Corona-Hilfen in NRW: Kultur gegen Laschet
SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen kritisieren den „Soforthilfetopf für Kulturschaffende“ in Nordrhein-Westfalen als mangelhaft.
Das hat sich Armin Laschet wohl anders vorgestellt: Galt der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands Nordrhein-Westfalen lange Zeit als federführend, was zielgerichtete Maßnahmen anging, verliert er mittlerweile an Boden, Zustimmung und Rückhalt. Die Stimmen werden lauter, die Laschet vorwerfen, weniger Politik für die Bürger zu machen, als sich für die Nachfolge Merkels ins Spiel bringen zu wollen.
Bemerkbar ist der des Öfteren geäußerte Zweifel an dem Krisenmanagement des CDU-Politikers auch in einem „offenen Brief der Kulturschaffenden in NRW“ an die Landesregierung. Die „Kulturschaffenden“ werden im Regen stehen gelassen, heißt es darin. Konkret verweisen SchriftstellerInnen, bildende KünstlerInnen, MusikerInnen, JournalistInnen und weitere Kreative auf einen Missstand. Der „Soforthilfetopf für Kulturschaffende“ in Nordrhein-Westfalen sei zwar begrüßenswert, doch in seiner Gestaltung mangelhaft. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) in Düsseldorf erklärt der taz in einer Mail, dass die Mittel aus dem Topf längst ausgeschöpft seien. Eingegangen seien inzwischen 17.000 Anträge bei den fünf Bezirksregierungen, und diese seien dort der Reihenfolge nach geprüft worden. „Insgesamt konnten 6.300 Anträge geprüft und davon 3.000 Anträge bewilligt werden.“
Nur: 3.000 bewilligte Anträge sind eine verhältnismäßig geringe Anzahl – eingedenk der Tatsache, dass es etwa 200.000 Kulturschaffende in NRW gibt, von denen 25 Prozent soloselbstständig sind, wie das Ministerium wohl nicht ohne Stolz in derselben Mail schreibt.
Zu den MitunterzeichnerInnen des offenen Briefs gehört auch Meryem Erkus aus Köln. Dort ist sie in unterschiedlichen Ecken der Kulturszene bekannt und aktiv: Erkus betreibt den Kunst- und Kulturraum Gold + Beton am Kölner Ebertplatz, arbeitet als Bookerin und Mitorganisatorin verschiedener Konzert- und Club-Reihen und legt selbst als DJ auf. „Als die Coronakrise ihren Anfang nahm, hatte ich mehrere Projekte geplant, darunter auch größere. Das fällt nun alles erst mal flach“, erklärt die 35-Jährige ihre derzeit prekäre Situation.
Nicht nachvollziehbar geregelt
Gerade im Bereich der publikumsorientierten Künste, die nicht ohne Reibungsverluste ins Digitale zu verlagern sind, ist die Belastung sehr hoch. Erkus selbst lebt momentan noch von Honoraren für vergangene Veranstaltungen, schon Ende Mai könnte es knapp werden. Für die Kölnerin ist die Situation mit den Finanzhilfstöpfen nicht nachvollziehbar geregelt worden: „Während sich in Berlin jeder Soloselbstständige auf 5.000 Euro bewerben konnte und nahezu alle diesen Betrag ohne Auflagen erhalten haben, gehen wir in NRW leer aus.“
Erkus erklärt: Soloselbstständige könnten sich um 9.000 Euro Hilfe bewerben, die sie aber nur für Betriebskosten ausgeben dürfen. Das Hilfspaket der Landesregierung komme für keinen der Kultur- und Kunstschaffenden, die sie kennt, infrage: „Was soll ein DJ für Betriebskosten haben? Wo soll der*die denn gerade überhaupt auflegen? Es geht hier erst mal darum, das Leben abzusichern.“
Das weite Feld „Kultur“ wird zwar von der Politik als wichtig erachtet, aber man wird manchmal den Eindruck nicht los, dass es eben nicht ganz so wichtig ist wie die „Wirtschaft“. Noch am Wochenende sagte Kanzlerin Angela Merkel in ihrem Video-Podcast zwar, Deutschlands Kulturlandschaft müsse auch nach der Überwindung der Coronapandemie weiter existieren können, und stellte weitere Finanzhilfen in Aussicht.
Wann sie bei freischaffenden KünstlerInnen ankommen werden, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Kanzlerin sprach von Opern, Theatern und Konzerthäusern und nicht von Clubs und Kunsträumen.
