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Corona im Globalen SüdenBei uns ist der Lockdown Luxus

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der Stillstand der Wirtschaft ist für die Menschen in armen Staaten eine Katastrophe. Sie sind existenziell bedroht.

Die Coronakrise trifft den globalen Süden besonders hart, hier in Uganda verteilt das Militär Essen Foto: Hajarah Nalwada/dpa

I n manchen Gegenden Deutschlands herrscht eine Art Ausgangssperre. Die häusliche Gewalt steigt an. Das Gesundheitssystem ist am Anschlag. Einige Firmen und Restaurants werden trotz Staatshilfe pleitegehen. Doch im globalen Maßstab sind das derzeit Luxusprobleme. Niemand weiß, wie viele Corona-Fälle es zwischen Guayaquil und Mumbai gibt. Die offiziellen Zahlen sind kaum brauchbar. Doch klar ist: Auch ohne massenhafte Infektionen sind die Folgen massiv.

Die teils rabiat durchgesetzten Ausgangssperren und die globale Rezession führen in ein Desaster, das weit schlimmer sein wird als die Schäden der Finanzkrise 2009. Den Lockdown, den Stillstand der Wirtschaft, muss man sich leisten können. In Hamburg und München ist das möglich. Wo Tagelöhner von der Hand in den Mund leben, in Wirtschaften, in denen die Menschen mehrheitlich ohne Arbeitsverträge oder Arbeitslosenversicherung jobben und keine Staatshilfen in Sicht sind, geht es kaum.

Die indischen Wanderarbeiter, die vor dem Hunger fliehen, sind ein Menetekel. Diese Krise ist eine wuchtige, existenzielle Bedrohung. Je ärmer die Staaten und Bevölkerungen sind, desto heftiger sind die Auswirkungen der Krise. Genau in dem Moment, in dem der Globale Süden Hilfe von den reichen Staaten benötigt, passiert das Gegenteil. Das Geld fließt nicht von Norden nach Süden, sondern umgekehrt. Mehr als 100 Milliarden Dollar sind seit Jahresanfang aus dem kriselnden Süden von Investoren abgezogen worden.

Ohnehin wackelige Haushalte in den armen Staaten kollabieren. Die USA und Europa, vor allem Deutschland, können es sich hingegen leisten, Billionen Dollar und Euro in Wirtschaft und Sozialsysteme zu pumpen. Es ist naheliegend, dass die westlichen Gesellschaften derzeit auf sich selbst starren. Aber dieser Blick hat etwas Enges und Herzloses. Die Solidarität nach innen funktioniert. Was jenseits der gut befestigten Grenzen passiert, verschwindet mehr als sonst vom Wahrnehmungsradar.

Mindestens ein Schuldenmoratorium

Die westlichen Regierungen tun sehr viel, um Ärzten das moralische Dilemma zu ersparen, zu wählen, welcher Patient die rare nötige Behandlung bekommt, welcher nicht. Das ist richtig. Doch zu einer Ethik des Notfalls gehört das Globale. Der Westen aber tut wenig.

Das Mindeste ist ein Schuldenmoratorium, wie es IWF und Weltbank vorgeschlagen haben – und zwar nicht nur für die allerärmsten Staaten, sondern für all jene überschuldeten Staaten, die nun Milliarden in den Norden transferieren, anstatt ihre maroden Gesundheitssysteme zu retten. Ist es derzeit nicht schlicht unmoralisch, Zinsen von Staaten zu kassieren, die Geld für das schiere Überleben benötigen?

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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5 Kommentare

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  • 1)



    "Das Geld fließt nicht von Norden nach Süden, sondern umgekehrt. Mehr als 100 Milliarden Dollar sind seit Jahresanfang aus dem kriselnden Süden von Investoren abgezogen worden."

    für kapital sollte es grundsätzlich keine bewegungsfreiheit geben.kapitalverkehrskontrollen schützen staaten davor von kapitalist*innen erpresst zu werden.

    ausserdem wirken sie stabilisierend-weil sie verhindern dass in wirtschaftskrisen kapital abgezogen wird.



    .

    "Ist es derzeit nicht schlicht unmoralisch, Zinsen von Staaten zu kassieren, die Geld für das schiere Überleben benötigen?"

    es ist nicht nur derzeit sondern generell unmoralisch!

    ein schuldenmoratorium ist zu wenig.die staatsschulden sollten anulliert werden

    "zu einer Ethik des Notfalls gehört das Globale. Der Westen aber tut wenig."

    3.)die uno braucht geld um entwicklungsländern zu helfen die corona virus-epidemie zu bekämpfen.dafür und für andere humanitäre aufgaben sollte eine international einheitliche luxussteuer auf den prestigekonsum der besserverdienenden eingeführt werden.

  • Welche Solidarität "nach innen" (außerhalb der engen Nachbarschaft) ist da bitte gemeint?

    Die deutschen Regierungen sind jedenfalls voll im Wahlkampfmodus.



    Söder wird aufgebaut, Laschet demontiert.



    Die institutionellen Virologen folgen fast alle dem aktuellen politischen Narrativ (alles gut so). Die "harten aber notwendigen Maßnahmen" sind völlig ungerecht verteilt aber es wird seit Wochen an keinem Schräubchen gedreht.

    Wann klagt mal jemand vor dem Bundesverfassungsgericht, das die Lasten so ungleich und willkürlich verteilt werden? Eigentlich sind vor dem Gesetz alle gleich und Einschränkungen von Grundrechten müssten verhältnismäßig sein.



    Da gilt aktuell nicht mehr. Baumärkte sind auf, Möbelgeschäfte sind zu.



    Kaffeegeschäfte sind zu, Alnatura hat auf. uns so weiter und so weiter.

    Nein ich sehe in den politischen Instanzen keinerlei Solidarität für niemanden und das sind die, auf die es auch international ankommt.

    Wenn ich mich persönlich mit Dschibuti solidarisch erkläre, hilft das dort niemandem.

  • Unsere Probleme sind Luxusprobleme, immer. Trotzdem müssen wir unsere Probleme lösen. Der Verweis, dass es andernorts schlimmer ist, ist eine unnötige Herabsetzung der hiesigen Bevölkerung.

    Das „Schöne“ an Corona ist doch, dass es eben alle gleichermaßen trifft, arm wie reich, und das es eben keine Armutskrankheit ist. Der Lebensstil der Wohlständigen begünstigt sogar das Virus.

    • @TazTiz:

      Wer also mit 5 Personen in einer 3zimmerwohnu g eingepfercht ist ohne Balkon ist weniger betroffen als jemand mit eigenem Haus und Garten in dem die Kinder spielen können?

      • @Obscuritas:

        Fühlen Sie sich also mit "indischer Wanderarbeiter" angesprochen? Konkurrieren um Betroffenheit?

        Die Krankheit trifft (bisher) in Deutschland vermehrt wohlständige, sozial und räumlich aktive Menschen. "Arme" sind bisher nicht übermäßig betroffen.