Corona-Strategien der EU: Wo bleiben die Coronatests?
Die WHO empfiehlt, flächendeckend zu testen und Infizierte zu isolieren. Die EU-Länder halten sich nicht daran, sondern verhängen Kontaktsperren.
WHO-Experte Mike Ryan warnt in der BBC: „Die Gefahr bei den Ausgangsbeschränkungen ist: Wenn wir keine scharfen Gesundheitsmaßnahmen beschließen, droht sich das Virus wieder zu verbreiten, wenn die Bewegungseinschränkungen wieder aufgehoben werden.“ Worauf man sich wirklich konzentrieren müsse: „die Kranken mit Infektionen zu finden und sie zu isolieren“, sagt er.
Doch daran hält sich bisher kaum ein EU-Land. An einigen Grenzen und in „Drive-through“-Stationen für Autofahrer wird zwar getestet. Doch von einer aktiven Suche nach Kranken kann keine Rede sein – im Gegenteil: In den meisten Ländern wird den Infizierten empfohlen, zu Hause zu bleiben und keinen Test durchzuführen.
So will es auch die EU-Kommission in Brüssel. Mitte März hat sie eine Strategie vorgelegt, an die sich die 27 EU-Staaten beim Testen halten sollen. Demnach soll vor allem in Krankenhäusern getestet werden – und auch dort vor allem Patienten mit ernsten Atemwegsbeschwerden, andere nicht.
Die EU folgt ihrer eigenen Behörde mehr als der WHO
Wie ist dieser Widerspruch zu den WHO-Empfehlungen zu erklären? Die taz hat bei der EU-Kommission nachgefragt. Man folge immer den Empfehlungen der WHO und des europäischen Präventionszentrums ECDC, teilte ein Sprecher der Behörde mit. Allerdings verfolge nicht jedes Land dieselbe Strategie, was mit der Zahl der Coronafälle und der unterschiedlichen Ausgangslage zusammenhänge.
„Deshalb hat die Kommission die Empfehlungen für Teststrategien veröffentlicht – um den Mitgliedstaaten zu helfen, Prioritäten beim Testen zu setzen, die auf der wissenschaftlichen Expertise des ECDC beruhen“, betont der EU-Sprecher.
In der Praxis scheint sich die Kommission also mehr an der EU-Behörde ECDC auszurichten als an der WHO. Und die ECDC spricht keine Empfehlung für flächendeckende Coronatests und die systematische Isolierung von Erkrankten aus. Der letzte Bericht der EU-Experten befasst sich vielmehr mit „social distancing“ – also den Kontakt- und Ausgangssperren.
Diese sollten mit einem „Enddatum“ versehen werden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu gefährden, fordert die ECDC. Doch auch an diese Empfehlung hält sich bisher noch kein EU-Land – im Gegenteil: Italien, Frankreich und Belgien haben bereits eine unbefristete Verlängerung der Ausgangssperren angekündigt. Die Hoffnung, dass Ostern endlich Schluss ist, verfliegt.
Dies hängt auch mit den fehlenden Testprogrammen zusammen. Denn bisher verfügen die meisten EU-Staaten nicht einmal über genug Tests, um alle Ärzte und Krankenschwestern regelmäßig durchzuchecken. Auf die naheliegende Idee, die Verbreitung der offenbar knappen Coronatests gezielt zu fördern, ist man in Brüssel noch nicht gekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt