Clown Oleg Popov: Der russische Hans im Glück
Oleg Popov, weltberühmter Clown, ist müde. Trotzdem spielt er weiter. Die Leute, sagt er, halten ihn ohne Maske oft für traurig – dabei ist er nur normal.
DRESDEN taz | Der Mann ist ein Clown, als seine Frau stirbt. Er hat die Plastiknase im Gesicht, die Lippen geschminkt, dunkel und herzförmig, er hat die gelbe Perücke auf und seine karierte Mütze.
Der Mann ist in Hamburg, 1990, als seine Frau in Moskau stirbt. Er würde gern nach Moskau reisen, die Beerdigung ausrichten, die Blumen aussuchen vielleicht. Er würde die Tournee abbrechen müssen. Doch ohne Popov keine Show, es müsste die ganze Tournee abgebrochen werden, der Lebensunterhalt einer Zirkusmannschaft wäre hin. Da schickt er der Tochter Geld. Olga, sagt er vielleicht, kümmere dich um alles, denk an die Blumen. Ich schaff’s nicht nach Hause.
Wie diese Tage denn sind, an denen man zu ernst ist für den Zirkus? Popov gähnt. Er ist müde, sieben Stunden Busfahrt hat er hinter sich und er will nicht vom Tod seiner ersten Frau reden, nicht schon wieder. Eigentlich will er gar nicht reden. Die anderthalb Stunden Gespräch, die ausgemacht waren, in der Garderobe des Dresdner Kulturpalasts sind geschrumpft. In dreißig Minuten beginnt sein Auftritt, vor dem er noch „ein paar Augenblicke allein sein will“, so sagt es seine zweite Frau Gabriela. Sie ist 32 Jahre jünger als Oleg, 82, eine Deutsche, die sein lautes Russisch leise übersetzt.
„Es ist nicht wichtig, was für Wetter ist oder ob du in einer Tragödie steckst“, sagt Popov endlich. Die Worte schleppen sich aus seinem Mund. „Du gehst raus und spielst.“
Und wenn die Tragödie eine besonders schlimme Tragödie ist?
„Auch dann.“
Plastikrosen und Marienbild
Oleg Popov ist noch kein Clown. Seine Wangen sind noch blass, die Stirnfalten sichtbar, das graue Haar. Nur die Lippen hat er geschminkt, dunkel und herzförmig. „Und die Nachricht vom Tod meiner Mutter“, fängt er an, links von ihm Luftballons, rot, blau, gelb, ein offener Koffer, Plastikrosen darin, seine karierte Mütze. Ein Marienbild.
Vom Tod der ersten Frau spricht er nicht, vom Tod der Mutter schon. „Die Nachricht hat man mir damals in der Pause hinter der Bühne überbracht.“ Rechts von ihm Spiegel, an einem klebt „Today’s Menu“. „Aber ich musste die Show zu Ende bringen.“ Today’s Menu: „Broccoli Suppe, Spaggetti Alio Olio, Gries mit Kirchen.“ „Ich bin zurück in die Manege und meine Tränen liefen.“
Es knallt. Ein Mann mit Schnauzer, Popovs Assistent, hat die Luftballons aus der Garderobe in den Flur gezerrt und ist dort auf einen getreten. „Wen hast du erschossen?“ Popov lacht.
Der traurige Clown
Seinen Job, nein, den würde er nicht hassen in Momenten wie damals, als er jonglieren musste und an seine Mutter dachte, die gerade gestorben war. Überhaupt, diese Redensart vom traurigen Clown, Popov hebt die Stimme, das sei so eine typische, typische Meinung, die die Leute haben, wenn sie „einen Clown ohne Maske und in seinem Alltag sehen, wo er womöglich nicht so lustig ist. Dann kommen sie auf die Idee, dass er traurig sein könnte.“ Sie kämen nicht auf die Idee, dass er normal sein könnte.
sonntaz
Dieser Text ist Teil eines sonntaz-Spezials über Demografie. Alle Texte lesen Sie in der sonntaz vom 16./17. Juni 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Und doch weiß Oleg Popov früh und viel über Traurigkeit. „Meine Kindheit wurde mir gestohlen“, sagt er, so viel habe er zum Krieg zu sagen. „Und nicht nur meine. Die Kindheit meiner Generation.“ Es lebte sich schlecht im Moskau der Dreißiger, man musste sich eine Wohnung mit zwei anderen Familien teilen. Popov klappt eine Schminkschatulle auf. „Wir waren alle irgendwie ausgesetzt.“ Er tunkt einen Pinsel in schwarze Farbe und malt sich dünne Augenbrauen, routiniert, ein Strich, zwei Striche, fertig.
Sein Vater, Popov ist bald acht, kommt irgendwann, 1937, nicht von der Uhrenfabrik zurück. „Man erzählte, dass er eine Uhr für Stalin machen sollte und dass sie nicht richtig ging. Man erzählte, dass er darum in Arrest kam.“ Popov streicht rote Farbe auf seine Wangen, auch das zwei Handgriffe, Popov wird Clown. „Ich weiß nicht, ob es wirklich stimmt, ich habe mich bemüht, die Wahrheit rauszukriegen.“ Seine Worte klingen matt, oft erzählt. „Ist mir nie gelungen.“
„Artisten sind schlechte Menschen“
Später verheimlicht er der Mutter, dass er die Aufnahmeprüfung an der Zirkusschule bestanden hat. Sie hält Artisten für Alkoholiker und schlechte Menschen, „ich möchte nicht, dass du mal so einer bist“. Erst als er ihr Essensmarken bringt, seinen Lohn, darunter sogar Marken für Fleisch, wird sie weich.
Und dann die Hochzeit. Die Tochter Olga. Für sanfte Übergänge von einer Frage zur nächsten ist keine Zeit.
1954. Popovs Erfolg hängt am Misserfolg anderer. Clown Pawel Borowikow bricht sich während seines Auftritts eine Rippe. Popov springt ein, improvisiert, eine Nummer mit Gabeln und Töpfen. 1956. Clown Karandasch ist Alkoholiker, kann nicht mit nach Westeuropa. Popov springt ein, wird Hauptclown des russischen Staatscircus, Chruschtschow schickt ihn auf Propagandatour nach Brüssel, München, Berlin, Monte Carlo, KGB-Agenten inklusive.
Das Gute gewinnt
Der Westen soll sehen, wie groß sowjetische Kultur ist. Und Popov schickt sich: Seine Pantomimen sind schlicht, naiv fast, aber poetisch und nie politisch. Sein Vorbild ist kein Satiriker oder Zyniker, sondern die Figur des Iwanuschka, vergleichbar dem deutschen Hans im Glück. Seine Moral ist die immergleiche: Das Gute gewinnt.
Was ihn zum guten Menschen macht? Oleg Popov zieht nun schwarze Lidstriche unter die wässrigen, blauen Augen. „Man muss von sich aus gut sein“, antwortet er. „Zu versuchen, ein guter Mensch zu sein, wäre falsch.“
Ist es das, was er seinen Enkeln weitergeben möchte?
Er hat eine Formel. „Ich will ihnen sagen, sie sollen gesund bleiben. Das ist die Voraussetzung fürs gute Leben.“ Kitsch? Phrasen? Immer noch matt: „So setzt sich Glück zusammen. Ich will, dass sie Freude am Beruf haben und eine zufriedene Familie.“
Wie er diese Erkenntnis in seinem langen Leben damit vereinbaren konnte, im Sinne derer zu handeln, die für den Riss in seiner Familie – glaubt er an die Erklärung mit der Uhr – verantwortlich sind?
„Eine Partei war mir zu ernst“
„Da, da, da“, er unterbricht seine Frau, die noch übersetzt. Man habe ihm oft angeboten, einer Partei beizutreten. „Aber eine Partei, das war mir zu ernst, zu politisch. Und wenn ich an meinen Vater dachte, dann wollte ich Clown sein.“
Aber heute, wo er seit über zwanzig Jahren in Oberfranken wohnt, in der Welt als „bester Clown“ bekannt ist, Charlie Chaplin, Gerhard Schröder und die Königin der Niederlande getroffen hat, sich vor zwei Jahren von Putin und Medwedjew zu den gut sechzig Zirkusjahren gratulieren ließ und wo er immer noch nicht in Rente geht, heute ist er müde. Man müsse nicht wissen, wie oft er aufgetreten sei. Man müsse auch nicht zählen, wie alt er sei, und man brauche auch kein Vermögen. Popov steht auf. „Wenn alles da ist, ist es gut. Wenn nicht, muss man nicht unglücklich sein.“
Sein Kostüm in der Hand, dreht er sich um. Gabriela Popov wird ungeduldig, bitte zum Ende kommen. Was ihm im Alter leichter fällt? „Andere zu verstehen.“ Was schwieriger ist? „Die Zeit vergeht viel schneller.“
Was die Menschen an ihm mögen? Eine ausbreitende Handbewegung, als wolle er sagen: Schauen Sie mich doch an! „Die Aura“, sagt er. In schwarzer Unterhose steht er nun da, die Hosenträger hängen herunter.
Der Mann knöpft das weiße Hemd zu, zieht die gestreifte Hose an. Was er, wenn er an Russland denkt, am allermeisten vermisst? Die rote Fliege. Das schwarze Jackett. Gleich lässt er die Ratte an einem Fallschirm schweben, die jetzt noch am Fenster im Käfig sitzt, gleich wird er die Nummer bringen, seine berühmteste: Er läuft dem Lichtkegel hinterher, den der Scheinwerfer auf die Bühne wirft, und versucht das Licht einzufangen, so lange, bis es in seine Tasche gestopft ist – dann holt er es wieder raus und wirft es ins Publikum. Es werden nicht viele Leute da sein, 600 heißt es, obwohl der Raum so leer aussieht. Aber sie werden oft klatschen und laut.
„Was ich am allermeisten vermisse?“, sagt Oleg Popov. „In Moskau auf den Friedhof zu meinen Verstorbenen zu gehen.“ Er hat die Plastiknase im Gesicht, die gelbe Perücke auf und seine karierte Mütze.
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