Weltweite Folgen der Corona-Krise: Einmal ums Eck bitte
Die Corona-Pandemie verändert weltweit das Leben. Wir haben Korrespondenten gebeten, um ihren Häuserblock zu gehen und ihre Eindrücke zu schildern.
Peking: Geschlossene Siedlungen und offene Restaurants
S chon beim ersten Schritt ins Freie grüßt die Pekinger Frühlingssonne von einem smogfreien, strahlend blauen Himmel. Im Vorhof der eingezäunten Wohnsiedlung reden zwei Männer ausgelassen miteinander auf einer Parkbank. Junge Frauen in Yoga-Hosen und Schlbberpullis führen überzüchtete Mini-Hunde spazieren.
Ist in Chinas 20-Millionen-Metropole wieder ganz normaler Alltag eingekehrt?
Nicht wirklich. Das zeigt der Gang zum Pförtnerhäuschen, an dem zwei Wachmänner in schwarzer Uniform und eine in pink gekleidete Frau vom freiwilligen Nachbarschaftskomitee stehen. Sie kontrollieren rund um die Uhr, dass sich keine fremde Person Zugang zur Wohnsiedlung verschafft. Ob Verwandte, die eigene Freundin oder der Techniker: Niemand, der nicht hier wohnt, darf derzeit auf das Gelände.
Auch nicht die zwei Lieferanten, die gerade auf dem Bürgersteig dutzende Pakete aufeinander schichten. Gut betuchte Pekinger benutzen derzeit exzessiv ihre Shopping-Apps, um nicht mehr das Wohngelände verlassen zu müssen: von Lunch-Boxen über Großeinkäufe bis hin zum morgendlichen Starbucks-Café.
150 Meter weiter befindet sich der nächstgelegene Supermarkt, der wie schon zum Höhepunkt der Krise auch heute regulär geöffnet hat. Am Eingang wartet ein Angestellter, der jedem Kunden die Körpertemperatur misst und Name sowie Handynummer notiert.
Eine Ecke weiter erreiche ich die Hauptstraße, auf der seit Montag fast schon wieder Berufsverkehr zu herrschen scheint. Vornehmlich ältere Leute sind auf den Bürgersteigen unterwegs, um Besorgungen zu erledigen. Die meisten tragen nach wie vor Masken, wenn auch mittlerweile auffällig viele ihren Gesichtsschutz unter's Kinn geschoben haben – quasi ein heruntergenommenes Visier, das jederzeit wieder hochgefahren werden kann. Ohne Gesichtsmaske erhält ohnehin niemand Zutritt in geschlossene Räume.
Etwa in die Restaurants, die sich in der nächsten Eckstraße zu einem guten Dutzend aneinanderreihen. Herrliche Gerüche spiegeln die regionale Vielfalt der chinesischen Küche wieder: angefangen mit kalten Liangpi-Nudeln aus Xi'an über gegrillte Lammspieße der Xinjiang-Region hin zum Restaurant für Sichuan Hotpot. Gut gefüllt sind sind die Läden noch nicht, ohnehin müssen die Betreiber die Hälfte ihrer Sitzplätze sperren. Doch noch vor wenigen Tagen war noch die komplette Geschäftsstraße geschlossen. Fabian Kretschmer, Peking
In Peking bestehen keine Ausgangssperren und weitestgehende Bewegungsfreiheit, solange man die Stadtgrenzen nicht verlässt.
In China bisher mit Corona infizierte und registrierte Personen: 81.171. Tote: 3.277
Wien: Keine Gesichtsmasken, aber gut gefüllte Regale
Im Haus herrscht Totenstille. Der Schulhof ist verlassen. Keine Zwölfjährigen, die laut schreiend dem Fußball hinterher jagen, keine Mädchen, die sich im Hochsprung versuchen, kein Turnlehrer, der den 60-Meter-Lauf mit seiner Stoppuhr überwacht.
Aus der Maria Lourdes Kirche nebenan ist hin und wieder Orgelmusik zu vernehmen, doch der Chor der Gläubigen bleibt aus. Vor dem Eingang zum Pfarrhof, wo sonst Dienstags Flüchtlinge und andere Bedürftige anstehen, um Lebensmittelspenden entgegenzunehmen, hängt ein Schild: die Warenausgabe sei bis auf Weiteres suspendiert. Ein für den 17. März angekündigter Vortrag über „Biblische Frauen im Alten Testament“ ist auf den 28. April verschoben.
Die Ruckergasse zählt zu den wichtigen Durchzugsstraßen des Bezirks. Sie ist kaum noch befahren. Statistiken sprechen von fünf Prozent des üblichen Verkehrsaufkommens. Die Busstation, wo der 7A und der 15A halten, ist verlassen. Im Bus, der pünktlich daherkommt, sitzen nicht mehr als drei Fahrgäste – in gehörigem Abstand voneinander. Die wenigen Fußgänger, die das Trottoir bevölkern, sind allein und eiligen Schrittes unterwegs. Wohl auch der klirrenden Kälte geschuldet, mit der sich der Frühling einstellt. Mundschutz trägt so gut wie niemand. Selbst die Kassiererinnen im Supermarkt verzichten auf Atemschutz. Sie tragen aber Gummihandschuhe und bitten um bargeldlose Zahlung. Die Panikkäufe sind vorbei, die Regale gefüllt. Nur Klopapier und Seife sind immer schnell ausverkauft. Manche halten sich an die Aufforderung, für die ganze Woche einzukaufen, andere, vor allem ältere Leute, nehmen den Einkauf als willkommenen Vorwand, um das Haus zu verlassen. Mit einer Flasche Wein und ein paar Süßigkeiten kämpfen sie gegen die Einsamkeit an.
Der kleine Park mit Spielplatz und Sandkiste ist durch ein Vorhängeschloss versperrt. Für alle, die noch nichts begriffen haben, sind Schaukel und Kletterturm zusätzlich mit Plastikbändern als No-go-Gebiete markiert. Die Tageszeitungen in der Trafik warten mit den neuesten Pandemie-Schlagzeilen auf: „Corona-Party: FPÖ-Politiker feierte mit!“ Ralf Leonhard, Wien
In Österreich sind Lokale, Geschäfte und Schulen geschlossen. Es bestehen Ausgehbeschränkungen.
Infizierte Personen: 4.791, Tote: 25.
Canberra: Viel Platz und die Angst vor Chinesen
Dick ist wütend. Zum ersten Mal in den 23 Jahren, die ich meinen Nachbarn kenne, zeigt dieser Urtyp des stoischen australischen Mannes Emotionen. Ich treffe ihn unten beim Zaun – aus sicherer „sozialer Entfernung“ natürlich. Dick und ich – wir haben ein Riesenglück. Wir wohnen im australischen „Busch“, auf großen bewaldeten Grundstücken, nördlich der Hauptstadt Canberra. Kängurus gibt es viele, Menschen keine. Außer eben Dick und seine Frau Tina (Namen geändert). Aber die wohnen 400 Meter weit weg. So weit springt kein Virus.
Erst vor ein paar Wochen hatte ich diese Isolation noch verflucht. Damals, als gigantische Waldbrände drohten, unser Paradies in Schutt und Asche zu legen. Der Himmel war Rot vom Inferno hinter dem Horizont, als Dick und ich uns in seiner Garage zu einem Bier trafen. Während ich zuvor in zunehmender Panik Testament und Lebensversicherung in den feuerfesten Tresor gelegt hatte, schaute Dick im Fernsehen ein Rugbyspiel. Der Mann war so „cool“ wie sein Bier.
Heute glüht er vor Wut. Es ist aber nicht die Regierung, die ihn in Rage bringt, weil die sich trotz eskalierender Corona-Krise weigert, das Leben in Australien auf Eis zu legen. Es ist auch nicht die höhnische Empfehlung von Premier Scott Morrison an 20.000 von den Fluglinien gefeuerte Menschen, sie könnten sich einen Job im Einzelhandel suchen. Nein, es sind die Panikkäufe, die Dick wütend machen. „Kein Klopapier, kein Fleisch“, wettert er nach dem Besuch im Einkaufszentrum. Als sich Tina zu uns stellt, geht’s richtig los. „Die Asiaten sind Schuld. Sie fahren in Bussen an und räumen alles leer. Dann exportieren sie das Essen nach China.“
Das Gerücht von den „plündernden Chinesen“ (ja, Chinesen, denn „die sehen alle gleich aus“) hält sich in Australien so hartnäckig wie ein SARS-CoV-2-Virus an einem Bierglas. Doch weder das Boulevard-Radio, das bei Millionen Australiern in der Küche plärrt, noch die Hetz-Blätter aus dem Hause Murdoch haben bisher einen Beweis für die „gelben Horden“ gebracht. Fremdenhass als Ablenkung von politischer Inkompetenz hat eine lange Tradition in Australien. Zuletzt bei den Buschfeuern. Konservative Kommentatoren machten da „wahrscheinlich islamistische Terroristen“ für die Feuer verantwortlich.
Nachbarin Tina glaubt bis heute an diese Mär.
Wieder zu Hause. Im Fernsehen wiederholt ein Arzt die Warnung vieler seiner Kollegen. „In 14 Tagen erleben wir hier, was Italien heute erlebt, wenn wir das Land nicht sofort stilllegen“.
Zeit, nochmals Testament und Lebensversicherung zu prüfen. Und Zeit für ein Bier. Urs Wälterlin, Canberra
Im australischen Bundesstaat New South Wales sind alle nicht essenziellen Geschäfte geschlossen. Schulen bleiben geöffnet.
Infizierte Personen: 2.136, Tote: 8.
New York: Vogelzwitschern und die große Pleitewelle
Statt der Musik aus Ghettoblastern, statt des Lärms von Motoren, die stundenlang im Parkmodus laufen, und statt Gesprächsfetzen, die in Telefone hineingeschrieen werden, höre ich einen Vogel zwitschern, der auf dem obersten Ast des Baums vor meinem Fenster sitzt. Kein Flugzeug dröhnt durch den strahlend blauen Himmel über Harlem.
Eine Straße weiter, wo ich öfter Capuccino getrunken habe, hängt jetzt das Schild „closed“ in Schaufenster. Das Café war noch in der Anlaufphase. Die Betreiber hatten es wochenlang renoviert. Angesichts eines möglicherweise monatelangem Stillstands haben sie aufgegeben. Auch der Salon, wo ich mir im Sommer die Fussnägel lackieren lasse, ist geschlossen. Aber in seinem Schaufenster steht, dass er wieder eröffnet, so bald die Krise vorbei ist. An den Türen der drei Kirchen, an denen ich vorbei gehe, hängt der Hinweis: Bis auf Weiteres geschlossen. Nur die Armenspeisung funktioniert noch. Das Essen wird am Eingang ausgeteilt. Niemand kommt mehr in den Gemeinschaftsraum der Kirchen.
Auf dem Malcolm X Boulevard habe ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Normalerweise sind an Frühlingstagen wie diesem die Terassen der Cafés rappelvoll. Jetzt sind die breiten Bürgersteige fast menschenleer. Die wenigen Passanten begrüßen sich gegenseitig, aber sie gehen sich aus dem Weg. Im Eingang des Kleider-Discountladens hat ein Obdachloser einen Schlafplatz eingerichtet.
Vor dem Drogeriemarkt verkauft ein fliegender Händler die Produkte, die im Inneren der Geschäfte schon seit Wochen ausverkauft sind. Masken und vor allem Hand-Desinfektionsmittel und Latex-Handschuhe. Vor dem Supermarkt stehen Absperrgitter. Zwei Männer in Uniform lassen nur jeweils fünf Personen herein. Ich stelle mich nicht in die Warteschlange. Sie ist zu lang und die Wartenden stehen zu dicht gedrängt. Dorothea Hahn, New York
Seit Sonntag gilt in New York eine Ausgangbeschränkung. Nur „unverzichtbare Beschäftigte“ dürfen die Straßen betreten.
Infizierte Personen: 46.168, Tote: 582.
Småland: Der kranke Nachbar und die Klopapierfabrik
„Hej, Birgitta, Husten“? Die Nachbarin vom Haus gegenüber, die gerade zwei Mülltüten in die grüne Tonne wirft, schaut mich erst fragend an. Dann versteht sie: „Ach so. Nein, alles Bestens. Hier sind wir doch sicher! Zu uns kommt kein Virus rein.“ Und nach einer nachdenklichen Pause fährt sie fort: „Åke hätten wir nicht rauslassen dürfen.“
Die Sache mit Åke hat uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Der älteste Bewohner unseres 16-Häuser-Dorfs im südschwedischen Småland wurde kurz nach Weihnachten operiert und sollte sich danach in einer Pflegeeinrichtung erholen. Kurz. Aus kurz wurde lang und länger. Letzte Woche meldete die Lokalzeitung erste Corona-Verdachtsfälle unter dem Personal der Einrichtung. Am Samstag dann eine vorläufige Entwarnung: die bisherigen Tests sind negativ. Aber Åke hört sich gar nicht gut an am Telefon. Alles ist jetzt hermetisch abgeriegelt. Keine Besuche möglich. Åke hatte gehofft Ostern wieder zu Hause zu sein. Das wird wohl nichts werden.
„Verdammter Mist“, wirft Birgitta den Deckel der Mülltonne zu. „Hör mal, ich will morgen früh in die Stadt fahren und diese Rentnerstunde testen. Brauchst du was?“ Ein Supermarkt hat vor ein paar Tagen eine neue Regelung eingeführt. Eine zusätzliche Stunde Öffnungszeit, von 7 bis 8 Uhr, ist für „Risikopersonen“, speziell 70-plus, reserviert worden.
„Nein, danke. Ich brauche nichts.“ – „Kein Klopapier?“, lästert Birgitta: „Hast du gemerkt, der Güterzug ist jetzt bestimmt doppelt so lang.“ Ja, das stimmt. In der Papierfabrik im nächsten Ort wird Toilettenpapier produziert. Derzeit fährt man wegen der explodierten Nachfrage Sonderschichten.
Die ersten Kraniche sind da, Vögel bauen in aller Eile ihre Nester fertig, Schneeglöckchen, Krokusse und Leberblümchen blühen. Die Ableger für neue Stachelbeersträucher sind prima angegangen und trotz mancher derber Frostnächte wollen Forsythien und Rhabarber nicht mehr länger warten. Frühling! Reinhard Wolff, Småland/Schweden
In Schweden sind Versammlung mit mehr als 500 Menschen untersagt. Höhere Gymnasialklassen machen Fernunterricht.
Moskau: Die leere U-Bahn und die starken Männer
Reisende schossen im Minutentakt aus den Schwingtüren, Fischschwärmen gleich. Sie bogen um die Ecke, ohne den Schwarm zu verlassen.
In den vergangenen Tagen ist es anders geworden. Langsamer, ruhiger und überschaubarer geht es an der Metrostation Leninskij Prospekt zu. Noch immer gibt es Reisende, sie folgen jedoch einem anderen Takt und lassen sich von der Masse nicht mehr mitziehen.Nur noch ein Drittel der früheren Passagiere nutzt zurzeit die Metro.
