Die Wahrheit: Mit Wikingern bin ich durch
Nicht nur die Exponate, sondern auch die faszinierenden Besucher einer Ausstellung im norddeutschen Schloss Gottorf sind sehr beeindruckend.
D ie Wikingerausstellung in Schloss Gottorf, das recht ansehnlich im norddeutschen Schleswig herumsteht, ist ein bisschen verstörend. Das liegt aber nicht an den Exponaten, sondern an den Besuchern. Ihre Identifikation mit dem Ausstellungsgegenstand ist sichtbar hoch. Man besichtigt quasi Wikinger, die auf Wikinger starren.
Eine derart hingebungsvolle Cosplay-Fanbase trifft man vielleicht in den Manga-Hallen der Leipziger Buchmesse, aber kaum jemals in Antikensammlungen. Nicht einmal durchs Römisch-Germanische Museum der Kostümhochburg Köln marschieren als Legionäre und Ubier verkleidete Besucher.
Doch das Nordvolk wirkt bis heute anziehend, vor allem auf Männer mit Streaming-Abo: Der Neo-Nordmann trägt das Haupthaar seitenrasiert wie Netflix-Vorbild Ragnar aus der Serie „Vikings“ und den Wallebart mit Ringlein durchsetzt wie sein Kumpel Rollo, bevor er sich als Herzog manierlich anziehen musste. Runen-und Ranken-Tattoos am Unterarm und Thorshammer um den Hals sind Must-haves. Noch immer diktiert das Historienfernsehen altskandinavischen Biker-Look, dabei wäre ein maritimer Jarl-Preppy-Style mit Top-Sider-Drachenbootschuhen, Prinz-Blauzahn-Mütze und Blazer aus Bärenhaut auch mal hübsch.
Doch nicht nur optisch haben die Barbarenserien Spuren bei den Netflix-Plünderern hinterlassen. Über deren Helden plaudern die angejahrten Wickie-Fans, als hätten sie neben ihnen im Langboot und nicht bloß sechs Staffeln lang vor dem Fernseher gesessen. Ihre Erkenntnisse teilen sie bereitwillig – eine Wikingerausstellung ist immer ein Smörgåsbord gehobenen Mansplainings.
Texttafeln werden tapfer ignoriert, lieber wagen sich die Helden aufs dünne Eis historischen Halbwissens. Viele Männer haben Geiseln in die Ausstellung verschleppt: Ein Gabelbärtiger belehrt seinen Nachwuchs bis zur Weißglut über mittelalterliche Waffenschmiedekunst. Ein Bursche im Pagan-Metal-Shirt versucht seine Begleitung mit einem Impulsreferat zum Nordischen Imperium zu beeindrucken, aber die heftig belaberte Schildmaid hat beide Ohren auf Durchzug gestellt.
Außerdem verrutschen dem Referenten die Wissensgebiete. Als ich darauf hinweise, dass Eisdrachen meines Wissens nur bei „Game of Thrones“ vorkommen, werde ich zum Zweikampf gefordert. Zum Glück sind die rostigen Schwertreste fest in Vitrinen verschlossen.
Ich flüchte in den Schlosspark. Dort versucht eine Rotte betrunkener Dänen, mit einem Kanten Brot einen Blutadler anzulocken, es beißen aber nur Enten an. Während das wehrhafte Geflügel das Gelände räumt, setzt norddeutscher Dauerregen ein. Morgen ist also erneut Museumstag, aber mit Wikingern bin ich durch. In der Hamburger Kunsthalle wird „Surrealismus und deutsche Romantik“ gezeigt. Eine schöne Gelegenheit, den Kostümtrend in die Kunstwelt zu tragen und als brennende Giraffe oder blaue Blume hinzugehen.
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