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Cindy Sherman in BerlinStarkes Doppel

Neue Arbeiten von Cindy Sherman und Andrea Zittel bei Sprüth Magers. Die gegensätzlichen Positionen haben doch Grundlegendes gemein.

Cindy Sherman bei Sprüth Magers Foto: Ingo Knies/Sprüth Magers

Die überlebensgroßen Figuren auf Cindy Shermans fotografischen Porträts blicken die Besu­che­r*in­nen eindringlich an. Sie tragen zottelige Pelzrepliken, kapriziöse Katzenprints und Strickeinteiler, die unentschieden zwischen hip und hippiesk changieren. Sie alle tragen eine dicke Schicht Make-up, die Augäpfel treten glasig hervor, hier und da blitzt ein wenig Lipgloss auf. Frisuren und Gesichtsbehaarungen geben Hinweise auf das Geschlecht. Das Gesicht aber ist immer dasselbe: das der Künstlerin.

Im Stockwerk darüber sind mit Gouache und Aquarellfarben auf Papier gefertigte Studien von Andrea Zittel zu sehen. Schwarze Rechtecke und Linien lassen mal flächige, mal dreidimensional wirkende Vorstudien zu Räumen und kleineren architektonischen Einheiten entstehen. Darin imaginiert Zittel hyperindividualisierte Wohnumgebungen. Als Hintergrund oder als Blick durch ein Fenster evozieren Erdtöne die kalifornische Mojave-Wüste, in der die Künstlerin seit 20 Jahren lebt und arbeitet.

Unterschiedlicher könnten die Werke der beiden US-amerikanischen Künstlerinnen kaum sein. Doch zeigt die pa­rallele Präsentation in zwei Einzelausstellungen bei der Berliner Dependance der Galerie Sprüth Magers, dass sie einiges gemeinsam haben.

Seit Jahrzehnten schlüpft Sherman, Jahrgang 1954, in ihrem New Yorker Studio in immer neue Rollen. Ihre Porträts untersuchen das Bild der Frau – genauer: die Frau als Bild –, wie es massenmedial, durch soziale Zuschreibungen und den schon in die Technologie eingelassenen männlichen Blick entsteht.

Die Ausstellungen

laufen beide bis 13. Februar, Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18, 10178 Berlin, Besuch über Onlinebuchung

Sherman hält dem Körper einen Spiegel vor und deutet sein Bild feministisch um. Die 1965 geborene Zittel spiegelt ihn in seinem Habitat. Sie gestaltetet Wohneinheiten, Mobiliar, Teppiche, Geschirr. Der technisierten männlichen Moderne setzt sie eine naturnahe und soziale gestalterische Praxis entgegen.

Naturnahe gestalterische Praxis

Sherman zählt zu den bedeutendsten Künstler*innen der Gegenwart. Ihre Erfolgsgeschichte begann Ende der 1970er Jahre mit ihrer Serie der „Untitled Film Stills“, Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen sie szenisch weibliche Filmfiguren verkörpert, vom Vamp bis zur einsamen Hausfrau.

Es folgten Hunderte unbetitelte, durch eine laufende Nummer zusammengehaltene Porträts. Sie wurden farbig, digital, monumental und ihr Ensemble immer größer. Männlich gelesene und queere Figuren hielten Einzug, selbst Clowns widmete Sherman eine Reihe.

Ende der 1990er Jahre adaptierte Sherman satirisch Porträts der Barock- und Renaissancemalerei. In den „Socie­ty Portraits“ der 2000er Jahre mimte sie alternde Frauen und kommentierte einen grotesken Jugendkult. Die neuen Arbeiten führen die Auseinandersetzung mit dem Altern fort, aber auch die mit der Malerei und den Möglichkeiten der digitalen Fotografie.

Allein oder in Paaren treten die Figuren vor schrill bearbeiteten Wäldern und Stadtszenen auf. Die Formate lassen sich mal als Urlaubsschnappschuss, mal als höfisches Standesporträt deuten. Das immer gleiche Gesicht schaut aus einer homogenen Masse, in der das Individuum dazu verdonnert ist, sich in kreativen Maskeraden immer wieder neu zu erfinden.

Andrea Zittel, Works on Paper, bei Sprüth Magers Foto: Timo Ohler/Sprüth Magers

Zittel nannte dieses Diktat einmal die „Tyrannei, immer variieren zu müssen“. Dem entgegnete sie ihre „A–Z Uniform Series“ (1991–2002), je ein schlichtes Kleidungsstück für Sommer und Winter, das die Künstlerin auch selbst täglich trug.

Fortlaufende Experimente mit Modulen

Vier Jahre lang schuf sie ein neues Stück für jede Saison. Zittels Ästhetik wurzelt im russischen Konstruktivismus. Auch dem US-amerikanischen Minimalismus fühlt sie sich verbunden, doch vom nackten Formalismus dieser männlichen Avantgarde unterscheidet sie die Nähe zum Leben. Sie hat stets Wohnräume gestaltet, auch ihre eigenen. Sie sind von farbigen Musterfeldern durchzogen und mit modularen Möbeln bestückt. Zittel ist, könnte man berechtigterweise sagen, die perfekte Bauhäuslerin.

Ihre Portrits untersuchen das Bild der Frau, genauer: die Frau als Bild

Regelmäßig lädt sie junge Künst­le­r*innen zu Arbeitsaufenthalten und Seminaren ein. Dafür hat sie minimale Wohneinheiten in die Wüste gesetzt, die auch an Charlotte Per­riands futuristischen Bergbungalow „Refuge Tonneau“ aus dem Jahr 1938 denken lassen.

Bei der 10. Documenta im Jahr 1997 zeigte Zittel kleine, serienmäßig produzierte Camper, eskapistische Mobile, deren Innenräume sie individuell ausstattete, zum Beispiel als Höhle oder mit babyblauem Samt. Innerhalb gegebener Restriktionen lotet sie stets eine größtmögliche Vielfalt aus.

Die Rechtecke ihrer neuen Studien auf Papier – sie kommen auch in Zittels fortlaufenden Experimenten mit modularem Mobiliar vor – stehen für eine standardisierte Produktion, ermöglichen aber unendlich viele Kombinationen. Sherman arbeitet ebenfalls mit Restriktionen, der Kamera und dem Por­trät und findet darin eine beeindruckende Vielfalt von Bildern.

300.000 bis 325.000 Dollar müssen Sammler*innen für die neuesten Shermans bei Sprüth Magers ausgeben. 2011 wurde ihr „Untitled #96“ für knapp 3,9 Millionen Dollar versteigert, bis dato der höchste je für eine Fotografie gezahlte Preis. Eine Studie Zittels kostet zwischen 20.000 und 30.000 Dollar. Alltagsobjekte, die unter ihrem Label „A–Z“ entstehen, verkauft sie auch in ihrem Onlineshop. Schon ab ca. 50 Dollar ist eine Schale aus Ton dort zu haben.

Eine Retrospektive mit Arbeiten Shermans aus 45 Jahren wäre derzeit in der Pariser Fondation Louis Vuitton zu sehen, bliebe diese nicht wegen des Lockdowns in Frankreich vorerst geschlossen. Der Gropius Bau zeigte 2007 eine Sherman-Retrospektive in Berlin. Eine größere Ausstellung in Deutschland hatte Zittel in den Hamburger Deichtorhallen zuletzt 1999. Eine neue Werkschau dieser faszinierenden Künstlerin ist nun überfällig – gerade angesichts der in der Pandemie wieder aufkeimenden Frage, wie wir eigentlich leben wollen.

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