Ich bilde mir ein, die dünn besetzten Züge würden nicht mehr so viel Lärm machen. Vorher erschütterte jeder Zug die Fundamente der Häuser. Jetzt wirkt die Verkehrsader wie entschleunigt.
Die Bäckerin klagt darüber, dass sie nur noch knapp ein Drittel von den warmen Piroggen absetzt. Wie soll das weitergehen, fragt sie.
Die Berufsschule, die für das Gastgewerbe ausbildet, ist geschlossen. Die Schülerinnen und Schüler sorgten immer für einen lebendigen Geräuschpegel. Bis mindestens Mitte April wurden auch sie ausgesperrt.
Die Schornsteine des Heizkraftwerks glänzen in der Sonne, sie stoßen Dampf aus wie eh und je. In der Seitenstraße stellt die Apotheke die letzten Lieferungen in ungeöffneten Kartons ins Schaufenster: Infusionsbestecke aus Berlin sei es, ist dem Aufdruck zu entnehmen. „Noch etwas Desinfektionsmittel?“, ruft die Apothekerin, die eine neue Lieferung erhalten hat.
Die Apotheke bietet auch Schutzmasken an, knappe Ware auch in Russland. Inzwischen tragen einige Moskauer schon die bläulichen Gesichtsmasken. Man fällt damit jedoch auf.
Viele Passanten machen sich lustig. Angsthase? Feigling? Bist Du etwas Besseres als wir? Verraten die Blicke. Vor allem Männer reagieren so. Die Warnung zum Nachbarn Abstand zu halten hat sich bei der niedrigen Infektionsquote in Moskau noch nicht durchsetzen können.
In der Poliklinik um die Ecke werden die Patienten schon am Eingang sortiert. Mit Maske und Fieberpistole verbreitet die Krankenschwester gute Stimmung. Klaus-Helge Donath, Moskau
In Moskau sind Schulen, Theater und Sporteinrichtungen geschlossen. Für alle Menschen über 65 Jahren ist häusliche Isolation angeordnet.
Kigali: Geschlossene Märkte und leere Geldautomaten
Nicht einmal eine Stunde nachdem Ruanda am Samstagabend eine Ausgangssperre verhängt hat, strömen im mittelständischen Wohnbezirk Remera in der Hauptstadt Kigali die Menschen noch ein letztes Mal auf die Straßen. Vor den Supermärkten, die nur eine Stunde später schließen sollten, stauen sich die Autos. Familienväter schieben Einkaufswagen zwischen den Regalen entlang, ein seltsamer Anblick, da Einkäufe in der Regel von Frauen erledigt werden. Die Männer laden Milch und Saft sowie Dosenkonserven ein – haltbare Produkte, die sonst in Afrika eigentlich nicht sehr gefragt sind, weil es auf den Märkten alles frisch und billiger ist. Doch genau diese Märkte sind nun geschlossen, ebenso Bäckereien und Metzger. Die Folge: Tiefkühltruhen mit den gefrorenen Hähnchen und Fischfilets werden emsig leer geräumt, an der Brottheke liegt nur noch ein vertrocknetes Baguette.
Unterschwellige Panik macht sich breit. Dies merkt man vor allem vor den Bankautomaten, wo sich in Afrika eigentlich nur selten Warteschlangen bilden. An diesem Abend stehen dort die Menschen bis auf die Straße. Die meisten Automaten spucken bereits nach wenigen Kunden kein Geld mehr aus: leergeräumt. Viele Leute fluchen, hasten zu den Autos, um ihr Glück bei der nächsten Bank zu suchen. Die Agenten der Telekommunikationsfirmen, die mobile Geldtransfers via Handy anbieten, tummeln sich zu Dutzenden neben den Bankautomaten. Die Regierung hat die Leute aufgefordert, auf Bargeldzahlungen zu verzichten, um die Ansteckung durch Geldscheine zu vermeiden. So kommt es, dass die meisten Menschen die Bargeld-Bündel bei den Mobile-Money-Agenten wieder einzahlen. Doch auch da werden die Reserven knapp: Ein junger Agent mit der gelben Weste eines Telekom-Konzerns zeigt auf eine Umhängetasche voller Scheine. So viel Cash habe er noch nie gesehen, strahlt er. Sein virtueller Kredit auf seinem Handy sei jedoch aufgebraucht, er könne keine Überweisungen mehr tätigen. Simone Schlindwein, Kigali
In Ruanda besteht eine Ausgangssperre, die Grenzen und der Flughafen sind geschlossen.
