Coltanabbau im Kongo: Geld heißt Krieg
Die Mine Rubaya im Kongo ist eines der wichtigsten Abbaugebiete weltweit für den Handy-Rohstoff Coltan. Nur: Wem gehören die Erze?
In der Trockenzeit windet sich nur wenig Wasser durch die zahlreichen Kanäle. Tausende junge Männer wie Bisingimana stehen dort und graben. Von allen Seiten hallt das Geräusch der Spaten im Matsch – Knochenarbeit.
Der Fluss Mwumba, in welchem Bisingimana gräbt, wird von der lokalen Bevölkerung „roter Fluss“ genannt. Das Regenwasser, das sich in den Flanken der steilen Berge des Distrikts Masisi im Osten der Demokratischen Republik Kongo sammelt, wäscht rotbraunes Gestein aus, das im Tal in den Fluss gespült wird. Der Fluss fließt durch die Stadt Rubaya, hoch oben in den Bergen. Rubaya ist mittlerweile Kongos größtes Coltanabbaugebiet. Daraus stammt über die Hälfte des Coltans, das aus dem Kongo exportiert und in Asien zu Tantal verarbeitet wird. Tantal wird zur Herstellung von Halbleitern benötigt, die in Akkus von Mobiltelefonen und Computern integriert sind. Rund ein Viertel des weltweit in der Elektroindustrie verarbeiteten Tantals stammt aus dem Kongo – ein Großteil aus Rubaya.
Dunkle schwere Wolken hängen in den tiefen Tälern, wie feuchter Nebel im Herbst. Die umliegenden Berghänge sind kaum zu erkennen. Nur wenn die Wolkendecke kurz aufreißt, sieht man unzählige Stollen, die die Berge durchlöchern – wie bei einem Schweizer Käse. Ameisengleich wuseln dazwischen junge kräftige Männer umher, schleppen schwere Säcke oder Holzlatten, um die Grubenwände zu stabilisieren. Sie kriechen in die Löcher hinein und kommen schmutzig wieder hinaus. Von allen Seiten hallt das Echo von knatternden Dieselgeneratoren und Spitzhacken.
Bisingimana sammelt die glitzernden Coltansteinchen in einer Plastikwanne. Wenn er fleißig ist und Glück hat, sammelt er täglich rund ein halbes Kilo, erzählt er. Das bringt ihm umgerechnet rund zehn Euro. „Das ist eine gute Arbeit“, sagt er. Er sei gerade dabei, sich ein Haus zu bauen.
Rubaya – das war noch vor zwei Jahrzehnten ein kleines verschlafenes Bergdorf. Auf den Almen rund herum grasten die Kühe der Tutsi-Farmer. Dazwischen pflanzten Hutu-Bauern Kartoffeln, Bohnen und Mais an – der vulkanische Boden ist sehr fruchtbar.
Doch dann fanden Geologen in den Gesteinsschichten unterhalb des fruchtbaren Ackerbodens Coltan – noch dazu von sehr guter Qualität, nämlich mit einer hohen Konzentration von Tantal. Als in den 1990er Jahren die Tantal-Nachfrage auf dem Weltmarkt aufgrund der vermehrten Produktion von Computern und Mobiltelefonen in die Höhe schoss und zugleich die Kriege im Ostkongo die Landwirtschaft zerstörten, strömten immer mehr Bauern aus der umliegenden Region nach Rubaya. Anstatt mit ihren Spaten den Boden für die Kartoffelernte umzustechen, hauten sie Löcher in den Berg, um nach Coltan zu graben.
Wie bei einem Goldrausch zog das Coltan Arbeitssuchende an. Mittlerweile buddeln sich schätzungsweise 50.000 Schürfer durch die Berge rund um Rubaya. Die Mais- und Kartoffeläcker sind verschwunden. Das kleine Dorf am Ufer des Mwumba-Flusses ist zur geschäftigen Stadt angewachsen: mit Märkten und Läden, Motorradtaxis und Kneipen, während ringsum die Menschen in absoluter Armut ums Überleben kämpfen.
Der Bergbau ist hochorganisiert, man kann nicht einfach nach Rubaya ziehen und Löcher in die Berge graben. Bisingimana zeigt stolz seinen Mitgliedsausweis mit Foto und Registrierungsnummer: Er gehört zur Bergbaukooperative Cooperamma (Coopérative des Exploitants Artisanaux Miniers de Masisi – Kooperative der bergbauschürfer von Masisi). Den Ausweise muss er vorzeigen, wenn er abends seine Ausbeute im Lager oberhalb der Stollen abgibt und seinen Lohn erhält.
