Chinesische Immobilienblase: Stadt der Ruinen
In China ist eine Immobilienblase entstanden. Häuser stehen leer oder sind nicht mal fertig gebaut. Die Sorge wächst, dass dadurch die gesamte Weltwirtschaft in Gefahr ist.
PEKING taz | Dutzende von Luxusapartmenthäusern reihen sich entlang der Prachtallee westlich des Pekinger Chaoyang-Parks. Mittendrin ragen zwei etwa 30-stöckige Bauruinen empor. Das Gerüst ist abgebaut, die Maschinen stehen still. Vor dem Eingang haben Wanderarbeiter ein Gemüsebeet angelegt. "Hier passiert seit einigen Monaten nichts mehr", sagt ein Anwohner. "Der Investor hat wohl keine Käufer gefunden." Die Preise sind explodiert.
Immobilien in Peking kosteten im ersten Quartal 2010 im Schnitt 70 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Auch in Schanghai, Shenzhen und Guangzhou haben sich die Preise seit 2008 mehr als verdoppelt. Die Verantwortlichen im ganzen Land müssten sich gegen einen weiteren Anstieg der Preise stemmen, teilte die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) am Dienstag mit.
Überall in China sind in den letzten zwei Jahren Büros und Apartments gebaut worden. Viele stehen leer, andere sind nicht mal fertiggebaut. Kredite wurden großzügig vergeben. Mittel, die als Konjunkturspritze der Regierung zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise gedacht waren, sind zum großen Teil in den Immobilienmarkt geflossen. Mittlerweile ist der Kauf einer Wohnung in Städten selbst für den Mittelstand zu teuer.
Während Durchschnittsverdiener in entwickelten Ländern drei bis fünf Jahreseinkommen in den Kauf einer Wohnung stecken, müssen sie in Peking mehr als das Zwanzigfache ihrer Einkommen aufwenden. Und die "Schanghaier können sich meist nur noch 0,1 Quadratmeter Wohnfläche leisten", sagt der Politologe Zhou Qingan von der Pekinger Tsinghua-Universität.
Ökonomen schätzen, dass 60 Prozent der chinesischen Wirtschaftstätigkeit direkt oder indirekt vom Immobiliensektor und der Bauindustrie abhängt. Die Zentralregierung in Peking spricht von einer Blase. Platzt sie, würde dies einen deutlichen Dämpfer für Chinas Volkswirtschaft bedeuten - und für die Welt insgesamt.
Die Regierung will gegensteuern, hat Kredite massiv verteuert. Während der Zinssatz für einen Baukredit bei der ersten Immobilie schon bei 13 Prozent liegt, beträgt er für eine zweite bereits bei mehr als 30 Prozent. Investoren, die sich in die dritte oder vierte Immobilie kaufen möchten, müssen mindestens 60 Prozent Eigenkapital mitbringen.
Aus Bankenkreisen in Schanghai heißt es, dass vor wenigen Tagen die Kreditvergabe für Käufer von Drittwohnungen eingestellt worden ist. Zugleich werden mehr Sozialwohnungen gebaut, um den allzu hohen Preisen etwas entgegenzusetzen. Immerhin sanken im Juni die Preise für Wohnimmobilien erstmals seit Februar 2009 wieder - wenn auch nur marginal.
Diese Krise werde die chinesischen Banken treffen, warnt der frühere Chefökonom des IWF und jetzige Harvard-Professor Kenneth Rogoff. Sie hätten heute 40 Prozent mehr Immobilienkredite in ihren Büchern als noch vor einem Jahr. Der US-Ökonomen fürchtet, China könne es so ergehen wie den USA 2008.
Dort begann die Wirtschaftskrise auch mit sinkenden Häuserpreisen. Der Markt kollabierte, weil vor allem Bürger mit niedrigem Einkommen ihre Hypothekenkredite nicht mehr bedienen konnten. Der Wertverlust der Immobilien riss gewaltige Löcher in die Bankbilanzen.
Ganz so dramatisch wird es in China voraussichtlich nicht. Das hängt damit zusammen, dass viele Chinesen den Kauf der Wohnungen trotz der großzügigen Kreditangebote nur zu einem geringen Teil über Schulden finanziert haben.
China hat mit durchschnittlich 40 bis 50 Prozent des Einkommens eine der höchsten Sparraten der Welt. Insgesamt lagern umgerechnet mehr als 1,3 Billionen US-Dollar auf den Bankkonten von privaten Sparern. Die Wohnungen sind weitgehend bezahlt.
In den USA konnten die Banken zudem verbriefte Kredite über komplizierte Konstrukte weiterverkaufen. Das ist in China nicht möglich. So birgt die Immobilienblase in China Risiken, die aber nicht so versteckt sind, wie sie es in den USA waren.
Dort habe keiner mehr den Überblick gehabt, bei wem Schulden aufliefen, sagt Andy Xie. Der Exanalyst der US-Investmentbank Morgan Stanley ist heute unabhängiger Ökonom in Schanghai.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt