Citizenship fährt nach Kassel: Schiffsbesetzerszene
Das ZK/U lässt jetzt ein DIY-Schiff von Berlin nach Kassel zur documenta 15 fahren. Dafür braucht es Körperkraft und einen E-Motor.
Entstanden ist das Schiff auf Initiative der Moabiter Kunstplattform ZK/U. Das ZK/U gehört zu 14 Kunstkollektiven, die von der zehnköpfigen Kurator*innengruppe ruangrupa eingeladen wurde, zur bald eröffnenden documenta fifteen beizutragen. „Wir sind sehr schnell auf unser Dach gekommen“, erzählt Matthias Einhoff vom ZK/U der taz.
Dieses Holzdach einer ehemaligen Lagerhalle auf dem Güterbahnhof von Moabit sollte im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen ohnehin abgetragen werden. Es beherbergte in den vergangenen Jahren viele gemeinschaftliche Projekte am ZK/U, und soll dies ebenso während der documenta tun. „Als wir überlegten, wie wir dieses Tonnen schwere Dach nach Kassel bringen können, kamen wir schnell auf den Seeweg“, so Einhoff.
Das ZK/U liegt nahe am Westhafen“, so Einhoff. Die Suche nach einem geeigneten Transportschiff führte dann zur so schrägen wie einleuchtenden Idee: Drehen wir doch das Dach um und machen es zum Schiffskörper.
Jetzt sieht dieses etwa 20 Meter lange „Dach-Boot“ aus wie eine schwimmende Gemeinschaftsplattform. Mächtige Holzbalken stabilisieren den Aufbau. An damit verbundenen Metallgerüsten stehen und winken Passagiere. Windräder drehen sich an der Seite. Vorn ragt wie bei einer römischen Galeere ein Metallsporn heraus, der allerdings eine Videokamera trägt.
DIY-Boot vorm Kanzleramt
Das citizenship hat eine mehr als 600 km lange Reise auf Havel, Elbe, Weser und Fulda vor sich, um nach 60 Tagen die documenta-Stadt Kassel zu erreichen. Es trägt einen kollektiven Geist, den auch die documenta fifteen nach Vorstellungen von ruangrupa haben soll. „Das Vorwärtskommen funktioniert nur, wenn viele Menschen sich beteiligen“, betont Einhoff. Acht Fahrradrahmen mit Lenker und Pedalen sind auf dem Deck montiert. „Die Kraft der Pedale geht direkt auf eine Propellerachse, mit der das Schiff angetrieben wird“, erklärt er.
Oben auf dem Boot sind Solarpaneele befestigt, die Energie für den Elektromotor erzeugen sollen. Eine Brennstoffzelle, die ebenfalls den E-Motor antreibt, dient als Back-Up-System. Bei Wind sollen zwei Windräder helfen, und auch Segel, die beim Start in Berlin noch eingerollt unter der Dachkonstruktion waren. „Unterwegs können wir auch noch auf die Hilfe von Rudervereinen und Kanuklubs zählen. Sie machen sich am Boot fest und ziehen uns“, verspricht Einhoff.
Berliner Vereine hielten sich beim Start jedoch zurück. Kein Boot machte längsseits fest. Und auch die Fahrräder blieben weitgehend unbesetzt. Auch deshalb verzögerte sich die Schaufahrt am Schiffbauerdamm, zwischen Berliner Ensemble und den Regierungsbauten, am Donnerstag. Trotzdem Aufsehen erregend, wie da so ein DIY-Boot langsam an der glatten Fassade des Kanzleramts vorbeigleitet.
Im Rahmen der Reise sind viele Aktionen geplant: Unterwegs sollen aus Altkleidern Segel und Bekleidung für die Besatzung genäht werden, das queere Fußballaballa-Projekt soll Brandenburg erobern und die historische Zolleintreibung aus Zeiten mittelalterlicher Kleinstaaterei soll an der Weser reenacted werden.
Das citizenship wird auch von einem E-Motor angetrieben. Der Prototyp aus einem E-Golf von Volkswagen ist 25 Jahre alt. Dass VW damals schon einen leistungsfähigen E-Motor baute, die Serienfertigung aber jahrzehntelang hinauszögerte und stattdessen lieber Prüfstandsoptimierung für Dieselmotoren betrieb, ist ein trauriger Nebenaspekt dieses ansonsten prächtigen, kollektiven, selbstversorgerischen Projekts. VW stellte immerhin Praktikanten zur Installation der komplexen Antriebsarchitektur für das citizenship ab. https://citizenship.zku-berlin.org/
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