Serie „Wie es sein könnte“ (4): Das Gefühl, Mama zu sein
Blicke, Barrieren, vorschnelle Schlüsse: Auf manches könnten Menschen mit Behinderung gut verzichten. Auf eigene Kinder sicher nicht.
Menschen mit Behinderung haben Familien. Sie leben nicht isoliert, sie sind Teil der Gesellschaft. Jeder Mensch mit Behinderung hat einen Vater und eine Mutter. Und einige Menschen mit Behinderung sind selbst Vater oder Mutter geworden. Leider ist das noch keine Selbstverständlichkeit. Die Vorstellung, behinderte Menschen seien mit der Versorgung und Erziehung eines Kindes überfordert, ist weiterhin verbreitet.
Es gibt Ärzte, die einer schwangeren Frau mit neurologischer Erkrankung und Rollstuhl ins Gesicht sagen, dass auch ein Spätabbruch jederzeit möglich sei. Wie wolle sie denn ihr Kind versorgen?
Kliniken, die nicht wissen, wie man mit einer schwangeren Frau im Rollstuhl umgehen soll. Krankenhauszimmer und Frühchenintensivstationen, die keinen Platz für eine Mama im Rollstuhl haben. Diese Probleme werden vorgeschoben, damit nicht nach Lösungen gesucht werden muss.
Gleichzeitig werden von einigen Jugendämtern Ängste geschürt: Frauen wird gesagt, dass sie ihr Kind nach der Geburt nicht mit nach Hause bekommen, wenn sie es nicht allein wickeln können. Die wenigsten Frauen im Rollstuhl werden aus dem Nichts schwanger. Beinahe alle werdenden Eltern machen sich Gedanken, Menschen mit Behinderung meist noch mehr.
Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.
Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.
Was bei uns im Alltag anders ist als bei anderen Familien? Wir sind besser organisiert. Aber die Grundvoraussetzungen müssen stimmen; so kommt zum Beispiel nur ein barrierefreier Kindergarten infrage. Einzelheiten unterscheiden uns, aber diese fallen nur bei genauem Hinsehen auf. Trotzdem kämpfen wir gegen viele Vorurteile. Andere Mütter, die sich einmischen, wenn ich mit meinem Sohn auf dem Spielplatz bin und er sich versteckt. „Deine Mama muss wohl besser auf dich aufpassen, oder sie kann nicht mehr allein mit dir weg.“
Natürlich gibt es auch positive Resonanz. Wenn ich mit Kinderwagen und Rollstuhl durch die Straßen fahre: „Wie schön, dass es so etwas gibt. Sie machen das toll.“ Dabei mache ich nichts anders als jede andere Mama.
Entspannt unter Wasser
Die Liebe zu einem eigenen Kind kann vieles ausgleichen. Sie hilft, nicht aufzugeben, sondern weiter für sich und seine Familie einzustehen. Egal, wie viele Kämpfe und Auseinandersetzungen wir haben, das Gefühl Mama zu sein, ist das Schönste überhaupt. Und wenn dein Kind dich anlächelt, hüpft das Herz.
Wheelymum. Der Blog von und mit einer Mama mit Behinderung und chronischer Krankheit und ihrem Familienleben: wheelymum.com
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