Chinas Drohgebärden gegen Taiwan: Heute Kabul, morgen Taipeh?
Peking hofft, dass der US-Abzug aus Afghanistan der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan Angst einflößt. In Taipeh reagiert man gelassen.
Peking taz | Chinas Propagandamedien hatten ihre sichtliche Freude am Straucheln der US-Amerikaner. Vor allem versuchten sie nach dem Abzug des US-Militärs aus Kabul krampfhaft, eine Parallele zu einem weiteren Bündnispartner Washingtons zu ziehen: „Heute Afghanistan, morgen Taiwan?“, lautete die Überschrift eines Artikels der nationalistischen Global Times. Und darin stellte der Autor die rhetorische Frage, ob die jüngsten Ereignisse in Afghanistan „ein Omen für das zukünftige Schicksal“ des Inselstaates Taiwan seien.
Der Vergleich der Staatspresse hinkt natürlich, zu wenig lässt sich die Situation eines krisengeschüttelten „failed state“ mit einer wirtschaftlich hocherfolgreichen Demokratie vergleichen. Und doch stellt sich für die Regierung in Taipeh immer dringlicher die Frage, wie sie mit den jahrzehntealten Schreckensdrohungen aus China umgehen sollen. Denn unter Xi Jinping wird das Szenario einer militärischen Zwangsvereinigung zunehmend real.
Am Dienstag hat die chinesische Volksarmee erneut vor der Küste Taiwans Militärübungen abgehalten. Dabei wurden unter anderem Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge entsandt. Das Verteidigungsministerium in Taipei reagierte gelassen mit einer Routine-Stellungnahme: Man habe die Situation „vollständig im Griff“ und sei „auf verschiedene Antworten vorbereitet“.
Und tatsächlich sind die ständigen Militärprovokationen des großen Nachbarn für die 23 Millionen Taiwaner mittlerweile längst nur mehr lästige Störgeräusche, die seit Jahrzehnten zur Normalität gehören.
Mehr Militärmanöver
Doch jene Abgestumpftheit könnte sich als trügerisch herausstellen. Denn unter Xi Jinping haben sich nicht nur die rhetorischen Drohungen verschärft und die Militärmanöver gehäuft. Der 68-Jährige scheint fest entschlossen, seinen Traum von der „nationalen Wiederbelebung“ Chinas in die Tat umzusetzen. Und dazu gehört als wesentlicher Eckpfeiler die Eingliederung der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan.
Wer sich mit westlichen Diplomaten in Peking unterhält, hört oft die Einschätzung, dass Xis rasantes Tempo vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass er seine Vision noch zu Lebzeiten erreichen möchte. Für Taiwan also dürfte der Zeithorizont bis etwa 2035 entscheidend sein.
Taiwans Premier Su Tseng-chang gab sich am Dienstag demonstrativ kampfbereit, als er von einem Journalisten auf die Aufgabe der afghanischen Regierung angesprochen wurde. „Wir haben weder Angst, getötet, noch inhaftiert zu werden“, sagte Su: „Wir müssen dieses Land beschützen.“ Ein Beispiel für die Einigkeit der Bevölkerung sei nicht zuletzt der erfolgreiche Kampf gegen die Pandemie.
Wer sich mit den Bewohnern der Insel unterhält, wird praktisch niemanden mehr finden, der sich eine Angliederung an Festlandchina wünscht. Das Misstrauen gegen Peking ist zwar unterschiedlich schattiert, jedoch spätestens seit der Niederschlagung der Hongkonger Opposition flächendeckend verbreitet.
Hoffnung auf Kompromiss
Die Konservativen und Senioren wünschen sich trotz allem ein harmonisches Verhältnis und haben Hoffnung auf einen Kompromiss mit China. Die Jüngeren hingegen identifizieren sich zu großen Teilen nicht mehr als Chinesen und sehen den großen Nachbarn schlicht als Ausland.
Doch China nutzt seine Macht zunehmend, um Taiwan international keinen Zentimeter Anerkennung zukommen zu lassen. Erst kürzlich hatten die USA dem Inselstaat eine größere Waffenlieferung genehmigt und mit Litauen vereinbart, jeweils gegenseitig diplomatische Vertretungsbüros einzurichten.
Beide Maßnahmen erregten die Wut Chinas: Peking verwies letztlich Litauens Botschafter des Landes. Doch die chinesischen Parteikader reagieren auch auf scheinbare Lappalien ebenso harsch: Etwa, wenn Flugzeugfirmen für ihre Routen die Bezeichnung „Taiwan“ verwenden (anstatt „Chinesisch Taipeh“). Jenen Kompromiss, den sich einige ältere Taiwaner wünschen, wird China unter Xi Jinping niemals eingehen.
Leser*innenkommentare
Pfanni
Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die chinesischen Kommunisten wirklich eine Insel von Störenfrieden in ihr Land holen wollen; ein Land, in dem inzwischen fast keine kritischen Stimmen mehr zu hören sind.
Zumindest müssten sie dann sicherstellen, dass die Festlands-Chinesen säuberlich von den Taiwanesen getrennt gehalten werden, um Austausch von Ideen zu verhindern.
Die DDR-Kommunisten hatten ein ähnliches Problem mit Westberlin. Sie brauchten eine Mauer, um Kontakte zu verhindern. In China ist man besser dran: Das Meer schafft genügend Abstand!
danny schneider
Ich werde den Einmarsch in Taiwan noch erleben. Und weder USA noch EU werden das verhindern. Im Gegenteil. Warum einen Krieg riskieren den man nicht gewinnen kann.
Es gibt nichts was China aufhalten könnte... Und unsere Wirtschaft ist inzw. von China als Markt abhängig. Alle größeren Industrien exportieren 30-50% aller Waren inzw. nach China: Automobil, Maschinenbau,...