Cannabis auf Rezept: Verbotene Medizin
In Deutschland ist es für Patienten beinahe unmöglich, medizinisches Cannabis zu bekommen. In den Niederlanden sichert eine Behörde, dass Patienten saubere Produkte erhalten.
Cannabis als Medizin ist immer noch ein rotes Tuch in Deutschland. Obwohl es inzwischen eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien gibt, die den Inhaltsstoffen der Cannabispflanze, den Cannabinoiden, einen medizinischen Nutzen nachweisen, ist es hierzulande für Patienten fast unmöglich, legal an Medizinalcannabis heranzukommen. Vor wenigen Wochen genehmigte die Bundesopiumstelle überhaupt das erste Mal einer an multipler Sklerose leidenden Patientin, sich in einer Apotheke einen Cannabisextrakt zu besorgen.
Dass die Verwendung von Cannabis als Medikament zunehmend öffentlich diskutiert wird, wurde kürzlich auf der 4th Conference on Cannabinoids in Medicine in Köln deutlich. Demnach scheint die Anwendung von Cannabinoiden weitere klinische Forschungen zu rechtfertigen. Allein, das Potenzial der 70 verschiedenen aus Hanf isolierten Substanzen verweist nicht nur auf zukünftig profitable Märkte. Forschungsergebnisse aus Kalifornien, England, Italien und der Schweiz markieren auch die Gratwanderung zwischen therapeutischem Neuland und einer im nationalen Einzelfall "flexiblen" Illegalität.
Dem Phytocannabinoid THC werden von der internationalen Forschergemeinschaft vielfältige Wirkungen zugeschrieben: deutliche Schmerzlinderung, Appetitstimulanz bei Gewichtsverlust nach Chemotherapien, der Abbau von Ängsten, das Absetzen von Opiaten, Stereoiden, Schmerzmitteln, Schlaftabletten und Antidepressiva. Medizinalcannabis kann gegen Epilepsie helfen und eine nachhaltige Verringerung anderer Drogen erreichen.
Dessen ungeachtet gilt die Substanz als Betäubungsmittel und kann in Deutschland ärztlicherseits weder verordnet noch abgegeben werden. Anbau und Erwerb sind nur mit Genehmigung der Bundesopiumstelle für "wissenschaftliche" und andere "öffentliche Zwecke" erlaubt.
Versagen andere Medikamente oder zeitigen zu starke Nebenwirkungen, steht Patienten mit dem Produkt Dronabinol eine Therapiealternative zur Verfügung, die man aus weiblichen Blütenblättern der Hanfpflanze durch Extraktion und anschließende Aufreinigung, halbsynthetisch aus Faserhanf oder mittels chemischer Vollsynthese gewinnt. Das Ergebnis: 97 Prozent reines THC, eine harzartige, transparente Substanz. Diese verarbeitet der Apotheker zu einer im Inhaliergerät dosierbaren Lösung.
Jenseits der Grenze gelten andere Gesetze. Die benachbarten Niederlande sind das erste Land der Welt, das pflanzliches Cannabis in getrockneter Form als verschreibungspflichtiges Medikament durch Apotheken abgibt. Dieser Tatsache liegen Prinzipien der holländischen Drogenpolitik zugrunde, die Mitte der 90er-Jahre formuliert wurden. Dazu Marco van de Velde vom niederländischen Gesundheitsministerium: "Unsere Politik moralisiert nicht, sie basiert auf der Annahme, dass Drogenkonsum eine nicht zu leugnende gesellschaftliche Tatsache darstellt, mit der so praktisch wie möglich umgegangen werden muss."
Wichtigstes Ziel sei die Begrenzung von Risiken und Schäden für Konsumenten als auch für die Gesellschaft. Bekanntlich wird der Handel mit geringen Cannabismengen stillschweigend geduldet. Auch können zahlreiche kranke Menschen, die sich Linderung ihrer Leiden erhoffen, in den 700 Coffeeshops des Landes problemlos Cannabis erwerben. Offiziell wird vor Verunreinigungen mit Bakterien und Pilzen gewarnt. Um Patienten aus sicherer und zuverlässiger Quelle mit hochwertigem Cannabis versorgen zu können, wurde 2001 das Büro für medizinisches Cannabis (BMC) tätig.
Die beim Gesundheitsministerium angesiedelte Behörde ist zuständig für die Koordinierung der Drogenpolitik und den kontrollierten Anbau von medizinischem Cannabis. Drei Cannabissorten (Bedrocan, Bedrobinol, Bediol) mit unterschiedlichem Cannabinoidgehalt werden exklusiv an Apotheken, Ärzte und Krankenhäuser und für wissenschaftliche Zwecke ausgeliefert. Kranke können medizinisches Cannabis erwerben, soweit sie von Übelkeit und Appetitlosigkeit bei Chemotherapie geplagt sind, ebenfalls zur palliativen Behandlung von Krebs und HIV, bei Muskelspastiken, bei chronisch-neurogenen Schmerzen oder Schmerzen im Zusammenhang mit multipler Sklerose. Ärzte dürfen, sofern sie es in ausgewählten Fällen für erforderlich halten, Cannabis auch für andere Indikationen verschreiben. Der höhere Preis allerdings bewirkt, dass Patienten mehrheitlich ihre Medizin weiterhin auf dem illegalen Markt beziehen.
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