Im Depot wird das Erz gewaschen und in Säcke abgepackt, erzählt er. Angestellte des kongolesischen Minenministeriums versiegeln sie und stellen ein Herkunftszertifikat aus. Dann werden die Säcke nach Goma transportiert. Dort verkauft Cooperamma das Erz an die Bergbaufirma SMB (Société Minière de Bisunzu). SMB exportiert die Mineralien nach Asien.
Bisingimana sagt, er wisse nicht, wo die Steinchen hingehen. Er vermutet: „Viele Leute machen damit sehr viel Geld.“
Kongos Minengesetz ist widersprüchlich
Geld – das bedeutet im Kongo, wo Konflikte kaum je mit den Mitteln des Rechtsstaates gelöst werden können, Krieg. So auch, als am 2. Mai die Bergbaufirma SMB die Arbeiten in Rubaya einstellen ließ und am Tag darauf die Minenpolizei aus Goma anrückte und drohte, jeden zu verhaften, der weitergräbt. Schlagartig wurden Schürfer wie Bisingimana, die praktisch als Tagelöhner arbeiten, arbeitslos. „Das war schlimm, an vielen Tagen konnte ich nicht einmal etwas zu Essen kaufen“, erinnert er sich. Die Schürfer seien wütend gewesen, manche verzweifelt, berichtet er. Einige ließen ihre Spaten fallen, schnappten sich ihre Kalaschnikow und marschierten die Berge hinunter in Richtung der Provinzhauptstadt Goma, 60 Kilometer entfernt. Auf dem Weg plünderten sie. An einer Straßensperre in der Stadt Mushaki, 30 Kilometer vor Goma, wurden sie von der Polizei mit Gewalt gestoppt. Es gab Dutzende Verletzte.
Seit August darf nun in der Mine wieder gebuddelt werden. „Gerade rechtzeitig zu Beginn des neuen Schuljahres“, sagt Bisingimana erleichtert und setzt wieder seinen Spaten an: „Ich muss die Schulgebühren bezahlen.“
Dennoch kommt es rund um Rubaya weiterhin zu brutalen Übergriffen und Massakern. Selbst die Kühe auf den umliegenden Farmen wurden angegriffen: Viele tragen tiefe Wunden von Macheten. Anfang Oktober stürmten am frühen Abend nach Einbruch der Dunkelheit bewaffnete Männer einen Posten, an welchem Coltan umgeschlagen wird. Nach offiziellen Angaben wurden 13 Menschen getötet, darunter eine Frau und ein 5-jähriges Kind, 14 Menschen wurden schwer verletzt. Andere Quellen sprechen sogar von 35 Toten. Wer das Massaker verübt hat – das ist bis heute unklar. Die Provinzregierung hat Ermittlungen angekündigt, ein paar UN-Blauhelme wurden stationiert, immerhin.
Die Konflikte um das Minengebiet sind fast so alt wie die Mine selbst. Der Grund: Kongos Minengesetz ist ein widersprüchliches Konstrukt. Es vermacht die Rohstoffe im Boden an den einen Eigentümer, in diesem Fall an die Firma SMB. Sie gehört der einflussreichen Tutsi-Familie von Edouard Mwangachuchu, mittlerweile Senator in Kongos ferner Hauptstadt Kinshasa. Das Ackerland an der Oberfläche aber gehört jemand anderem, in diesem Fall den in Rubaya ansässigen Hutu-Bauern. Da ist Streit um jeden Quadratmeter vorprogrammiert. Tutsi gegen Hutu – das ist der Konflikt, der 1994 im Nachbarland Ruanda zu einem Völkermord an den Tutsi führte und seitdem auch Ostkongos Kriege am Leben hält.
Eine brutale Miliz
Minenbetreiber Ben Mwangachuchu, Bruder von Senator Edouard und Verwalter der Mine in Abwesenheit seines Bruders, sitzt im ersten Stock eines noblen Hauses in der Provinzhauptstadt Goma hinter einem glänzend polierten Schreibtisch. Drei Mobiltelefone klingeln immer wieder, dabei sind die Geschäfte seit Monaten eingestellt. Obwohl das Mineralien-Depot nebenan leer ist, sitzen vor den hohen Mauern ein halbes Dutzend bewaffneter Polizisten in blauen Uniformen: alles Tutsi. Drinnen stehen schwer bewaffnete Sicherheitsleute stramm: auch alles Tutsi. Im Ostkongo traut man nur seinen eigenen Leuten. Seine Angestellten werden bedroht, sagt Ben Mwangachuchu. Einer seiner Sicherheitsleute sei im Mai in Rubaya von Milizionären getötet worden.
