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Corona-Infektionszahlen steigen weiterSo viele wie seit April nicht mehr

Über 2.800 Menschen haben sich in den letzten 24 Stunden mit Corona infiziert. Berlin verhängt eine Sperrstunde. Rufe nach einheitlichen Regeln werden lauter.

Nicht angenehm: Die Coronalage ist weltweit ernst – auch in Deutschland steigen die Zahlen Foto: dpa

Berlin dpa | Die Zahl erfasster Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland ist so hoch wie seit der zweiten Aprilhälfte nicht mehr. Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter 2.828 neue Corona-Infektionen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwochmorgen bekanntgab.

Das sind über 150 mehr als am Freitag, als mit 2.673 Neuinfektionen innerhalb eines Tages der zuvor geltende Höchstwert seit der zweiten Aprilhälfte gemeldet worden war. Es sei notwendig, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiere, mahnte das RKI in seinem Lagebericht vom Dienstagabend.

Derzeit liege die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen in Berlin und Bremen sehr deutlich, in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen deutlich über dem bundesweiten Durchschnittswert. Fallhäufungen werden demnach derzeit insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis sowie unter anderem in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern sowie verschiedenen beruflichen Settings erfasst. Der Anteil der Reiserückkehrer aus dem Ausland sei deutlich gesunken.

Wegen des starken Anstiegs der Infektionen gelten in Berlin bald eine nächtliche Sperrstunde und strengere Kontaktverbote für drinnen und draußen: Die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars müssen von 23 Uhr bis 6 Uhr schließen. Das beschloss der Senat am Dienstag. Ausnahmen sind demnach etwa für Apotheken oder Tankstellen geplant, Letztere dürfen in der Nacht aber keinen Alkohol mehr verkaufen.

Auch die Zahl der schwer Erkrankten steigt

Im Freien dürfen sich von 23 Uhr bis 6 Uhr nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln, wie der Senat weiter beschloss. An privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10 statt bisher 25 Personen teilnehmen.

Die steigenden Zahlen sind auch deshalb bedenklich, weil sich inzwischen wieder mehr Patient:innen aus Risikogruppen infizieren. Entsprechend zeichnet sich ein Anstieg bei den intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten ab. Laut aktuellem RKI-Bericht (Stand 6.10., 13.15 Uhr) werden derzeit 449 Corona-Infizierte intensivmedizinisch behandelt, 219 davon werden beatmet. Vor einer Woche (29.9.) hatte der Wert noch bei 352 (195 beatmet) gelegen, in der Woche davor (22.9.) bei 278 (151 beatmet). Rund 8.900 Intensivbetten sind in den deutschen Kliniken derzeit noch frei.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen in Deutschland vom Dienstag bei 1,15 (Vortag: 1,21). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel mehr als einen weiteren Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab. Zudem gibt das RKI in seinem aktuellen Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert bei 1,08 (Vortag: ebenfalls 1,08). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.

Die deutsche Politik ist sich indes nicht einig, wie sie auf die steigenden Zahlen reagieren will. Vor einer Schaltkonferenz der Bundesländer zu Coronareisevorschriften im Inland wurde bundesweit Rufe nach einem klaren und einheitlichen Regelwerk laut. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte möglichst deckungsgleiche Quarantäneregeln für Reisende aus deutschen Gebieten mit hohen Coronazahlen.

Weitere Warnungen vor einem „Flickenteppich“

Ähnlich äußerte sich der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU): „Ich sehe mit Sorge, wie sich Regelungen der Bundesländer auseinanderentwickeln und ein Flickenteppich entsteht.“ Am Mittwoch wollen die Chefs der Staatskanzleien der Länder in einer Schaltkonferenz über das weitere Vorgehen beraten.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Lindner, und seine Stellvertreterin Katja Suding erklärten dazu am Dienstagabend: „Diese gegenwärtige Politik von Bund und Ländern gefährdet die Akzeptanz von Coronamaßnahmen insgesamt. Wir brauchen nun eine regional differenzierte Antwort, die sich am örtlichen Infektionsgeschehen orientiert. Aber die Maßnahmen, die daraus folgen, die müssen bundesweit vergleichbar sein.“

Wegen der Einstufung einiger Kommunen und einzelner Berliner Stadtbezirke als inländische „Risikogebiete“ und damit verbundenen Quarantäneauflagen für Einreisende war zuletzt vor allem Schleswig-Holstein in die Kritik geraten. Die Regelung in Rheinland-Pfalz sieht ähnlich aus.

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5 Kommentare

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  • Christian Drosten beschreibt das in dem NDR Podcast Nummer 54 ab Minute 1:13 auf Basis seiner Telefonate mit Amtsärzt:innen. Und es entspricht auch der Beobachtung, dass in den sogenannten Industrieländern die Bereitschaft, die Wirtschaft kurzfristig hinter die Gesundheit der Bevölkerung zu stellen, einfach nicht da zu sein scheint - was widersinnigerweise langfristig auch zu einem größeren wirtschaftlichen Schaden führt, als eine wirklich konsequente Response, wie sie beispielsweise die Mongolei auf beeindruckende Weise gezeigt hat (Quelle: medium.com/indica/...olia-3b0c162427c2)

    • @Lurkus:

      Am Beispiel Köln kann man das sehr gut darlegen:



      Aktuelle Inzidenzzahl 49,8. Wir haben Freitag, d.h. bis Dienstag wird sie vermutlich sinken, um dann die 50 deutlich zu überschreiten.

      Die täglichen Neufälle steigen so stark wie auf dem Höhepunkt des ersten Ausbruchs (2. Märzhälfte), ohne dass ein klarer Grund erkennbar wäre oder ein räumlicher Schwerpunkt.



      Eigentlich wäre heute dringend geboten, das Kölner Nachtleben an diesem und am nächsten Wochenende komplett lahmzulegen, bevor man mit der Kontaktverfolgung nicht mehr hinterherkommt. Aber da die "bösen 50" um 0,2 Punkte unterschritten sind, ist es rein rechtlich nicht erforderlich, die Notbremse zu ziehen. Nächste Woche wird man sich dann überschlagen, aber das ist der Fehler, den Frankreich im Frühling gemacht hat: die beste Maßnahme bringt nichts, wenn sie zu spät erfolgt.

      Und über all dem feuilletoniert der Chefredakteur der führenden Tageszeitung am Ort, wie wichtig es doch sei, "Alarmismus" zu vermeiden.



      An einem Tag, an dem sich (zugespitzt formuliert) entscheidet, ob Köln vom schlimmsten oder nur vom zweitschlimmsten Ausbruch getroffen wird. In Anbetracht der Tatsache, dass die bisherigen Maßnahmen eben nicht ausgereicht haben.

      In der Mongolei wäre das nicht passiert. In Neuseeland nicht, in Vietnam nicht, in Südkorea nicht, in Finnland, Norwegen und Lettland nicht. Kein Land in Afrika hat auch nur annähernd die Ressourcen, die wir haben - aber alle machen es besser.

      Es scheitert in Deutschland nicht am Können, sondern am Wollen.

  • "Wenn ich es richtig verstehe ist doch aktuell mit das größte Problem, dass Arbeitgeber:innen nicht bereit sind, ihre Angestellten in Selbstisolation zu schicken, wenn sie nur einen Verdacht haben, sich infiziert zu haben, aber nicht getestet sind. "

    Welche Branchen / Arbeitgeber sind das? Wer übt da Zwang aus?

  • Zwar bin ich weder ein Fan von Christian Lindner noch ein Anhänger seiner Stellvertreterin Katja Suding, aber der Aussage, dass „wir“ eine „regional differenzierte Antwort“ auf Corona brauchen, deren einzelne Maßnahmen allerdings „bundesweit vergleichbar sein“ müssen, kann ich unmöglich widersprechen. Im Gegenteil. Ich möchte behaupten, dass „wir“ eine derartige Strategie nicht erst „nun“ brauchen, sondern schon im März oder April gebraucht hätten.

    Allerdings frage ich mich dann doch, wieso die FDP-Spitze erst jetzt rausrückt mit ihrer bahnbrechenden Erkenntnis, dass jedes Kollektiv aus Individuen besteht. Wo waren Christian L. und Katja S eigentlich, als Bund und Länder zuletzt kompetenzgerangel haben?

    Als Bundesrepublik hat Deutschland seit Jahrzehnten ein Problem damit, die Kompetenzen der Landesfürsten und die der Zentralregierung sinnvoll zu verzahnen. Nicht nur im Gesundheitswesen, sondern z.B. auch bei der Bildung oder beim Umweltschutz. Immer heißt es, es ginge nur entweder, oder. Kooperation scheint etwas zu sein, was deutsche Spitzenpolitiker noch ganz doll üben müssen. Aber was darf man auch anderes erwarten von Volksvertretern, die gewählt werden von Bürgern, die selbst ziemlichen Nachholbedarf haben in Sachen sinnvoller Zusammenarbeit?

    Übrigens: Dass sich das Virus von einer Sperrstunde oder von einem Alkoholverbot beeindrucken lässt, glaube ich kaum. Restaurants und Bars gleichzeitig zu schließen, ist eine Schnapsidee, die womöglich ganz ohne Schnaps geboren wurde. Wer das Infektionsrisiko wirklich senken will, ohne einen Teil aller Gastronomen damit in den Ruin zu treiben, der sollte vielleicht besser die Gesamtlänge der Öffnungszeiten regulieren. Eine Bar, die erst ab 20.00 Uhr Gäste hat, drei Stunden später, um 23.00 Uhr also schon wieder zu schließen, ist nicht fair. Nicht, wenn gleichzeitig Gaststätten von 11.00 Uhr bis 23.00 Uhr und damit ganze 12 Stunden geöffnet sein dürfen. Dafür müsste schon eine echt gute Begründung her.

  • Maßnahmen gegen Spätis, aber Menschen weiterhin zur Lohnarbeit zwingen - es ist nicht zu fassen. Wenn ich es richtig verstehe ist doch aktuell mit das größte Problem, dass Arbeitgeber:innen nicht bereit sind, ihre Angestellten in Selbstisolation zu schicken, wenn sie nur einen Verdacht haben, sich infiziert zu haben, aber nicht getestet sind. Und diese Weigerung wird gesellschaftlich akzeptiert weil wir alle völlig in der Ideologie aufgehen die bereit ist dem Profitzwang alles zu opfern. Ja, Wirtschaft ist wichtig, aber doch nicht wichtiger als Leben!