Hinzu kommt, dass die „Soforthilfe“-Umsetzung von Land zu Land unterschiedlich ist. Im Stadtstaat Hamburg, der zwar erheblich kleiner ist als NRW, aber eine ähnlich hohe Dichte an Künstler*innen und Kulturschaffenden hat, gab es ebenfalls die Forderung nach Soforthilfe. Der Berufsverband der Bildenden Künstler*innen Hamburg (BKK Hamburg) hielt einen „monatlichen Grundversorgungsbetrag von 1.200 Euro für elaboriert“. Der Senat gewährte 2.500 Euro Soforthilfe für betriebliche Kosten und Einnahmeausfälle, darüber hinaus einen Förderkredit.
Im Freistaat Bayern und seiner Landeshauptstadt München war man großzügiger und unbürokratischer. Dort beschloss der Ministerrat am 21. April, dass soloselbstständige Künstlerinnen und Künstler mit „Hauptwohnsitz in Bayern, die eine Versicherung nach Künstlersozialversicherungsgesetz nachweisen können“, Anspruch auf 1.000 Euro monatlich erhalten.
Kreativ wurde man in Sachsen. Hier entstand das Programm „Denkzeit“, welches als Stipendium der Kulturstiftung des Landes je 2.000 Euro als Hilfe für Künstler*innen vorsieht. Das Programm soll die Künstler*innen „darin ermutigen, auch in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Veranstaltungsverboten an ihrer künstlerischen Arbeit festzuhalten und individuelle Handlungsansätze für den Umgang mit der Coronakrise zu entwickeln“.
In Sachsen ist die finanzielle Notlage allein also kein ausreichender Grund für eine direkte Förderung: ohne Fleiß kein Preis – denn ohne Konzept, wie man das eigene Schaffen in den digitalen Raum verlegen wird, gibt es auch keine Soforthilfe.
In NRW verweist das Ministerium in Düsseldorf auch auf die andere Möglichkeit eines „vereinfachten Zugangs zu Leistungen der Grundsicherung“. Über den Umweg des Jobcenters, erfährt man auf der Seite der Arbeitsagentur, soll man durch einen einfachen Antrag „finanzielle Engpässe überbrücken“ können. Das hören die Unterzeichner*innen des offenen Briefs aber nur ungern: „Uns nun auf das ALG II zu verweisen ist indiskutabel. Wir sind nicht arbeitslos!“
Keine Entwertung der eigenen Arbeit
Während Angestellte immerhin Kurzarbeitergeld erhielten, sei für Künstler*innen nun das Existenzminimum angesagt. Man könnte einwerfen, dass diese Kritik übers Ziel hinausschießt: Bloß weil das Geld „vom Amt“ stammt, bedeutet dies keine Entwertung der eigenen Arbeit.
In diesem Sinn argumentierte auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) vor zwei Wochen. Sie wies darauf hin, dass die Grundsicherung des Bundes keineswegs mit dem sogenannten Hartz IV gleichzusetzen sei: Es müsse sich niemand arbeitssuchend melden. Grütters sprach davon, dass diese Hilfsmaßnahme „auf üble Weise schlechtgeredet“ werde: Wie solle sie im Bundestag erreichen, „dass eine Gruppe, für die bereits 156 Milliarden Euro da sind, noch mehr braucht, weil es ihr unangenehm ist, die vorhandenen Hilfen in Anspruch zu nehmen?“
Die Kölnerin Erkus widerspricht: „Wir reden hier über Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, die Freiheit des Kunstschaffens den staatlichen Auffangnetzen vorzuziehen. Kultur entsteht nicht bei einer Rechenschaftspflicht gegenüber einem Amt oder einer Institution.“
Erkennt Erkus keinen Widerspruch darin, dass staatliche Förderstrukturen nicht nur gängig sind, sondern grundlegend für die gesamte Kulturszene in Deutschland? „Fördergelder beantragt man mit einer Idee und einem Konzept – und bekommt sie oder eben nicht. Bei der Grundsicherung werde ich aber als Person, als Mensch, kontrolliert“, antwortet Erkus.
Das ist grotesk
Ob die Arbeitsagenturen überhaupt gewappnet sind, eine solche Antragsflut zu bearbeiten, muss sich ebenfalls noch zeigen. Erkus sieht all das als paradigmatisch an für den Umgang der Politik mit den Künstler*innen: „Einerseits schmückt man sich seit Jahren mit der Kulturlandschaft in NRW, andererseits lässt man viele Tausend Künstler*innen allein. Das ist grotesk und hat nachhaltig Vertrauen zerstört. Gerade diese Situation lässt viele Künstler*innen zweimal überlegen, ob sie zum Jobcenter gehen. Es ist sehr unübersichtlich geworden – zulasten hart arbeitender Kulturschaffender.“
Meryem Erkus meint damit alle jene, die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht benennt, wenn sie ausschließlich von Opern, Theatern und Museen spricht. Ein Teil der Kultur in Deutschland findet abseits öffentlicher Institutionen statt. Eine machbare Förderstruktur für diesen Bereich hat noch keiner präsentiert, auch nicht Armin Laschet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid