„Clan-Razzien“ im Visier: Linke sorgt für Recht und Ordnung
So genannte Verbundeinsätze sind rechtlich problematisch, finden aber immer wieder statt. Jetzt schert Neuköllns Ordnungsstadträtin Sarah Nagel aus.
Nun hat sie erstmals durchgegriffen und die Teilnahme ihrer Mitarbeiter*innen an einem Verbundeinsatz von Polizei, Zoll und Ordnungsamt unterbunden. Bei dem sollte auch ein Restaurant durchsucht werden, wo zuvor eine Gewerbekontrolle des Ordnungsamts abgebrochen werden musste, weil Angestellte des Lokals aggressiv wurden. Ein gefundenes Fressen für die Journaille: „Neuköllner Stadträtin lässt Mitarbeiter nicht an Clan-Razzia teilnehmen“, schrieb die B.Z. Im Tagesspiegel hieß es gar: „Clan-Größe lobt Linken-Politikerin als ‚Ehrenfrau‘“. Der Subtext ist unmissverständlich: Eine Linke behindert den Kampf gegen das organisierte Verbrechen, die Clans lachen sich ins Fäustchen.
Gegenüber der taz stellt Nagel nun klar: „Ich weise jeden Versuch der Vereinnahmung durch Kriminelle entschieden zurück.“ Das fragliche Restaurant werde bald erneut kontrolliert, verspricht sie, und betont: „Ich lasse es nicht zu, dass unsere Mitarbeiter*innen an ihrer Arbeit gehindert und bedroht werden.“ Und sie könnten „selbstverständlich“ die Polizei hinzuziehen, wenn dies nötig sei. Die Teilnahme an dem Verbundeinsatz habe sie jedoch unterbunden, weil sie Zweifel gehabt habe, dass die Aktion alleine dem Ziel der Gewerbeüberwachung diene.
Hier trifft Nagel einen wunden Punkt, der von den Verfechter*innen solcher behördenübergreifender Einsätze bislang völlig ignoriert wird. So stellt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft fest, dass Verbundeinsätze zur Gewerbekontrolle nicht nur weitgehend ineffizient sind, was den Kampf gegen organisierte Kriminalität angeht.
Gewerberecht als „trojanisches Pferd“
Die Autor*innen der “Organisationsuntersuchung zur Struktur und Praxis der Gewerbeüberwachung im Land Berlin“ kritisieren zudem, die Einsätze seien aus „rechtsstaatlicher Sicht problematisch“ – insofern gewerberechtliche Kontrollen nur das „trojanische Pferd“ für die polizeiliche Informationsgewinnung über mögliche kriminelle Aktivitäten sind. Diese Vermischung von Gewerbe- und Strafverfolgung sei „unzulässig“, halten die Autor*innen fest. „Das Gewerberecht ist kein Türöffner für die präventive Kontrolle von Straftaten“ (taz berichtete).
Überdies führe diese Praxis dazu, dass bestimmte Gewerbe, „die als kriminogen eingeschätzt werden“, überdurchschnittlich oft kontrolliert werden, andere hingegen, etwa „Immobilienmakler:innen, Güterhändler:innen, Finanzanlagevermittler:innen“, kaum oder gar nicht. „Diese selektive Überwachungspraxis ist nicht im Sinne des Gewerberechts“, heißt es.
So sieht es auch Sarah Nagel: „Ich möchte, dass die ganze Breite der Gewerbe abgedeckt wird und unsere Kontrollen verhältnismäßig und respektvoll ablaufen.“ Doch damit steht sie bislang offenbar alleine da. So habe sie sich bei einer Sitzung der Stadträte im Oktober erkundigt, wie der Umgang mit Einsätzen aussehen solle, die als rechtsstaatlich problematisch eingeschätzt werden. „Ich habe leider keine befriedigende Antwort bekommen“, sagt sie.
Auch die Wirtschaftsverwaltung weiß offenbar noch nicht, wie sie mit den Erkenntnissen der Studie umgehen soll. Eine entsprechende Anfrage der taz blieb am Donnerstag bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Hikel hat „kein Verständnis“
Im Bezirksamt sorgt Nagels neues Selbstbewusstsein für Diskussionen. Bislang war es Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD), der über den Einsatz von Nagels Leuten bei Verbundeinsätzen bestimmte. In seinem Büro sitzt die Koordinierungsstelle für öffentliche Sicherheit und Ordnung, die die Verbundeinsätze im Bezirk koordiniert und dafür auch auf Mitarbeitende des Ordnungsamts zurückgriff. „Ich wurde überhaupt nicht eingebunden, obwohl ich die politische Leitung des Amts bin“, sagt Nagel. „Das war einfach kein Zustand.“
Darum habe sie kürzlich angewiesen, dass die Teilnahme von Mitarbeitenden ihres Amtes ab sofort ihrer Zustimmung bedarf – und dass solche Einsätze den rechtlichen Rahmen der Gewerbeüberwachung nicht mehr überschreiten dürfen.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – und doch eine Kampfansage an Hikel. Der lässt prompt über seinen Sprecher ausrichten, er habe für diese Anweisung „kein Verständnis“. Seiner Bezirksamtskollegin bescheinigte er ein „schwieriges Verständnis von Rechtsstaatlichkeit“, wenn sie darüber entscheide, „welcher Betrieb kontrolliert wird und welcher nicht“ – obwohl es Nagel darum ja gar nicht geht. Das Problem der fehlenden Rechtsstaatlichkeit von Verbundeinsätzen, die Gewerberecht und Strafrecht vermischen, sieht er schlicht nicht: „Es ist einfach falsch zu behaupten, hier würde geltendes Recht ignoriert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste