: Coolness-Kompetenz bewiesen
Nur Hansi Hinterseer fehlte. Die Tiroler Gute-Laune-Fabrik kam mit Gletscherschnee und vielen Naturburschen für die Eröffnung des Snowboard-Weltcups aufs Messegelände. Die Rider jedoch interessierte vor allem das eigene Brett unter den Füßen
von ANDREAS RÜTTENAUER
Ein junger Mann im Schlabberlook trägt am frühen Samstagnachmittag sein Snowboard über den Vorplatz des Messegeländes. Er schaut sich ein wenig um, bis er das kleine Schild entdeckt, das den Weg weist zum Snowboard-Weltcup. Der Winter hat Einzug gehalten in der Hauptstadt.
Daran war hart gearbeitet worden. Beinahe zwei Wochen dauerte es, bis das Gerüst der 32 Meter hohen Big-Air-Schanze aufgebaut war, das das Gelände unter dem Funkturm in ein kleines Skistadion verwandeln sollte. „Big Air“ ist die jüngste Disziplin im Snowboard-Weltcup. Sie ähnelt dem Springen der Freestyle-Skifahrer. Nach einer schnellen Fahrt über eine steile Schanze werden die Snowboarder in die Höhe katapultiert, damit sie sich möglichst kunstvoll durch die Luft schrauben können. Eine Jury bewertet die Sprünge nach der Landung auf einem kurzen Abschwunghang. Tollkühn sieht das aus, auch elegant – und ist dennoch etwas arg gekünstelt, so als wolle man mit Gewalt einen neuen Trend in der Trendsportart Snowboarding setzen.
Das alles interessiert den jungen Berliner Rider, wie sich die Schneebrettfahrer nennen, zunächst wenig. Das Weltcup-Springen beginnt erst in den frühen Abendstunden, und bis dahin ist noch Zeit zum Boarden. Denn auch eine 50 Meter lange Piste wurde für die Allgemeinheit mit Schnee von österreichischen Gletschern präpariert.
„Wir wollen auch hier unsere Schneekompetenz unter Beweis stellen“, meinte Willy Krüger von der Werbegemeinschaft der Tiroler Gletscher, die gemeinsam mit der Tirol-Werbung und dem Tourismusverband Sölden-Ötztal-Arena die Veranstaltung nach Berlin gebracht hatte. Nicht das Land Berlin hatte sich um die Ausrichtung eines Weltcups beworden, nicht der Deutsche Skiverband, nein, eine PR-Idee aus Österreich brachte den Winter in die von Herbststürmen geplagte deutsche Hauptstadt.
Gut gelaunte Naturburschen mit blondierter Langhaarmähne betreuten Werbestände der verschiedenen Tiroler Wintersportarenen und taten den ganzen Tag so, als hätten sie Spaß am unerträglichen Gedudle, mit dem ein original Tiroler Diskjockey die Anlage beschallte. Das träge Berliner Publikum wollte sich jedoch nicht so recht antreiben lassen von der Gute-Laune-Maschine aus der Alpenrepublik. „Wenn ich mich hier so umschaue, ist es fast so wie bei uns daheim“, sagte Carmen Fender vom Söldener Tourismusverband. Das muss ja schrecklich sein in Tirol, mag sich da manch Besucher gedacht haben.
Abwesende Gesichter
Erst als es dunkel wurde, kam Bewegung auf die Schanze. Etwa 5.000 Besucher sahen die spektakulären Sprünge der Finalisten – bejubelten sie allerdings meist nur nach mehrfacher Aufforderung durch die Stadionsprecher. Den Sportlern schien das alles ohnehin egal zu sein. Kaum Emotionen drangen durch die Masken der Coolness. Auch der Schwede Björn Lindgren wirkte nach seinem Siegsprung eher gelangweilt. Der zweitplatzierte Russe Dimitri Fessenko wollte sogar die Siegerehrung schwänzen. Als man ihn dann endlich aufgetrieben hatte, grinste er so geistesabwesend in die Kamera, dass unwillkürlich Erinnerungen an Ross Rebagliati,den kiffenden kanadischen Snowboard-Olympioniken von Nagano, wach wurden.
Die deutschen Teilnehmer schieden übrigens allesamt schon in der Qualifikation am Freitag aus. Über das sportliche Abschneiden der Athleten sprach man in dieser Woche ohnehin kaum im deutschen Lager. Schlagzeilen machte einzig die angekündigte Abspaltung der Snowboarder vom Deutschen Skiverband (DSV). Dass die lässigen Rider, die alle auf eigene Faust, oft auch auf eigene Rechnung trainieren, nicht zum biederen Skiverband passen, kann man sich gut vorstellen. Zudem waren die Snowboarder ein Zuschussgeschäft für den DSV. Jetzt sind sie unabhängig, dürfen sich selbst Sponsoren suchen und sich einen möglichst coolen, möglichst englischen Namen für ihren Verband ausdenken.
Schon kurz nach Ende der Veranstaltung waren nur noch wenige Besucher auf dem Gelände. Nur auf der Publikumspiste wurde weiter geboardet. Wer weiß, wann mal wieder jemand seine Schneekompetenz in Berlin unter Beweis stellen will.
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