Christian Rath über die Schweigepflicht-Debatte: Ärzte sind keine Hellseher
Innenminister Thomas de Maizière stellt eine Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht zur Diskussion. Weil er mit hartem Widerstand der Ärzteverbände rechnet, will er mit diesen zunächst nur das Gespräch suchen. Hauptsache, Deutschland sieht, dass er alles auf den Prüfstand stellt.
Die ärztliche Schweigepflicht soll sicherstellen, dass Patienten sich ihrem Arzt oder Therapeuten ohne Vorbehalte mitteilen können. Wird die Schweigepflicht zu sehr aufgeweicht, scheitern Therapien, weil der Patient nicht mehr offen ist. Oder der Kranke geht erst gar nicht zum Arzt, weil er befürchtet, dass dieser ihn bei den Behörden melden könnte.
Das alles wäre auch für den Schutz der Allgemeinheit kontraproduktiv. Ein Arzt, der nichts mehr erfährt, kann auch nichts melden. Und wenn ein suizidaler Patient gar nicht behandelt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er sein Vorhaben umsetzt und eventuell viele Unbeteiligte mit in den Tod reißt. Was im vergangenem Jahr nach dem gezielt herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine mit Blick auf suizidale Piloten diskutiert wurde, gilt tendenziell auch für suizidale Asylsuchende. Einzige Ausnahme: Falls ihnen die Abschiebung droht, haben Flüchtlinge ein Interesse, dass die Behörden von ihrer Seelennot erfahren.
Allerdings dürfen (und müssen) Ärzte sich auch heute schon den Behörden offenbaren, wenn sie von bevorstehenden Anschlägen erfahren. Doch in der Regel sind die Hinweise nicht konkret genug.
Im Fall des Ansbacher Attentäters gab es zum Beispiel ein bemerkenswertes Gutachten. Danach sei dem Syrer zuzutrauen, „dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzt“. Die Behörden kannten das Gutachten und reagierten nicht. Im Nachhinein schütteln alle den Kopf. Nach der Tat wirkt immer alles so eindeutig. Doch vage Hinweise gibt es stets zu viele. Weder Ärzte noch Behörden sind Hellseher. De Maizières Überlegungen sind nur Show.
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