Corona-Lockerungen in Thüringen: Ramelow bleibt doch auf Abstand
Bodo Ramelow will nun doch nicht alle Schutzvorschriften streichen. Fürs Abstandhalten und Maskentragen soll es weiter Landesregeln geben.
Noch am Wochenende hatte Ramelow angekündigt, seinem Kabinett einen Vorschlag zu unterbreiten, „wie wir ab dem 6. Juni auf allgemeine Schutzvorschriften verzichten können“. Diese sollten ersetzt werden durch ein „Konzept des Empfehlens“. Sein Vorstoß hatte nicht nur, aber auch bei den Koalitionspartner:innen von der SPD und den Grünen für einige Irritationen gesorgt. Vertreter beider Parteien gaben in der Thüringer Allgemeinen zu Protokoll, sie seien von der Ankündigung „eiskalt“ erwischt worden.
Nun hat Ramelow sein Vorhaben relativiert. Wie aus dem „Entwurf einer Verständigung des Kabinetts“, der der taz vorliegt, hervorgeht, sollen zwar zahlreiche „Regeltatbestände“ wegfallen, beispielsweise die Kontakbeschränkungen. Aber doch nicht alle. So soll es neben der Abstandsregel und dem Mund-Nasen-Schutz auch weiter landesweit verordnete allgemeine und besondere Infektionsschutzregeln sowie Infektionsschutzkonzepte geben.
Auch dürften ab dem 6. Juni wohl Konzerthäuser, Schwimmbäder, Kinos, Messen, Diskos oder Bordelle wieder für den Publikumsverkehr öffnen dürfen. Großveranstaltungen bleiben allerdings noch bis zum 31. August landesweit verboten.
Schulöffnungen nach sächsischem Vorbild
Im Kern geht es Ramelow um die Verlagerung der Bekämpfung der Corona-Pandemie auf die lokale Ebene. Bei dem Erreichen eines Grenzwertes von 30 oder 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner:innen sollen umgehend Notfallmaßnahmen zur Eindämmung eingeleitet werden – wenn es sein muss, auch gegen den Willen der örtlichen Behörden. Dafür soll das Landesgesundheitsministerium die Kompetenz erhalten, „unmittelbar gegenüber den betreffenden Gebietskörperschaften die unmittelbare Fachaufsicht durch Weisung auszuüben“.
Noch nicht ganz klar ist, wie es in Thüringen nun genau mit den Schulen und Kitas weitergeht. In dem Kabinettsentwurf heißt es dazu nur, dass Bildungsminister Helmut Holter (Linkspartei) gebeten werde, „dem Kabinett darzulegen, unter welchen Rahmenbedingungen das sächsische Modell der Schul- und Kitaöffnungen adaptiert und eine Testung des Personals der Bildungseinrichtungen auf Wunsch und bei Bedarf gewährleistet werden kann“.
Eindringlich wird in dem Papier der Thüringer Staatskanzlei davor gewarnt, den Coronavirus nicht mehr ernstzunehmen. „Es ist und bleibt festzuhalten, dass die Pandemie nicht überwunden ist“, heisst es darin. „Es steht bislang weder ein Impfstoff noch ein Medikament zur Behandlung der Corona-Erkrankung zur Verfügung.“
Gegen den Rat der Linken-Parteispitze
Die Linke hatte bislang immer vor schnellen Lockerungen gewarnt, ja Parteichefin Katja Kipping die „Lockerungslobby“ in einem Diskussionsbeitrag heftig attackiert. Ein Kurs, den die Thüringer Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow grundsätzlich begrüßt hatte. Nun, da sich Ministerpräsident Ramelow selbst an die Spitze jener „Lockerungslobby“ stellt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihn zu verteidigen.
Sie finde Ramelows Vorschläge nicht falsch, sagt sie der taz. „Wir haben hier in Thüringen 250 Infizierte auf 2 Millionen Einwohner.“ Von einem Pandemiegeschehen könne wirklich nicht die Rede sein. „Von daher ist es richtig, dass wir demokratische Grundsätze wieder herstellen.“ Die Regierung handele zudem in dem Wissen, dass eine Abstimmung mit den Füßen bereits stattfinde. „Was hier passiert, ist nicht mehr aufzuhalten.“
Ramelow hatte sie und Vizechef Steffen Dittes in der Woche zuvor in seine Pläne eingeweiht – und war auf Skepsis gestoßen. Abbringen ließ er sich dennoch nicht von dem Weg, Thüringen zum Vorreiter bei der Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen zu machen. Auch die Berliner Parteispitze wurde lediglich in Kenntnis gesetzt. „Von einer Abstimmung kann man nicht reden“, sagte Parteichef Bernd Riexinger bei der montäglichen Pressekonferenz der Partei auf Nachfrage, ob Ramelow sich mit ihm und Kipping zuvor abgesprochen habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken