Christopher Street Day im Norden: Regenbogen unter Druck
In Zeiten steigender Queerfeindlichkeit startet die CSD-Saison in Norddeutschland mit gemischten Gefühlen. In Schwerin wollen Rechtsextreme stören.
So richtig Zeit für Vorfreude bleibe da nicht, sagt Sebastian Witt aus dem Organisationsteam des 19. Schweriner CSD. „Eine sichere Veranstaltung zu bieten, ist gerade unsere höchste Priorität, da fällt leider einiges anderes runter.“
Im vergangenen Jahr hatten rechtsextreme Störer:innen die Organisator:innen überrascht. Nach dem Schock würden sie sich in diesem Jahr besser auf Störaktionen vorbereiten, sagt Witt: „Wir haben unsere Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht und stehen enger im Kontakt mit der Polizei.“
Ausschlaggebend seien auch rechte Angriffe auf den CSD im September 2024 in Wismar gewesen. Dort war der erste CSD in der Stadtgeschichte von mehreren Hundert, größtenteils jugendlichen Rechtsextremen gestört worden, die Teilnehmende beleidigt und bedroht hatten. Ähnliche Aktionen, teils mit Verletzten, hatte es auch an vielen anderen, besonders kleineren und in Ostdeutschland gelegenen Orten gegeben.
Schweriner Rechtsextreme wollen CSD stören
Die Sorge in Schwerin hat in diesem Jahr einen konkreten Grund. Die rechtsextreme Gruppe „Division Schwerin“ mobilisierte schon vor Monaten gegen den CSD.
Im Februar schrieb sie in einem Post auf Instagram unter Fotos von einem Demotag, auf denen junge Männer Bierdosen öffnen, Kekse essen oder das White-Power-Zeichen in die Kamera halten: „Gute narichten gibt bald wieder was schönes euch eine demo gegen denn csd schwerin“. (sic!)
Daniel Trepsdorf vom Regionalzentrum Westmecklenburg für demokratische Kultur (RAA) nimmt die holprige Ankündigung der Gruppe sehr ernst. „Ich sehe die Gefahr, dass da auch tätliche Angriffe drohen“, sagt er. Das liege auch an der Dynamik in derlei rechtsextremen Gruppen, in denen die Jugendlichen mit möglichst radikalem Auftreten ein Standing entwickeln wollten.
Daniel Trepsdorf ordnet die „Division Schwerin“ als Teil der aktuellen bundesweiten Mobilisierungswelle rechtsextremer Jugendlicher ein, für die queere Menschen ein zentrales Feindbild sind.
Verbindungen zur „Letzten Verteidigungswelle“
Die lose Gruppe aus Schwerin habe personelle Überschneidungen zur sogenannten „Letzten Verteidigungswelle“. Gegen fünf, teils minderjährige, mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppe aus verschiedenen Bundesländern ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Terrorverdachts.
Sie sollen Anschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte und linke Kulturorte geplant beziehungsweise begangen haben. Unter den bei einer Razzia Mitte Mai Festgenommenen waren auch zwei junge Männer aus Mecklenburg-Vorpommern.
Wie die „Division Schwerin“ drauf ist, zeigte sich vor rund einer Woche. Da beleidigten in Grevesmühlen bei Wismar Teilnehmende einer von der Gruppe angemeldeten Demo „gegen linke Strukturen/Positionen“ einen Fahrgast in einem Bus massiv rassistisch und riefen verfassungswidrige Parolen, wie mehrere Lokalzeitungen berichteten. Die Polizei ermittelt gegen mehrere Beschuldigte im Alter zwischen 13 und 26 Jahren.
Eine eigentlich geplante Demonstration der „Division Schwerin“ gegen den CSD am kommenden Samstag haben die Behörden nicht genehmigt. Daniel Trepsdorf vom RAA vermutet, dass die Gruppe am Anmeldeprozedere gescheitert ist. Allerdings planten Mitglieder in Chatgruppen, sich mit Regenbogenfahnen als CSD-Teilnehmer:innen zu verkleiden und die Veranstaltung zu stören. „Da hilft nur, aufmerksam zu sein“, sagt Trepsdorf.
Kampf um die Symbole
Unter dem Symbol der Regenbogenfahne setzt sich die queere Bewegung seit den 1970er-Jahren am Christopher Street Day für queere Sichtbarkeit ein. Am Schweriner Rathaus weht sein Kurzem die Regenbogenflagge – anlässlich des CSD, für zwei Wochen.
Selbstverständlich ist das nicht. Andere Orte in Mecklenburg-Vorpommern wie Neubrandenburg hissen nach Hetzkampagnen überhaupt keine Regenbogenfahnen mehr im öffentlichen Raum.
Allerdings tobt auch in Schwerin der Kampf um die Symbole. Erst kürzlich hat die CDU mit den Stimmen von AfD und FDP im Stadtrat beschlossen, nicht mehr nur zu bestimmten Anlässen, sondern täglich die Deutschland-, sowie Landes- und EU-Fahnen am Rathaus zu hissen.
Sebastian Witt hält den Christopher Street Day in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit für wichtiger denn je. „Wir freuen uns auf alle, die kommen, um Flagge zu zeigen und solidarisch zu sein.“
Etwas entspannter können die Organisator:innen in Hannover, Wilhelmshaven und Bad Bramstedt auf den CSD am Samstag blicken. Dort sind keine geplanten Gegenaktionen bekannt.
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