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Computerspiel „This War of Mine“Manchmal muss man töten

Krieg macht keinen Spaß. Das will ein neues Computerspiel nicht nur erzählen. Die Spieler sollen es fühlen. Ob das gelingt, entscheidet jeder selbst.

Die Spielfiguren in „This War of Mine“ trauern um einen verlorenen Freund. Tabelle: Youtube

Verzweifelt läuft der alte Mann hinter Roman her. „Bitte, nimm uns nicht unser Essen weg“, fleht er. Vor ihnen im Kühlschrank liegen sie, die wertvollen Vorräte: zwei Konservendosen und etwas rohes Gemüse. Sogar ein Stückchen Fleisch hat das Ehepaar noch aufbewahrt. Eine Seltenheit dieser Tage – denn es ist Krieg.

Roman muss sich entscheiden. Diese Leute können sich nicht wehren, es wäre ein Leichtes, die Lebensmittel mitzunehmen. Und die Medikamente. Er und seine Freunde haben seit Tagen nichts gegessen. Bruno ist schwer verletzt. Vor zwei Tagen haben sie Arica verloren. Doch jetzt zuzugreifen, hieße, den Alten und seine Frau dem sicheren Tod zu überlassen. Roman greift zu.

Es sind Situationen wie diese, die das Computerspiel „This War of Mine“ ausmachen. Situationen, in denen es keine richtige, keine „gute“ Entscheidung gibt, in denen der Spieler aber handeln muss – und dann mit den Konsequenzen konfrontiert wird.

Die polnische Independent-Firma 11 Bit Studios zeichnet ein düsteres Szenario: Eine belagerte Stadt. Überall verstecken sich Sniper, kriminelle Banden ziehen umher. Bis hierher klingt es nach einem gängigen Computerspiel-Szenario. Doch statt des mutigen Soldaten, der sich seinen Weg an den Feinden vorbeikämpft, führt der Spieler hier eine verängstigte Gruppe von Zivilisten durch das Geschehen. Ihr einziges Ziel: Überleben.

Keine Lust auf Krieg

Viele so genannte Survival Games sind in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen. Doch bei „This War of Mine“ geht es nicht darum, mit möglichst großen Knarren möglichst viele Kugeln zu verschießen und so ein möglichst blutiges Gemetzel anzurichten. Es geht darum, Nahrung und Antibiotika aufzutreiben. Aus Brettern ein Bett zu zimmern und Wasser zu filtern.

„Fuck the War“ steht in weißer Farbe an der Mauer vor der Ruine, in der die Figuren sich verstecken. Lust auf Krieg macht dieses Spiel wahrlich nicht. Und nachdem man die zweite Figur verloren hat, vielleicht sogar durch einen verzweifelten Selbstmord, will man es am liebsten zur Seite legen.

Dabei findet die Auseinandersetzung mit dem Töten auf mehreren Ebenen statt. Kehrt der Spieler mit einer der Figuren aus seiner Gruppe wieder in das Haus der alten Leute zurück, findet findet er sie tot in ihren Betten auf und muss diesen Fund emotional verdauen.

Das Spiel soll keinen Spaß machen

Doch auch die Spielfigur Roman fällt nach seinem nächtlichen Raubzug in eine Depression. Zlata, ein weiteres Mitglied der Gruppe, kann versuchen, ihn aufzumuntern – doch Roman weist sie harsch zurück. Stattdessen sitzt er reglos in der hinteren Ecke. Was auch immer der Spieler probiert, mit Roman ist im Moment nichts anzufangen. „Broken“ steht in der Gemütsbeschreibung – „gebrochen“.

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„This War of Mine“ soll nicht in erster Linie Spaß machen, sagt einer der Entwickler, Pawel Miechowski, dem Computerspiel-Blog Kotaku. „Es ist eine Erfahrung.“ Inspiriert zu dem Spiel habe ihn ein Text mit dem Titel „One Year in Hell“. Dort beschreibt der Autor, wie er den Krieg in Bosnien – wahrscheinlich im besetzten Sarajevo – überlebte. Diese Schilderungen hätten ihn sehr mitgenommen.

„Es geht nicht nur darum, abstrakt vermittelt zu bekommen, dass Krieg grausam ist“, erklärt der Ethnograph Christoph Bareither. „Es geht darum, emotional zu erfahren, dass es so ist.“ Bareither erforscht in seiner Doktorarbeit das Vergnügen an Computerspielgewalt. „Natürlich kann ein Spiel keine wirkliche Kriegserfahrung simulieren“, sagt er. „Aber es kann die moralischen Konflikte nachvollziehbarer machen, denen Menschen in solchen Situationen ausgesetzt sind.“

Moralische Auseinandersetzung

Computerspiele haben aus der Sicht Bareithers das Potenzial, die Konsumenten auf einer ganz anderen Ebene mit Gewalt zu konfrontieren, als etwa Filme. „Als Spieler hat man eine besondere körperliche Beziehung zum Spielgeschehen. Man handelt, und das eigene Handeln hat Konsequenzen.“

Bei „This War of Mine“ wird dem Spieler die Auseinandersetzung mit der eigenen Moral und den Folgen der Gewalt geradezu offensiv angeboten, das Vergnügen wird immer wieder ins Gegenteil verkehrt.

„Zu dieser Konfrontation zwingen können einen die Game Designer aber auch wieder nicht“, sagt Bareither. Er beschreibt, wie man sich als guter Stratege mit Leichtigkeit eine gefüllte Vorratskammer und ein beachtliches Waffenarsenal einrichten kann.

Es kommt darauf an, wie man spielt

Eine zierliche Frau, die bis zum Ausbruch des Krieges als Anwältin gearbeitet hat, kann aus dem Hinterhalt ein Dutzend Soldaten mit einem Küchenmesser niedermetzeln. „Wenn man es aber auf diese Weise ehrgeizig spielt, kann man auch die moralische Konfrontation umgehen“, sagt er. Dann sei das Spiel nur noch ein durchschnittliches Survival-Game.

„Das Spiel als eine Software kann einem bestimmte Erfahrungen nur anbieten“, erklärt Bareither. „Am Ende kommt es immer darauf an, wie wir mit diesem Angebot umgehen. Genau deshalb brauchen wir nicht nur eine gesellschaftliche Debatte über das Design von Spielen, sondern auch darüber, wie wir sie spielen wollen.“

Den unterschiedlichen Umgang zeigen verschiedene Youtube-Videos, in denen Gamer das Spiel mitschneiden und kommentieren. Der Spieler EnterElysium etwa bewegt seine Figur mit viel Geschick durch die belagerte Stadt. Dann trifft er auf feindliche Bewaffnete – und greift nicht an. „Ich würde sie ja töten, aber ich möchte nicht depressiv werden“, erklärt die Stimme des Spielers. Das ist Taktik, nicht Moral.

Ganz anders der User Bruugar. Er hat seine Figur ebenfalls auf die Suche nach Beute geschickt. Als er den Keller eines alten Hauses durchsucht, tauchen zwei feindliche Figuren auf. Er wehrt sich, eine der beiden Figuren bricht zusammen. „Was, hab ich den jetzt totgehauen? Ernsthaft?“ fragt Bruugar. „Och nö, Leute, das ist ... ach, man ...“ Immer wieder geht er darauf ein, was eben passiert ist. „Was hätte ich denn machen sollen?“, fragt er, während seine Figur unruhig Treppen hoch- und wieder runterläuft. „Ich fühle mich gerade voll schlecht.“

Unterstützung von Kindern in Kriegsgebieten

„Dass solche Spiele Erfolg haben, zeigt, dass es zumindest in Teilen der Gaming-Szene den Bedarf nach einer kritischeren und weniger einseitigen Darstellung von Gewalt gibt“, sagt Bareither. Und in der Tat: Das Spiel verkaufte sich von Anfang an so gut, dass die Einnahmen bereits nach zwei Tagen die Produktionskosten deckten. „Ich denke, es wird mehr solche Spiele geben“, sagt Bareither. „Ich hoffe es.“

Doch 11 Bit verweist nicht nur auf der Spielebene auf die Grausamkeit des Krieges. Der Spielehersteller beteiligt sich an der Kampagne „Real War is not a Game“ der NGO War Child. Die Organisation hilft Kindern in Kriegsgebieten. Ziel der Kampagne ist es, die Spieler von Kriegsspielen daran zu erinnern, was Krieg für tatsächlich Betroffene bedeutet.

Auch Wargaming.net, der Hersteller des Kriegsspiels „World of Tanks“ ist seit 2013 Teil der Kampagne. Auf seiner Webseite erklärt der Spieleentwickler: „Bewaffnete Kriegsführung ist etwas, das unserer Überzeugung nach auf den Computern und Konsolen der Leute stattfinden sollte, und nicht in der echten Welt.“

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