Bochum: Ein Spaziergang auf der Partymeile
Das Virus springt mich schon im Hausflur an. Gleich drei Zettel hat die Hausverwaltung aufgehängt: Der Heizungsableser, der sonst jedes Frühjahr die digitalen, kryptisch blinkenden Messgeräte an den Heizkörpern anschaut und mit dem ich immer ein nettes Schwätzchen halte, kommt nicht. Ich soll die Werte per Mail schicken, schreibt der Vermieter – und bittet in rot: Wegen der „aktuellen gesundheitlichen Situation“ solle ich doch bitte sein „Büro nicht aufsuchen“.
Im Bochumer Stadtteil Ehrenfeld dann gähnende Leere. Auf der Straße ist kaum ein Mensch zu sehen. Das am Sonntagnachmittag verkündete Kontaktverbot funktioniert: Kommt mir doch mal jemand entgegen, weichen wir uns im weiten Bogen aus. Komisch, wie schnell ich mich an die Ansteckungsgefahr gewöhnt habe – und andere schon fast unterbewusst als virale Gefahr betrachte.
Der Spielplatz hinter dem Bochumer Schauspielhaus ist mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Am Vordereingang des Theaters ein riesiger, beleuchteter „Hinweis wegen Coronavirus“: Auf Beschluss der Stadt „keine Veranstaltungen bis 19.04.2020“, steht da schon seit einer Woche, und: „Bleiben Sie gesund!“ Warum ausgerechnet der 19. April, denke ich wie jedes Mal, wenn ich vorbeigekommen bin – obwohl ich natürlich weiß, dass das Ende der Schulferien das Hoffnungsdatum markieren soll, nach dem die Infektionen mit SARS-CoV-2 ihren Höhepunkt überschritten haben könnten.
Völlig leer ist die Partymeile des Ruhrgebiets, das Bermudadreieck. Hier, wo sonst bei schönem Wetter Tausende draußen sitzen, kommen mir genau zwei Menschen entgegen. Verlassen und dunkel liegen Szenekneipen wie „Freibeuter“, „Mandragora“ oder „Zacher“ vor mir. An ihren Türen informieren manche langatmig über „die Situation“, andere setzen auf ein cooles „We're closed“.
Essen zum Mitnehmen bieten nur noch das vietnamesische „Hatoky“, das „Taj Mahal“ und der „Pizzaman“. Der bittet per Aushang darum, auf jeden Fall telefonisch zu bestellen und den Laden nicht zu betreten. Auf dem Rückweg bekomme ich trotzdem gute Laune: Menschen, die ich nicht kenne, winken vom Balkon, ich winke zurück. Vielleicht stärkt das Virus Zusammenhalt und Solidarität?
Punkt 21 Uhr werden wir dennoch zusammenkommen. Denn seit letzter Woche legen manche Nachbar*innen jeden Abend Grönemeyers Liebeserklärung an Bochum auf, singen laut mit. Sie applaudieren, reden, halten Kontakt, muntern sich auf. Auch ich werde gleich die „4630 Bochum“ auf den Plattenteller legen. Und heute Abend den Verstärker laut aufdrehen. Andreas Wyputta, Bochum
In Bochum besteht das bundesweit gültige Kontaktverbot für mehr als zwei Menschen. Nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken sowie Drogerien, Bau- und Gartenmärkte sind geöffnet.
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