Corona-Anhörung im Abgeordnetenhaus: Bevor die Lichter ganz ausgehen
Handelsverbandschef Nils Busch-Petersen drängt auf weitere Öffnungen – sonst nimmt aus seiner Sicht die „DNA der Stadt“ Schaden.
Im Abgeordnetenhaus, genauer im Plenarsaal, hören ihm immerhin die Mitglieder des Hauptausschusses zu. Eine Anhörung steht auf der Tagesordnung: Welche wirtschaftlichen Folgen die Pandemie habe, will man wissen. Busch-Petersen kennen viele Abgeordneten seit Langem, er ist seit über 15 Jahren Verbandschef, von ihm weiß man, dass da kein Dampfplauderer spricht.
Und der berichtet nun, während der geöffnete Teil des Handels mit Supermärkten und Drogerien überdurchschnittlich gut laufe, mache sich bei den anderen „zunehmend Verzweiflung und Entsetzen breit“. Jeder zweite Betrieb sage, er werde das Jahr ohne adäquate Hilfe nicht überstehen. Das sei nicht bloß für die direkt Betroffenen verheerend, nein, das werde auch erhebliche Auswirkungen „auf die DNA der Stadt“ und ihre Einkaufsstraßen haben.
Busch-Petersen stellt die Logik des Lockdowns infrage. Eine Studie habe ergeben, dass es im geöffneten Einzelhandel ein Viertel weniger neue Corona-Infektionen gebe als im bundesweiten Durchschnitt. „Der Handel ist ein sicherer Hafen“, sagt er. Außerdem: In anderen Zeiten komme es im Berliner Handel täglich zu 2,25 Millionen Kontakten. Vier Fünftel davon gebe es auch im Lockdown über die offenen Geschäfte – warum für das letzte Fünftel trotz Hygienekonzepten alle anderen schließen?
Volkswirt: Berlin ist tiefer gefallen
Ein Volkswirt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird anschließend sagen, Berlin sei in ein tieferes Loch gefallen als andere Regionen. Das sieht man auch bei der Investitionsbank so: „Berlin ist aufgrund seines hohen Dienstleistungsanteils besonders betroffen.“ Die Industrie- und Handelskammer mutmaßt, die Krise drohe langfristige Brüche zu erzeugen, „wir werden erhebliche Insolvenzen haben“.
Hört man wenig später die Einschätzung von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), so klingt das etwas anders. Für sie ist das Glas halb voll, nicht halb leer: 10 bis 12 Prozent Rückgang in der Berliner Wirtschaft habe man befürchtet, nun liege man mit rund 5 Prozent im Bundesschnitt. Ihr Fazit: „Unsere Wirtschaftsstruktur ist krisenresistenter geworden.“
Was die Abgeordneten im Plenarsaal samt der zugeschalteten Experten eint, fasst Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) in Worte: „Die Kanzleramtsschalte läuft gerade parallel, wir wissen nicht, was dabei rauskommt.“ Er ist erst einen Tag später mit dem Entscheiden dran: Am Donnerstag beschließt der Senat in einer Sondersitzung, welchen Weg Berlin geht. Zumindest Lederer, Pop und weitere Senatsmitglieder im Saal könnten dabei Busch-Petersens Bericht noch im Ohr haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt