Comics aus China: Pekings Alltag im Bilderkästchen
Motoradtaxen, Wanderarbeiter und Schachspieler unter Ebereschen: Die auf der Buchmesse präsentierten Peking-Comics rücken den Hinterhof-Alltag der Stadt in den Mittelpunkt.
Die Striche wirken wie ins Papier gekratzt, es ist, als ob das harsche Geräusch noch in den Bildern nachhallen würde. Dementsprechend kantig und zerknittert wirken die Gesichter in den Milieustudien des Pekinger Comiczeichners Song Yang. Man sieht Wanderarbeiter mit tiefen Stirnfalten, die, vielleicht gegen Mittag, am Rand einer der vielen Baustellen kauern und hastig ihre kargen Mahlzeiten in den Mund schaufeln. Man sieht einen Schuhflicker, der auf einem Schemel hockt und sich über sein einfaches Werkzeug beugt. Man sieht einen alten Dreirad-Mofafahrer mit elegantem Strohhut und Dreitagebart, der die Leute gegen ein Taschengeld von der U-Bahn nach Hause fährt.
Der Alltag im Millionendorf Peking, so scheint es, interessiert die Comiczeichner am meisten, deren Arbeiten man in den Zeichnungen der Ausstellung "Peking - Zehn Gesichter einer Stadt" in der Comichalle auf der Buchmesse bewundern kann. Zehn Comic-Künstler sind es, die der französische Verleger Patrick Arby für seinen Verlag Editions Xiao Pan ausgegraben hat und deren Arbeiten nun auch im gleichnamigen Buch in deutscher Übersetzung beim Verlag Tokyopop versammelt sind. Die meisten der Arbeiten sind eigensinnig, wild und lebendig und erinnern weder an die putzigen Knollennasen, die hierzulande noch allzu oft die Comics dominieren noch an die großen, tränennassen Augen in den japanischen Mangas.
Patrick Arby hat lange in Peking gearbeitet, war schon als Teenager ganz versessen auf Comics und hat nun das Hobby zum Beruf gemacht. Einen der Pekinger Künstler, Benjamin, hat er bereits groß rausbringen können: schon drei erfolgreiche Bücher und ein Artbook hat der 1974 geborene Künstler bei Xiao Pan veröffentlicht. Die anderen, da ist sich Arby sicher, werden bald nachziehen. Auch, wenn die Szene klein und hermetisch ist, auch wenn es in China noch keine Infrastruktur für Comics gibt, die auch Erwachsene mögen: Das künstlerische Niveau dessen, was er in Peking entdeckt hat, ist hoch. Arby erklärt sich das so: "Die jungen Leute lernen schon als Kinder nicht das Schreiben, sondern das Zeichnen. Wer diese bildhafte Schrift beherrscht, hat automatisch einen Vorsprung".
Man kann es aber auch wie die Journalistin Francoise Hauser im Vorwort von "Peking - Zehn Gesichter einer Stadt" erklären: "Typisch für Peking sind die Wohnhöfe, in denen sich das chinesische Familienleben abspielt. Sie mögen langsam verschwinden, das Ideal von der ,Stadt in Kästchen‘ ist geblieben. Abgeschirmt von der Außenwelt, zwischen Wolkenkratzern und Geschäftsstraßen, versuchen die Pekinger, sich einen privaten Raum zu erhalten. Was träfe sich also besser als das Leben dieser Stadt in Bilderkästchen darzustellen?"
In der Tat ist es der alltägliche, nachbarschaftliche Charme Pekings, der bis heute allem Modernisierungswahn zum Trotz fortbesteht und die spezielle Atmosphäre dieser Stadt ausmacht. Viele Schriftsteller, die Peking beschrieben haben, erklären sich die zurückgelehnte Lebensart vieler Pekinger mit dem Einfluss der letzten kaiserlichen Militärs, die sich gegen Ende der Dynastie weniger für die Staatsangelegenheiten interessierten als für das angenehme Leben der Privatiers. Sie haben Traditionen eingeführt, die bis heute gepflegt werden: Singvögel werden am frühen Morgen ausgeführt und in die Bäume der Parks und Grünstreifen gehängt, es wird auf Kampfgrillen gewettet und unter freiem Himmel musiziert.
Diese behagliche Zwanglosigkeit hat es auch dem Pekinger Zeichner Ji'An angetan, der in sanften, graublauen und sattgrünen Bildern die anrührende Geschichte eines Großvaters und einer Enkelin in einem Pekinger Wohnhof erzählt. Wie viele alte Männer in Peking hat auch dieser Großvater die Angewohnheit, im glühheißen Sommer mit nacktem Oberkörper auf die Straße zu gehen. Dann aber - die Olympischen Spiele stehen vor der Tür - gibt es eine Kampagne, Peking zur "zivilisierten" Stadt zu machen. Die Menschen sollen nicht mehr auf die Straße spucken, sie sollen nicht mehr an der Bushaltestelle drängeln, und sie sollen eben auch nicht mehr mit nacktem Oberkörper in den Gassen, den so genannten Hutongs, herumspazieren. Die Enkelin in Ji'Ans Comic hält das für eine gute Sache. Sie wünscht sich schon lang, in einer modernen Wohnung mit echter Toilette zu wohnen. "Das Veraltete muss ersetzt werden! Wozu soll es gut sein, diese baufälligen Häuser ohne Komfort zu bewahren?", fragt sie. Der Großvater denkt sich seinen Teil. Er trifft sich mit seinen alten Kumpanen im Schatten einer großen Eberesche und spielt mit ihnen Schach. Und denkt bei sich: "Die Stadt hat allen Eroberern Widerstand geleistet, aber unter unseren eigenen Schlägen geht sie noch unter."
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