Corona in der Fleischindustrie: Landkreise kontrollieren per Brief
In Niedersachsen gerät die Kontrolle der Arbeiterunterkünfte zur Farce. In Schleswig-Holstein klagt ein Schlachthof gegen die Quarantäne.
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„Im April wurde von den Gewerbeaufsichtsämtern in 15 Betrieben eine Überprüfung in den Schwerpunktregionen Schlacht- und Zerlegebetriebe begonnen“, schreibt das Gesundheitsministerium auf taz-Anfrage. 183 Betriebe mit 23.700 Beschäftigten hat die Branche im Land.
Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) musste am Mittwoch in ihrer Antwort auf eine Grünen-Anfrage im niedersächsischen Landtag einräumen: „Die Überprüfungen erfolgten bis auf eine Ausnahme in fernmündlicher und schriftlicher Form.“ Im Klartext heißt das: Die Betriebe werden angeschrieben und aufgefordert ein schriftliches Konzept vorzulegen. Die Ergebnisse sind noch in der Auswertung.
Ähnlich ergiebig fallen die Kontrollen der Unterkünfte von Erntearbeitern aus, die das Ministerium ebenfalls auflistet. Auch hier haben manche Landkreisen die Betriebe lediglich angeschrieben und auf die zu treffenden Hygienemaßnahmen aufmerksam gemacht. In anderen Gebieten mussten die Behörden feststellen, dass es noch zu früh ist: „Eine größere Auslastung der Unterkünfte wird erntebedingt ab Mitte Mai erwartet“, heißt es etwa aus dem Landkreis Vechta. Die Unterkünfte standen bisher teilweise leer.
Unklare Zuständigkeiten
Ein Problem bei der Umsetzung der Kontrollen sind unklare Strukturen, Zuständigkeiten und Rechtsauffassungen in den Landkreisen. Für die Kontrollen seien teilweise die Gewerbeaufsichtsämter, die Gesundheitsämter, die Bauaufsicht oder der Zoll zuständig, sagt die Ministerin.
Einzelne Anforderungen aus ihrer Corona-Verordnung haben rechtlich zudem eher Empfehlungscharakter. So sagte der Bürgermeister der Samtgemeinde Sögel im Emsland dem NDR, Einzelzimmer für die rund 1.800 osteuropäischen Arbeiter, die hier im Schlachthof Weidemark arbeiten, seien „völlig lebensfern“. So viel Wohnraum gäbe es im Ort ja gar nicht.
Auch der Landkreis Cloppenburg hatte der taz erklärt, er würde keine Kontrollen der Unterkünfte vornehmen, weil es hier ja gar keine Sammelunterkünfte mehr gebe – sondern überwiegend private Wohngemeinschaften.
Dafür musste sich das örtliche Gesundheitsamt nun offenbar noch einmal von der Ministerin ins Gebet nehmen lassen. Auch das Gesundheitsamt Cloppenburg werde nun die angeforderten Kontrollen durchführen, sagte Reimann im Landtag.
Sie räumte gleichzeitig ein, dass sich die Kontrolle von Wohnraum, der offiziell „privat“ angemietet ist, schwierig gestaltet. Kontrollen könnten hier, wenn überhaupt, nur mit Ankündigung und in Gegenwart der Mieter erfolgen. Sie setze hier eben auch auf die Vernunft und Einsicht der Subunternehmer, sagte Reimann. Immerhin verdienten die nichts mehr, wenn ein Betrieb aufgrund eines Corona-Ausbruchs geschlossen werden muss.
Carola Reimann (SPD), Gesundheitsministerin
So erging es dem Vion-Werk im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt. Hier hatten sich mehr als 120 Arbeiter infiziert, von denen viele in einer Sammelunterkunft in einer alten Kaserne in Kellinghusen untergebracht waren. Das Gesundheitsamt stellte die gesamte Unterkunft unter Quarantäne, der Betrieb wurde geschlossen.
Das Unternehmen hat nun dem zuständigen Kreis Steinburg eine Klage angedroht: Es möchte den Betrieb mit den negativ getesteten Arbeitern wieder hochfahren und hält die Quarantäneauflagen für unverhältnismäßig.
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