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Corona-Ausfälle von Kultur-EventsTrost Stream

Kommentar von Matej Snethlage

In näherer Zukunft werden die meisten Festivals und Konzerte ausfallen. Auch wenn es gerade Wichtigeres gibt: Darüber traurig zu sein ist legitim.

„United We Stream“: Berliner Clubs wissen sich einigermaßen zu helfen Foto: Britta Pedersen/dpa

W er Musik-Fan ist, muss sich derzeit ganz schön umstellen: Egal ob man auf klassischen Beethoven oder auf modernen Elektro steht, coronabedingt kann man seine Lieblingsmusik in nächster Zeit nur in seinen eigenen vier Wänden hören. Klang­erlebnis Live ist nicht. Bis zum Herbst 2021 werde es keine Festivals oder Konzerte geben, vermutet sogar Ezekiel J. Emanuel, Professor für Gesundheitsmanagement an der University of Pennsylvania, in einem Interview mit der New York Times.

Wie treffend seine Prognose ist, und ob sie auch für Deutschland gilt, kann man natürlich nicht wissen. Allerdings ist klar: Es wird noch einige Zeit des physischen Distanzierens verstreichen, bis Großveranstaltungen wie Konzerte wieder stattfinden können.

Wer kein Musik-Fan ist, oder wem seine MP3s zu Hause reichen, mag sich fragen: Wen interessiert’s? Ob Günther und Gisela in die Elbphilharmonie können, mitten in einer Krise. Ob Annika und David dieses Jahr den LSD-Spaß auf der Fusion verpassen. Corona bedeutet, dass jederzeit jemand aus dem eigenen Umfeld oder gar man selbst infiziert werden kann. Sich dann über ausfallende Konzerte aufzuregen, erscheint zynisch.

Trotzdem: Schade finden muss erlaubt sein. Kultur zu verpassen, seien es Konzerte oder auch Kino, Theater und Fußball, ist schmerzlich. Kultur ist eben kein Luxusgut, sondern ein essenzieller Teil des Lebens. Ausgleich und Eskapismus. Übrig bleiben gerade die auslaugende Arbeit und der tumbe Alltag, gestrichen werden Abwechslung und Zerstreuung. Wohin fliehen, wenn alles, was Spaß macht, nicht systemrelevant ist?

Neue Intimität

Wobei: Die Auftritte der Künstler*innen sind zwar abgesagt, die Künstler*innen sind aber immer noch da. Manche von ihnen nutzen diese Zeit, um ihre Kunst, oft sogar gratis, live zu streamen. Bei Wohnzimmerkonzerten und Lesungen gibt es nicht nur Kultur im Überfluss, sondern auch eine komplett neue Erfahrung.

Die Künstler*innen stehen nicht wie gewöhnlich auf einer 50 Meter entfernten Bühne, sondern sitzen, wie die Zuschauer*innen auch, direkt vor dem Bildschirm. Alle Fans, die also bereit sind, Live-Kultur bis auf Weiteres aufzugeben, sind dafür sogar ein bisschen näher dran.

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