CocoRosie-Konzert in Berlin: Kunstvolle Anarchie
Eine Fee und ein bockiges Kind, so teilen sich die Schwestern Sierra und Bianca Casady die Rollen. Beim Tourauftakt in Berlin spielen CocoRosie mit Rajasthan Roots.
BERLIN taz | Man dachte eigentlich, sie hätten längst den Vogel abgeschossen. Der Erfolg, den CocoRosie seit Jahren haben, ist für viele unerklärlich. Sierra und Bianca Casady sind zwei Schwestern, die zusammenbringen, was nicht zusammengehört: Sierra singt mit Opernstimme, feengleich, sphärisch, edel. Bianca macht mit ihrer kindlich-bockigen Stimme eine Art Sprechgesang, die Texte sind poetisch, kritisch, symbolisch. Dazu gibt es allerlei elektronische Klänge, manchmal eine Harfe oder eine Schlangenbeschwörerflöte.
Auf ihren letzten Alben benutzen CocoRosie zusätzlich Föhne und Kinderspielzeug. Die haben sie für ihre Tour „We are on fire“, die am Wochenende in Berlin begann, weggelassen. Dafür haben sie jetzt Rajasthan Roots dabei, eine indische Band, den Beatboxer Tez sowie einen Bassisten und einen Keyboarder.
Was sich daraus im Neuköllner Heimathafen zusammenbraute, ist schwer zu beschreiben. Schon die Begriffe „Weird Folk“ oder „Freak Folk“, mit denen CocoRosie ab und zu bezeichnet werden, haben wenig Aussagekraft. In Kombination mit traditioneller indischer Musik und ausgeklügelter Vocal Percussion wird daraus eine Mischung, die kompliziert und krass und bezaubernd ist.
Ein paar Songs sind neu, die anderen älter, aber aufgemotzt. „In a dream I was a werewolf“ singen die Schwestern und tragen dazu wie gewohnt Outfits jenseits von Gut und Böse.
Um Sierra Casady flattert ein rosa Umhang, darunter trägt sie ein grünes verwickeltes Top, eine große, weiße Männerunterhose mit Eingriff, glitzernde Leggins, schwere schwarze Schuhe, von denen einer offen ist und durch eine hochgezogene weiße Sportsocke ergänzt wird. Das Hütchen, das sie anfangs auf dem Kopf hat, fällt irgendwann runter. Ihre Schwester Bianca trägt, als sie auf die Bühne kommt, einen kartoffelsackartigen Overall, dazu eine Rastafari-Mütze. Den Sack zieht sie später aus, darunter hat sie eine Jeans mit Hosenträgern und eine weiße Corsage.
Ätherisch und rotzig
Den typischen CocoRosie-Sound, der immer ein bisschen fragil und experimentell-verspielt, bisweilen aber auch ernst und sogar düster ist, ergänzen die fünf MusikerInnen von Rajasthan Roots auf beeindruckende, fulminante Art. Mit einer elektrischen Sitar, Flöten, Trommeln, Kastagnetten und Zimbeln verpassen sie CocoRosie eine bisher ungekannte Wucht: esoterisch und kräftig. Es ist ein kleines abmischungstechnisches Wunder, dass weder Sierras ätherischer noch Biancas rotziger Gesang dabei untergeht, und auch nicht die Beatbox von Tez.
Das liegt vielleicht auch daran, dass „We are on fire“ nicht die erste Zusammenarbeit mit Rajasthan Roots ist. Nach den vier Studioalben von 2004 bis 2010 haben CocoRosie in letzter Zeit ihren Aktionsradius ausgeweitet. Erst vor Kurzem feierten sie große Erfolge in Hamburg und auf dem Donaufestival in Krems mit dem Tanztheaterstück „Nightshift – A Feeble Ballett“ und der Pop-Oper „Soul Life“.
Dazu gab es die Liveshow „Die achte Nacht“, bei der unter den GastmusikerInnen auch Rajasthan Roots waren. Die spielen in Berlin zwischendurch ein paar eigene Stücke, ihre Zwischenansagen – „God is everywhere“ und „God is among us“ – passen wiederum sehr gut zu CocoRosie, die auf einer ihrer Singles sagen: „God has a voice. She speaks through me.“
Bisweilen hat man das Gefühl, aus den beiden Schwestern spricht tatsächlich so viel, dass sie es kaum schaffen, das alles in ihren Songs unterzubringen. Vor allem Sierra macht beim Singen so viel mit den Händen, als erzähle sie nebenbei mit einer eigenen Gebärdensprache Märchen. Und doch schaffen es CocoRosie, dass sich zwischen den insgesamt zehn MusikerInnen eine wunderbare Harmonie einpendelt, irgendwo zwischen wahnsinniger Anarchie und kunstvollem Arrangement.
■ Heute noch in Berlin (Heimathafen Neukölln), 10. 7. Köln (Gloria), 13. 7. Lausanne (Festival de la Cité), 14. 7. Zürich (Rote Fabrik), 26. 7. Wien (Arena)
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