Computerspiele und Behinderung: Maschine statt Mensch
Blinde, Taube, Muskelkranke? Gibt es nicht. Die Videospielbranche ist im Umgang mit behinderten Charakteren bislang nicht mutig genug.
Ob Alter, sexuelle Orientierung, Herkunft oder Geschlechterrollen: Videospiele werden immer diverser. Behinderte Charaktere sind jedoch noch immer die Ausnahme.
In den vergangenen zwanzig Jahren gab es hauptsächlich Figuren, denen Gliedmaße fehlten oder die einzelne Sinne verloren haben, deren Behinderungen jedoch meist durch den Einsatz von Technik oder Magie behoben wurde. Etwa bei Barret Wallace aus dem Meilenstein-Titel „Final Fantasy VII“, der anstelle der rechten Hand eine Kombination aus Prothese und Schusswaffe besitzt.
Das Problem dabei: Die Figur wird zum Ding. Etwas ist kaputt, also wird es repariert. Im besten Fall ist der Zustand danach weit besser als vorher.
Natürlich sind Videospiele eine Kunstform ohne klar definierte Richtlinien. Dennoch geht bei diesem Umgang mit Behinderungen viel Potenzial verloren. Behinderte Charaktere definieren sich meist mit ihrer Behinderung allein dadurch, eine Art Veteranenstatus zu haben, was dem medizinischen Modell der Behinderung nachempfunden ist.
26, arbeitet als Onlinejournalist etwa für jpgames.de
Unterschiede zwischen Japan und Westen
Dabei wird die eigene Ansicht von Menschen mit Behinderung außer Acht gelassen und die Behinderung nicht gesondert vom Individuum betrachtet. Dieser Ansatz grenzt behinderte Menschen jedoch beinahe von der Spezies Mensch ab.
Die jüngste Videospielgeschichte hat aber auch andere, akzeptablere Methoden im Umgang mit Behinderungen hervorgebracht, wobei es deutliche Unterschiede zwischen Japan und der westlichen Welt gibt.
Eine Abwandlung der Prothesenkrieger ist etwa der Virtuose Dunban aus dem japanischen Rollenspiel „Xenoblade Chronicles“ von 2010. Er kann seinen rechten Arm seit einem Zwischenfall nicht bewegen.
Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.
Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.
Anstatt auf eine Wunderprothese zurückzugreifen, trainiert er mit dem noch vorhandenen Arm, bis er mit diesem das Schwert führen kann. Eine positive Entwicklung im Umgang mit Behinderungen in Computerspielen, die gern Vorbild für andere sein kann.
Die Nebenfigur Lester Crest aus dem Welterfolg „Grand Theft Auto V“ aus dem Jahr 2013 ist ein prominentes Beispiel westlicher Computerspielfirmen. Er hat eine nicht näher bezeichnete Schwundkrankheit, explizit behandelt wird die Behinderung jedoch nicht.
Nächster Schritt: Behinderte Menschen in Hauptrollen
Er ist Unternehmer, das Hirn hinter einigen zwielichtigen Projekten der Protagonisten und hat eher skurrile Vorlieben – im Grunde eine für Spielverhältnisse durchaus natürliche Darstellung eines Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen.
Eine tatsächlich spielbare Figur taucht in „Sly 3: Honor Among Thieves“ von 2005 auf. Bei Bentley handelt es sich um eine vermenschlichte Schildkröte, die seit dem dritten Teil der Reihe auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Sie rüstet sich selbst mit Waffen und Werkzeug aus, um weiterhin am Geschehen teilzuhaben.
Sowohl der selbstkritische Umgang Behinderter in japanischen Titeln als auch der Ansatz der Inklusion in westlichen Spielen sind erste Schritte zu mehr Diversität in Hinsicht auf Behinderten in Videospielen, wobei die westliche Variante eher tauglich für das Medium ist.
Wieso aber nicht den nächsten Schritt wagen und behinderten Menschen die Hauptrolle überlassen? Nichts spricht dagegen, etwa einen muskelkranken Strategen einzubauen oder einen Horrortitel zu konzipieren, in dem abwechselnd aus der Perspektive einer blinden und tauben Person gespielt wird. Habt mehr Mut, liebe Entwickler!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!