, keine Zuschauer außer Journalisten. Doch was an diesem Tag noch gewollt war, um die Abstandsregeln in Zeiten von Corona einzuhalten, könnten demnächst die Umstände erzwingen – wenn auch Abgeordnete in großen Zahlen krank werden oder als Verdachtsfälle in Quarantäne gehen müssen. Dann aber steht die Parlamentsarbeit auf der Kippe: Beschlüsse sind laut Verfassung nur dann möglich, wenn mehr als die Hälfte der gewählten Mitglieder anwesend ist, also 81 von 160.
Abgeordneten wie dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Torsten Schneider, gruselt vor dem Moment, wenn diese Zahl nicht erreicht wird. Denn dann ist es zu spät für einen B-Plan – den müsste das Parlament ja beschließen, was dann aber nicht mehr geht. Schneider und die SPD-Fraktion haben daher vorgeschlagen, die Verfassung zu ändern und für den Krisenfall ein Notparlament zu ermöglichen, das nur noch knapp 28 Mitglieder hätte.
Diesen Vorstoß unterstützt bislang aber nur die oppositionelle CDU. Zu tief sind aus Sicht der Kritiker die Eingriffe in die Rechte gewählter Abgeordneter. Tatsächlich würden sich ja knapp 130 der 160 Parlamentsmitglieder selbst entmachten, stimmten sie dem Gesetz zu. Mancher hatte schon den Vergleich zum Ermächtigungsgesetz von 1933 im Kopf – wobei der Vergleich nicht stimmt, denn dort, kurz gefasst, konzentrierte der Reichstag ja nicht seine Macht, sondern gab sie komplett an die Regierung ab.
Trotzdem gibt es Bedenken, wenn es mal in der Hand eines nicht so urdemokratischen Parlamentspräsidenten wie derzeit dem SPD-Mann Ralf Wieland liegen sollte, über einen Notstand zu entscheiden und das Notparlament einzuberufen. Wobei ja auch das die vorherigen Mehrheitsverhältnisse wahren soll.
SPD-Mann Schneider argumentierte am Mittwoch im Hauptausschuss sinngemäß so: Um die individuellen Rechte zu wahren, müsse man erst mal den Bestand des Ganzen sichern – wenn das Parlament erst mal beschlussunfähig ist, kann man nur noch warten, bis wieder Abgeordnete gesunden oder nach 14 Tagen aus der Quarantäne zurückdürfen. Wer nun etwa auf die über zweimonatige Sommerpause des Parlaments im Jahr 2019 schaut, der könnte durchaus einwenden: War doch wohl auch kein Problem. Was dabei außer Acht bleibt: wenn nötig, hätte der Parlamentspräsident auch in den Ferien eine Sondersitzung einberufen können. Und was ist, wenn Abgeordnete nicht bloß in Quarantäne sind, sondern schwerer erkranken?
Die Warnung vor übereilten Maßnahmen ist allgegenwärtig, aber beim Parlament drängt die Zeit tatsächlich, einen B-Plan festzulegen. Ein befristetes Notparlament scheint deshalb bei allen Bedenken richtig – an den Abgeordneten selbst ist es, jetzt noch ein ausreichendes Sicherungssystem dabei einzubauen, damit es keinen Missbrauch geben kann.
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