Corona-Ausbruch in Neukölln: Unter Quarantäne
Nach zahlreichen Corona-Fällen in mehreren Wohngebäuden hat das Bezirksamt Neukölln zu teils drastischen Maßnahmen gegriffen.
Insgesamt 369 Haushalte sind von der Maßnahme betroffen, wie Liecke am Dienstag erklärte. Das Gesundheitsamt nehme mit mobilen Teams vor Ort Abstriche, bislang lägen die Ergebnisse von 265 Tests vor. Bei den von den Infektionsketten Betroffenen handelt es sich offenbar hauptsächlich um Mitglieder der rumänischen Community, die unter anderem schwerpunktmäßig in den Häusern an der Harzer und Treptower Straße lebt. Viele BewohnerInnen stammen aus einem Dorf in der Nähe von Bukarest und gehören einer sogenannten Pfingst-Gemeinde an.
Im Jahr 2011 kaufte die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH den baufälligen und völlig überbelegten Gebäudekomplex, sanierte ihn und machte ihn nach eigenen Angaben zum „Modellprojekt der Integration“. Überbelegung scheint allerdings auch weiterhin ein Problem zu sein: „In den betroffenen Haushalten leben zwischen einer und zehn Personen“, sagte der Bezirksbürgermeister, eine genaue Zahl lasse sich „nicht valide angeben“. Aufgrund der ökonomischen Situation der Menschen seien die Wohnverhältnisse sehr beengt. „Nicht ganz überraschend“ treffe die Pandemie mittlerweile die Schwächsten der Gesellschaft, so Hikel. „Ausgehend von den Skigebieten ist sie jetzt in den Mietskasernen angekommen.“
Auf den Corona-Ausbruch war das Neuköllner Gesundheitsamt nach Lieckes Schilderung aufmerksam geworden, als vor zehn Tagen drei SchülerInnen positiv getestet wurden. Dass man nun ganze Wohnhäuser unter Quarantäne gestellt habe, sei eine ungewöhnliche Maßnahme, allerdings entspreche sie den Emfpehlungen des Robert-Koch-Instituts, weil es sehr viele Kontakte zwischen den einzelnen Haushalten gebe. Außerdem sei die Alternative gewesen, zehn Schulen unter Quarantäne zu stellen. „Aber dann wären die Kinder ja auf den Straßen und Spielplätzen gewesen.“
Bezirk verfolgt eine „Stufenstrategie“
Gerade bei dem sommerlichen Wetter sei es derzeit für Kinder und Jugendliche schwierig, 14 Tage zuhause zu bleiben, räumte Liecke ein: „Die wollen sich natürlich bewegen.“ Man versuche, einen Mittelweg zu finden, der in der Harzer Straße auch darin bestehen könne, den Hofbereich der Häuser kontrolliert zu öffnen.
Des Weiteren werde eine „Stufenstrategie“ verfolgt: Im Moment sei man dabei, mit SozialarbeiterInnen und SprachmittlerInnen auf die Menschen „informativ zuzugehen“. Wenn es „Quarantänebrecher“ geben sollte, komme es zum Mittel der „normenverdeutlichenden Ansprache“. Erst in einer möglichen dritten Stufe werde man die Polizei um Amtshilfe bitten, die aber immer einzelfallbezogen bleibe: „Wir stellen nicht eine Wanne vor der Tür, um mit Polizeipräsenz zu beeindrucken“, versprach der Stadrat.
Die meisten der 57 positiv Getesteten zeigten milde bis asymptomatische Verläufe, berichtete der Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan, bei mehreren Personen liege der Infektionszeitpunkt auch schon über 14 Tage zurück. Damit gelten sie als genesen. Im Krankenhaus versorgt werde nur ein Patient aus dieser Gruppe. Offenbar handelt es sich dabei um einen Prediger der Pfingstgemeinde. In den vergangenen Tagen war von Medien gemutmaßt worden, ein Gottesdienst sei zum „Superspreading“-Ereignis geworden. Dafür gebe es aber bislang keine Belege, betonten Hikel und Liecke.
Keine Auswirkung auf Corona-Ampel
Auf die Berliner Corona-Ampel hat der Ausbruch vorläufig keine Auswirkung. Erst wenn sich innerhalb einer Woche mehr als 30 von 100.000 EinwohnerInnen anstecken, springt eine Teilampel auf rot – das sind immerhin rund 1.150 Fälle. Am Montag lag die sogenannte Inzidenzzahl (Zahl der Fälle pro 100.000 Personen) bei 8,03.
Gesundheitsstadrat Liecke verwies darauf, dass auch die Bezirke Spandau und Mitte in diesem Zusammenhang Quarantänen verhängt hätten. Ein Sprecher des Bezirksamts Mitte bestätigte der taz, dass dies auf ein Haus im Wedding zutreffe, in dem „einzelne Bewohner*innen vom Gesundheitsamt Mitte positiv getestet worden“ seien. Eine generelle Haus-Quarantäne sei aber nicht ausgesprochen worden. Das Gesundheitsamt werde in den kommenden Tagen ein Screening aller Bewohner*innen vornehmen.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) kommentierte die Neuköllner Maßnahmen auf der Senats-Pressekonferenz am Dienstag so: „Das war die richtige und vernünftige Entscheidung. Es geht darum, lokale Infektionszentren einzugrenzen und zu begrenzen und die Ausbreitung des Virus so zu verhindern.“
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