Er zeigt auf ein Dokument: „Konzession 4731“ steht darauf, die offizielle Bergbaulizenz für 25 Quadratkilometer Land in Rubaya, ausgestellt im Jahr 2006 vom Minenministerium. Doch die Schürfrechte gelten nur für industriellen Abbau, mit Baggern und großen Maschinen – nicht für Kleinschürfer, die per Hand und mit dem Spaten graben wie die in Rubaya. „Dass Schürfer da graben ist quasi illegal“, macht Mwangachuchu deutlich.
Die einflussreiche Tutsi-Familie Mwangachuchu hat sich in Zeiten des Krieges das Minengebiet angeeignet. Den Tutsi gehörten die umliegenden Almen, Kühe und Farmen und sie kontrollierten mit Waffen den Zugang zum Minengebiet. Bei Kongos Wahlen im Jahr 2006 wurde Edouard Mwangachuchu zum Abgeordneten für Masisi ins Parlament von Kinshasa gewählt. Kurz darauf erteilte Kongos Minenministerium seiner Minengesellschaft die Abbaulizenz mit der Nummer 4731. Doch dies war Ackerland der Hutu-Bauern.
Robert Seninga, ein Hutu und Abgeordneter für Rubaya im Provinzparlament von Nord-Kivu, mobilisierte die lokale Bevölkerung. Die Hutu wollten ihre Landrechte gegen die Minenrechte verteidigen. Seninga gründete die Hutu-Miliz Nyatura, „Harter Druck“, mit, bis heute eine der größten und brutalsten bewaffneten Gruppen im Ostkongo. Die Milizionäre errichteten Straßensperren rund um die Gruben, verlangten Wegzoll für jeden Sack. Die Geologen und Ingenieure von SMB, die die Gruben vermessen und Maschinen installieren wollten, erhielten keinen Zugang. Statt ihrer kamen die Hutu-Bauern mit ihren Spitzhacken, ohne formelle Lizenz. Seninga organisierte die Schürfer in der Kooperative Cooperamma.
Heute sitzt der Abgeordnete Seninga im feinen Anzug in der Parteizentrale der UCP (Kongolesische Union für den Fortschritt) in Goma, nur wenige hundert Meter von Mwangachuchus Firmensitz entfernt. Von hier aus leitet er die Mineralien-Geschäfte. Cooperamma sei mit über 3.000 Mitgliedern Nord-Kivus größter Arbeitgeber, sagt Seninga stolz: Sie beschäftigen nicht nur Schürfer, auch Fahrer, Schlepper, Geologen, Techniker, Sicherheitsleute. Er rühmt sich, einen Frauen-Verein sowie ein Fußballmannschaft zu haben.
Der Hutu Seninga mit seinen Bergleuten, der Tutsi Mwangachuchu mit seiner Bergbaulizenz – die beiden sind direkte Rivalen im Krieg um Macht und Geld.
Ben Mwangachuchu, Minenbetreiber
Unter Vermittlung der Regierung ließen sich die beiden 2013 auf einen Kompromiss ein: Die Minengesellschaft erlaubte den Schürfern, auf Teilen des Abbaugebiets zu graben. Die Kooperative verpflichtete sich im Gegenzug, die ausgebuddelten Mineralien an SMB zu verkaufen. Seitdem ist die Konzession quasi zweigeteilt. Auf einem Hügel graben große Bagger geordnet die Erde um – auf dem Hügel daneben buddeln Abertausende Schürfer mit Händen und Spaten Löcher in den Berg. Immerhin: Die Nyatura-Miliz war danach kaum mehr sichtbar. Beim Besuch in Rubaya im August standen nur noch wenige schmutzige Milizionäre mit alten Kalaschnikow-Sturmgewehren an einer Straßensperre am Ortseingang. „Wir haben Hunger“, klagten sie.
Seitdem gilt Rubaya als Mustermine im Kongo. Sie war 2012 die erste, die von Kongos Regierung im neuen international überwachten Zertifizierungsschema den Status „grün“ erhielt. Seitdem darf SMB legal Coltan auf den Weltmarkt exportieren, die Gesellschaft zählt zu den größten Steuerzahlern im Ostkongo.
