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Corona, Ukrainekrieg, AußenministerinEmotionaler Entwaffnungsschlag

Polen hat Menschen aus der Ukraine aufgenommen, baut aber einen Zaun gegen andere Geflüchtete. Baerbock ist laut einem Ranking die beliebteste Politikerin.

Der ukrainische Präsident Selenski war diese Woche im Deutschen Bundestag zu Besuch – virtuell Foto: Christian Ditsch

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Wir lenken uns mit Corona von ­Ukraine ab.

Und was wird besser in dieser?


Oder umgekehrt.

Standing Ovations für Ukraines Präsident Wolodimir Selenski im Deutschen Bundestag. In seiner Rede richtet er sich auch direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz. Dieser lässt den Appell unerwidert, danach geht’s direkt weiter mit der Tagesordnung. Debattiert wurde nicht der Krieg oder Deutschlands Verantwortung, sondern die Impfpflicht. Ein absurd klares Symbolbild für die Politik der Ampelkoalition?

Diese kleine Peinlichkeit ist nur mit einer großen zu beantworten. Es ist ein schmutziger Job, ich mach’s. Also. In einigen Jahren mit Toten, Zerstörungen und Katastrophen werden wir uns im ernüchterten Rückblick als Teil einer neuen, asymmetrischen Kriegsführung sehen. Präsident Selenski schaltet sich durch die Parlamente der Welt. In dem Regal, in dem er die feldgrünen Shirts findet, lägen auch Herrenoberhemden und Krawatten. Egal. Seine Reden heben bei historischen Berührungen an, führen von dort zu Ansprüchen, Klagen über nicht erfüllte Forderungen und münden in weitere, neue.

Der verbrecherische Krieg des russischen Regimes zielt auf De­moralisierung – Selenskis Strategie auf Moralisierung. Sein Publikum, unter Schock wie er, hütet sich darob, kleingeistige, kaltherzige Betrachtungen zu erwidern: Argumente, Abwägungen, Verstand. Es ist ein emotionaler Entwaffnungsschlag. Der Bundestag hätte natürlich gut daran getan, das erst wegzuatmen, bevor er „zur Tagesordnung übergeht“. Auf der stünden dann Argumente, Abwägungen, Verstand.

Die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen wollen die in Deutschland ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine schneller registrieren und besser verteilen. Warum wird man das Gefühl nicht los, dass mit diesen Geflüchteten so vieles reibungsloser und ohne große gesellschaftliche Grundsatzdebatten verläuft als noch mit denen, die 2015 kamen?

Ihr Lauser! Das sind insgeheim zwei Fragen. Erstens: 2015 zerfiel Merkels „Wir schaffen das“ in „Ich rede, ihr macht“. Also die politische Vorgabe der Kanzlerin, Flüchtlinge aufzunehmen, und die Arbeit vieler beruflicher und noch mehr ehrenamtlicher Helfer, die „es dann schafften“. Diesmal sind die ausführenden Strukturen, vor allem das eingeölte Engagement der Zivilgesellschaft, austrainiert am Start.

Zweitens: gediegener Rassismus, dem der europäische Ukrainer doch näher scheint als der muslimische Syrer. Wird derzeit uneinholbar von Polen getoppt. Das kleinere, wirtschaftlich schwächere Nachbarland hat bereits 1,9 Millionen Ukraine-Flüchtende aufgenommen, aber noch Geld über, um einen Zaun gegen ein paar Dutzend belarussische Schleuslinge zu bauen. Daran ist nun tunlichst nicht zu rühren, entsprechend großzügig schauen wir auf uns selbst. 



Papst Franziskus nennt den Krieg – gemeint ist höchstwahrscheinlich der in der ­Ukraine – einen „perversen Machtmissbrauch“. Warum klingt diese Aussage so zynisch, wenn sie aus seinem Mund kommt?

Kyrill, Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, war als KGB-Offizier Kollege von Wladimir Putin. Dagegen ist Franziskus doch eher Laienprediger.

An dieser Stelle würde ich gerne noch eine Frage stellen, die irgendetwas mit Frauen zu tun hat. Leider entdecke ich kaum eine, wenn ich mich im aktuellen Weltgeschehen umblicke. Außer Außenministerin Annalena Baerbock vielleicht, deren Job ihre Präsenz natürlich erfordert. Fällt Ihnen noch eine andere Frau ein?

Baerbock ist laut aktueller Spiegel-Messung beliebteste Politikerin, dafür Spiegel, ­Lambrecht, Lemke ans Ende der Skala sortiert. Das sagt erst mal nicht mehr, als dass die Grüne auch nichts ausrichtet gegen den notorischen Amtsbonus des Außenamts. Der interna­tio­nal renommierte Feminist Erdoğan garnierte seinen Austritt aus der Istanbul-Konvention für Frauenrechte mit dem Lob: „Früher kam Merkel und hielt den Schlüssel zur Lösung des Problems in der Hand. So eine Führungsfigur fehlt heute.“ Finnland, Schweden, Dänemark hätten mit Marin, Frederikson und Andersson ein Triumfeminat zu bieten. Vielleicht kann man Putin damit drohen.

Und was machen die Borussen?

Das Fanzine schwatzgelb präsentiert ein Doppelinterview mit den Borussenfans Oleg und Igor aus Russland und der ­Ukraine. Sie beobachten trotz allem ihren Klub, und ich bekomme Kitschalarm und Gänsehaut gleichzeitig beim Lesen. 



Fragen: Anna Meyer-Oldenburg



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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".