Cem Özdemir über Spitzenkandidaten: „Wir wollen keine Personaldebatten“

Erst im November will der Grünen-Chef sich entscheiden, ob er für die Bundestagswahl kandidieren will. Für seinen Konkurrenten Robert Habeck hat er viel Lob übrig.

Allerbeste Grünen-Freunde: Robert Habeck und Cem Özdemir. Bild: dpa

taz: Seit dieser Woche haben die Grünen mit dem schleswig-holsteinischen Vize-Ministerpräsidenten Robert Habeck einen ersten Bewerber um die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2017. Als Grünen-Chef kommen auch Sie für diese Position in Frage. Wann verraten Sie, ob Sie gegen Ihren Parteifreund antreten?

Cem Özdemir: Mein Ziel ist es, den nächsten Bundesparteitag erfolgreich vorzubereiten und dort wieder für das Amt des Parteivorsitzenden zu kandidieren. Alles andere sieht man danach.

Sie erklären sich also frühestens im November?

So ist es.

Sie haben die Personaldebatte als zu früh kritisiert. Nun ist sie trotzdem da. Wie gehen Sie als Parteichef und potenzieller Konkurrent von Robert Habeck damit um?

Wir wollen jetzt keine Personaldebatten führen, übrigens will das auch Robert Habeck nicht. Es gibt jetzt eine gute Bewerbung für den Fall einer Urwahl. Das ist alles. Wir arbeiten weiter: er als stellvertretender Ministerpräsident, ich als Bundesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter.

Wenn Medien über Vergewaltigungsprozesse berichten, sind es meist nur die spektakulären. Kachelmann etwa. Das Protokoll eines ganz gewöhnlichen Verfahrens lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. Mai 2015. Außerdem fragen wir, ob Hermann noch lebt – Sie wissen schon –, der Community-Kuchen. Und: Ein Doppelporträt von Robert Habeck und Cem Özdemir. Wer erlöst die Grünen aus der Froststarre? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aber Robert Habeck steht nun im Mittelpunkt des Interesses, muss sich zu bundespolitischen Fragen verhalten. Das können Sie doch nicht wegreden...

Robert Habeck war doch auch schon vorher auf der Bundesebene präsent. Wenn sich das jetzt noch verstärkt, tut uns das nur gut.

Cem Özdemir, 49 Jahre, ist seit 2008 Parteichef der Grünen und sitzt für seine Partei im Bundestag. Im Bundestagswahlkampf 2013 verzichtete er auf eine Spitzenkandidatur. Ob er sich beim nächsten Mal bewirbt, ist offen.

Wo sehen Sie Ihre Partei heute, knapp zwei Jahre nach der Schlappe bei der Bundestagswahl 2013?

Die Aufarbeitung der Bundestagswahl liegt hinter uns. Der Blick ist längst nach vorne gerichtet. Die Ankündigung von Robert Habeck hat sogar den Vorteil, dass jedem klar wird: Unser Ziel ist 2017 ein starkes grünes Ergebnis und die Ablösung dieser Bundesregierung durch starke Grüne. Wenn wir es im dritten Anlauf wieder nicht schaffen, wäre das eine herbe Enttäuschung, da müssen wir uns nichts vormachen.

Die Grünen stecken im Zehn-Prozent-Turm fest...

Wir wollen deutlich über die 8,4 Prozent bei der letzten Bundestagswahl hinauskommen, auch über die 10,7 Prozent bei der vorletzten. Da ist noch Luft nach oben. Das Spektrum ist weit größer für die Grünen. Dafür müssen wir jetzt unsere Kräfte konzentrieren - alle miteinander über die Flügel hinweg. Wir haben starke Köpfe in der ganzen Partei.

Hans-Christian Ströbele zum Beispiel bereichert das Profil der Grünen massiv. Und auch ein Winfried Kretschmann ist ein Riesenpfund für uns. Diese Bandbreite ist unsere Stärke. Wenn wir das alles einsammeln, ist bei den nächsten Wahlen deutlich mehr drin als in den aktuellen Umfragen.

Was genau hält Sie bisher davon ab, dieses größere Wählerspektrum abzuholen?

Es gibt da Sorgen bei einigen in Partei und Fraktion. Dass wir für ein starkes Wahlergebnis unsere Inhalte abschleifen müssen und damit Stammwähler verprellen, halte ich für abwegig. Viele Landesverbände und Kommunen zeigen uns doch, dass wir klar eigenständige, grüne Politik machen und genau deswegen zulegen. Im Kern geht es doch darum: Da draußen ticken längst eine Menge Leute grün, aber die haben noch nicht das Gefühl, dass wir ihr natürlicher Ansprechpartner sind. Das möchte ich ändern.

Mit welchem Image wollen Sie neue Wählerschichten für die Grünen erreichen?

Wir sollten wieder mutiger, gerne auch etwas frecher werden. Oder wie es unser Geschäftsführer Michael Kellner gerne sagt: „Gemeinsam wollen wir die Welt verbessern, jeden Tag ein Stück. Und abends gehen wir noch ein Bier trinken.“ Wir wollen grüne Jobs schaffen, ökologisches Wirtschaften fördern und das Bildungssystem durchlässiger machen, damit kein Kind zurück bleibt. Weil es keine Rolle spielen darf, wo man herkommt, sondern wo man hin will. Wir brauchen auch eine gerechtere Steuerpolitik.

Alle Steuern, die man mit Namen kennt, erhöhen zu wollen, kann man versuchen. Aber wenn man am Ende gar nichts bekommt, schafft man an keiner Stelle mehr Gerechtigkeit, etwa für Alleinerziehende, weil die Politik ohne einen stattfindet. Oder man konzentriert sich auf einiges und sorgt endlich dafür, dass Konzerne wie Ikea oder Google tatsächlich Steuern zahlen. Welche Politik ist linker? Ich finde eine solche Politik progressiver als eine, die sagt, ich fordere alles und erreiche gar nichts.

Angeblich arbeiten Sie auf Schwarz-Grün hin. Sind Sie in Wahrheit ein grüner Ludwig Erhard, nur ohne Bauch und Zigarre, wie der Spiegel mutmaßte?

Ludwig Erhard? Das empfinde ich nicht als die schlimmste Beleidigung. Interessant ist doch, dass dieselben Magazine vorher geschrieben haben: Özdemir hat kein Profil. Jetzt sagt man mir halt nach, ich sei der Hardcore-Realo. Das halte ich aus. Und dass ich angeblich auf Schwarz-Grün hinarbeite, höre ich jetzt auch schon lange. Manche der Debatten erinnern mich an das Leben des Brian und die Debatten dort zwischen der Jüdäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa. Ich arbeite darauf hin, dass die Grünen regieren und gestalten können. Das ist Teil meiner Jobbeschreibung.

Aber es ist doch sogar wichtig, dass Ihre Partei jetzt aktiv Schwarz-Grün vorbereitet – andere Möglichkeiten sind für 2017 gar nicht in Sicht...

Es ist wichtig, dass wir uns auf das Regieren vorbereiten, dass wir das bis in die Zehenspitzen hinein wollen. Wir müssen ausstrahlen, dass wir es uns zutrauen, grüne Politik auch in einer Regierung umzusetzen und nicht nur von der Oppositionsbank aus zu fordern. Mit wem das am Ende der Fall sein wird, das entscheiden wir nicht ganz alleine. Egal mit wem, das wird ein hartes Ringen, damit die grüne Handschrift erkennbar wird. Und was die CDU angeht: Wenn ich Volker Kauder über die Kohlepolitik reden höre, geht das schon in den Bereich der Leugnung des Klimawandels. Da müssen nicht wir über Schwarz-Grün nachdenken. Die CDU muss zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden hat.

Wie problematisch ist die CSU?

Genau, da haben wir außerdem noch die bucklige Verwandtschaft von der CSU, die einmal im Jahr in Wildbad Kreuth die Folklore-Fahne hochhält und manchmal den Eindruck erweckt, als wäre sie eine Außenstelle der AfD. Sie können davon ausgehen, dass wir da den Finger in die Wunde legen und fragen: Wollt ihr Atom durch Kohle ersetzen? Ist das Betreuungsgeld eure einzige Antwort auf die Sorgen der Familien? Dann können wir's auch gleich lassen.

Habecks Entscheidung weist auf ein Defizit hin. Wenn in Berlin alles großartig liefe, müsste er ja nicht seinen Einsatz anbieten. Treibt Sie das um?

Ich male hier keinen blauen Himmel. Man sollte aber auch fair sein gegenüber der Bundesebene. Ich verstehe die Ungeduld. Mir geht das doch nicht anders. Aber wir sind hier die kleinere von zwei Oppositionsparteien. Das ist eine andere Gefechtslage. In den Ländern scheint das manchmal etwas einfacher. Wenn man regiert, hat man sich für einen pragmatischen Kurs entschieden und den Kompromiss als Mittel der Politik akzeptiert. Da den Mittelweg zu finden als Opposition im Bund, ist nicht immer einfach, da mache ich mir nichts vor.

Der Wechsel aus der Landes- in die Bundespolitik ist gefürchtet. Im Berliner Regierungsviertel wehe ein rauerer Wind als in Stuttgart oder Kiel...

Wohl war, das gilt für die Politik ebenso wie für die Medien. Es ist hier und da die Rede von der Berliner Blase, die einem den Blick vernebelt. Die Umgangsformen sind robuster, zumal bei den Grünen die Sortierungsprozesse mitten im Gang sind. Aber wenn Sie meinen: Kann der Robert Habeck das? Er hat für mich zweifellos das Zeug, auch im Bund vorne mit anzupacken. Abgesehen davon ist er eine ehrliche Haut, das ist in unserem Geschäft keine Selbstverständlichkeit.

Sie bewegen sich als Parteichef seit sieben Jahren in diesem Berliner Politikbetrieb. Wie grenzen Sie sich dagegen ab?

Immer gelingt es mir auch nicht. Es ist wichtig regelmäßig rauszukommen aus Berlin. Besuche in den Landesverbänden, in meinem Wahlkreis und das Gespräch mit der Basis zu suchen. Mitarbeiter und Freunde, die einem manchmal den Spiegel vorhalten, sind unverzichtbar. In diesem Job braucht man aber auch Leitplanken im Leben, die unantastbar sind – die Familie, die Gesundheit. Ohne eiserne Regeln, kriegt man einen Dachschaden.

Bei mir gilt: der Sonntag ist heilig und montags mache ich Sport. Ganz egal, wer da gerade in der Bundesgeschäftsstelle unterwegs ist: Ich bin da vor dem Abend eine Stunde auf meiner Yoga-Matte zugange.

Sie machen Yoga in der Parteizentrale?

Jetzt habe ich, fürchte ich, schon zu viel gesagt.

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