piwik no script img

Corona in der FleischindustrieLandkreise kontrollieren per Brief

In Niedersachsen gerät die Kontrolle der Arbeiterunterkünfte zur Farce. In Schleswig-Holstein klagt ein Schlachthof gegen die Quarantäne.

Die eine oder andere Rinderhälfte muss warten: Vion will gegen die Quarantänebestimmungen klagen Foto: Oliver Krato/dpa

Hannover taz | Niedersachsen hat umfassende Kontrollen der Unterkünfte von Schlachthof-Arbeitern angekündigt, nachdem es in Nachbarländern zu massenhaften Corona-Infektionen gekommen war. Nun stellt sich heraus, dass die Kontrollen bestenfalls sehr lückenhaft stattfinden.

„Im April wurde von den Gewerbeaufsichtsämtern in 15 Betrieben eine Überprüfung in den Schwerpunktregionen Schlacht- und Zerlegebetriebe begonnen“, schreibt das Gesundheitsministerium auf taz-Anfrage. 183 Betriebe mit 23.700 Beschäftigten hat die Branche im Land.

Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) musste am Mittwoch in ihrer Antwort auf eine Grünen-Anfrage im niedersächsischen Landtag einräumen: „Die Überprüfungen erfolgten bis auf eine Ausnahme in fernmündlicher und schriftlicher Form.“ Im Klartext heißt das: Die Betriebe werden angeschrieben und aufgefordert ein schriftliches Konzept vorzulegen. Die Ergebnisse sind noch in der Auswertung.

Ähnlich ergiebig fallen die Kontrollen der Unterkünfte von Erntearbeitern aus, die das Ministerium ebenfalls auflistet. Auch hier haben manche Landkreisen die Betriebe lediglich angeschrieben und auf die zu treffenden Hygienemaßnahmen aufmerksam gemacht. In anderen Gebieten mussten die Behörden feststellen, dass es noch zu früh ist: „Eine größere Auslastung der Unterkünfte wird erntebedingt ab Mitte Mai erwartet“, heißt es etwa aus dem Landkreis Vechta. Die Unterkünfte standen bisher teilweise leer.

Unklare Zuständigkeiten

Ein Problem bei der Umsetzung der Kontrollen sind unklare Strukturen, Zuständigkeiten und Rechtsauffassungen in den Landkreisen. Für die Kontrollen seien teilweise die Gewerbeaufsichtsämter, die Gesundheitsämter, die Bauaufsicht oder der Zoll zuständig, sagt die Ministerin.

Einzelne Anforderungen aus ihrer Corona-Verordnung haben rechtlich zudem eher Empfehlungscharakter. So sagte der Bürgermeister der Samtgemeinde Sögel im Emsland dem NDR, Einzelzimmer für die rund 1.800 osteuropäischen Arbeiter, die hier im Schlachthof Weidemark arbeiten, seien „völlig lebensfern“. So viel Wohnraum gäbe es im Ort ja gar nicht.

Auch der Landkreis Cloppenburg hatte der taz erklärt, er würde keine Kontrollen der Unterkünfte vornehmen, weil es hier ja gar keine Sammelunterkünfte mehr gebe – sondern überwiegend private Wohngemeinschaften.

Dafür musste sich das örtliche Gesundheitsamt nun offenbar noch einmal von der Ministerin ins Gebet nehmen lassen. Auch das Gesundheitsamt Cloppenburg werde nun die angeforderten Kontrollen durchführen, sagte Reimann im Landtag.

Sie räumte gleichzeitig ein, dass sich die Kontrolle von Wohnraum, der offiziell „privat“ angemietet ist, schwierig gestaltet. Kontrollen könnten hier, wenn überhaupt, nur mit Ankündigung und in Gegenwart der Mieter erfolgen. Sie setze hier eben auch auf die Vernunft und Einsicht der Subunternehmer, sagte Reimann. Immerhin verdienten die nichts mehr, wenn ein Betrieb aufgrund eines Corona-Ausbruchs geschlossen werden muss.

Die Überprüfungen erfolgten bis auf eine Ausnahme in fernmündlicher und schriftlicher Form

Carola Reimann (SPD), Gesundheitsministerin

So erging es dem Vion-Werk im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt. Hier hatten sich mehr als 120 Arbeiter infiziert, von denen viele in einer Sammelunterkunft in einer alten Kaserne in Kellinghusen untergebracht waren. Das Gesundheitsamt stellte die gesamte Unterkunft unter Quarantäne, der Betrieb wurde geschlossen.

Das Unternehmen hat nun dem zuständigen Kreis Steinburg eine Klage angedroht: Es möchte den Betrieb mit den negativ getesteten Arbeitern wieder hochfahren und hält die Quarantäneauflagen für unverhältnismäßig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • „Die Überprüfungen erfolgten bis auf eine Ausnahme in fernmündlicher und schriftlicher Form.“

    Wer kann sich sowas ausdenken...? 🙄

    • 0G
      05653 (Profil gelöscht)
      @Sebas.tian:

      Der Papst kündigt seine Visiten in Slums und Favelas auch Monate vorher an.

  • Es bräuchte nicht einmal eine Kontrolle per Brief, wenn man wirklich die Einhaltung der Schutzmaßnahmen sicher stellen wollte - die Städte haben schon jetzt alle nötigen Informationen, um die Einhaltung der Corona-Vorschriften bei der Unterbringung von Arbeitern zu überprüfen: Über das Meldegesetz.



    Eine Datenbankabfrage reicht. Und wenn die Arbeiter nicht ordnungsgemäß gemeldet sind, erlaubt schon das geltende Meldegesetz die Verhängung von empfindlichen Bußgeldern.

  • In dieser Angelegenheit muss man äußert behutsam vorgehen.



    Nicht, dass Schalke plötzlich in eine finanzielle Schieflage gerät.