Doch Anfang Mai 2018 ließ Verwalter Ben Mwangachuchu dann die Bergbauarbeiten in Rubaya einstellen. Der Grund: Cooperamma habe 13 Containerladungen Coltan illegal außer Landes geschafft, „ohne uns auch nur einen Dollar dafür zu bezahlen“, so Mwangachuchu. „Sie schulden uns fünf Millionen Dollar.“
Mwangachuchu beschwerte sich in Kinshasa beim Minenministerium und zog vor Gericht. Ein Verfahren im Nachbarland Tansania führte letztlich dazu, dass der Zoll im Ozeanhafen Daressalam einen Container beschlagnahmte. Die übrigen 12 Container waren schon verschifft. Bei der Prüfung des beschlagnahmten Containers bestätigte sich: Das Siegel enthielt den Registrierungscode von SMB. „Das Coltan muss also aus unserer Mine stammen“, so Mwangachuchu.
Die Schürfer sollen gehen
Konfrontiert mit den Schmuggelvorwürfen, winkt Seninga in seinem Parteibüro ab. Er sieht keine Unregelmäßigkeiten. Im Gegenteil: Er wirft SMB vor, durch die Schließung der Mine neue Konflikte geschaffen zu haben: „All die jungen Männer, die bei uns eine Arbeit gefunden hatten, wurden arbeitslos und suchten wieder nach Waffen, um zu plündern und zu zerstören.“
Mwangachuchu berichtet von ethnischen Spannungen in Rubaya. Schürfer hätten bei den Protesten im Mai Parolen gegen Tutsi geschrien, erzählt er. Seine Arbeiter seien angegriffen worden. Ein Mensch starb. Im Juni setzte Kongos Minenminister Kabwelulu den Status der Mine von „grün“ auf gelb und zog all die staatlichen Angestellten ab, die die Säcke und Tonnen für den Export versiegeln und zertifizieren. SMB konnte daraufhin nicht mehr legal exportieren.
Unter Druck des Minenministeriums unterschrieben beide Seiten nach monatelangen Verhandlungen schließlich ein Abkommen. In dem Papier, das der taz vorliegt, wird klar geregelt: Cooperamma muss alle in Rubaya geförderten Mineralien an SMB verkaufen. Im Gegenzug erlaubt SMB den Schürfern, noch weitere 15 Monate zu graben. „Doch dann müssen sie alle unsere Mine verlassen, basta!“, so Ben Mwangachuchu.
Seit Mitte August ist die Mine nun wieder geöffnet. Doch Seninga fürchtet in der Zukunft um das Einkommen seiner Schürfer. Als die Mine geschlossen war, verdienten sie nichts mehr, die Wirtschaft in ganz Nord-Kivu sei am Boden gewesen. Wenn die Schürfer gegen Ende 2019 die Mine wirklich verlassen müssen, „werden die Folgen für alle sehr schlimm“.
Im Stadtzentrum von Rubaya ist davon jetzt noch nichts zu ahnen. Entlang der ungeteerten Hauptstraße gibt es Restaurants, Hotels und kleine Läden für Haushaltswaren, Baumaterialien oder Lebensmittel. Auf dem Markt verkaufen Frauen Obst und Gemüse. Die spontan gewachsene Bergbaustadt ist für den Bezirk Masisi das Wirtschaftszentrum schlechthin – ein florierender Handelsort inmitten eines Kriegsgebiets, wo sonst fast gar nichts funktioniert.
Im Zentrum sitzt der 24-jährige Innocent Ibrahim im Laden seines Vaters. Die Regalbretter sind bis unter die Decke vollgestellt mit Zement, Nägeln und Werkzeugen. Das Geschäft lief immer gut, sagt er. „Wenn die Mine bewirtschaftet wird, dann ist viel Geld im Umlauf. Manchmal habe ich pro Tag bis zu 450 Dollar Umsatz gemacht.“ In Rubaya werden viele Häuser gebaut, aber auch Hotels und Restaurants für all die Händler und Geschäftsleute, die hier ein Einkommen suchen. Doch als die Mine geschlossen war, lag die Wirtschaft brach. „Während der Schließung konnte ich nicht einmal 100 Dollar pro Tag einnehmen“, sagt Ibrahim. „An manchen Tagen haben ich gar nichts verkauft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag