Cannabis als Medizin: "Methadon im Zahnputzbecher"
Obwohl es vielen Kranken Linderung verschafft, ist Cannabis nicht als Arzneimittel zugelassen. Einer Patientin wurde erstmals erlaubt, es zu konsumieren - Axel Junker kämpft noch dafür.
taz: Herr Junker, das Bundesamt für Arzneimittel hat jetzt zum ersten Mal einer Kranken erlaubt, Cannabis zu konsumieren. Ein Durchbruch?
Axel Junker: Nein, das ist nur eine Show für die Medien, auf die leider viele hereingefallen sind. Im Kern ist das Bundesamt kein bisschen menschenfreundlicher geworden. Die meisten Anträge werden nach wie vor abgelehnt.
Axel Junker, 53, wurde Mitte August vom Amtsgericht Niebüll (Schleswig Holstein) zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt. Er hatte sich selbst angezeigt, weil er für eine Legalisierung von Cannabis als Medizin eintritt. Er ist Ex-Junkie und leidet an Hepatitis C. Er sagt, das Rauchen von Cannabis lindere die Nebenwirkungen seiner Interferon-Therapie. Er engagiert sich im Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin (SCM).
Haben Sie auch einen Antrag gestellt?
Ja, schon vor vier Jahren. Neulich kam die Ablehnung. Begründung: Ich sei nicht zuverlässig genug, weil ich früher heroin- und kokainabhängig war, ich hätte keinen Stahlsafe um das Cannabis aufzubewahren und meine Ärzte haben mir nicht bescheinigt, dass Cannabis für mich die einzig wirksame Hilfe gegen die Nebenfolgen meiner Hepatitis C-Erkrankung ist.
Ist das nicht nachvollziehbar?
Das sind Schikanen von Bürokraten, denen das Wohlergehen von chronisch Kranken egal ist. Ich bin seit 1980 nicht mehr heroinabhängig, bin im Substitutionsprogramm, habe eine feste Arbeit, tilge Schulden, zahle Steuern, bin als Schriftsteller und Musiker aktiv. Kann man besser resozialisiert sein? Aber das Amt hält mich für unzuverlässig...
Sie weigern sich auch, einen Safe anzuschaffen...
Warum sollte ich? Mein Methadon bewahre ich seit Jahren im Zahnputzbecher auf. Da gibt es auch keine solchen Vorgaben.
Warum schreiben Ihre Ärzte nicht das erforderliche Gutachten?
Weil meine Ärzte keine Erfahrung mit Cannabis haben. Sie sehen, dass es mir gut tut, aber können das nicht wissenschaftlich begleiten. Wir Patienten wissen jedoch, was wir brauchen. Wir leiden, also tun wir etwas dagegen.
Wieviele Kranke sind denn von dem Streit um Cannabis als Medizin betroffen?
Nachgewiesen sind krampflösende, schmerzlindernde oder appetitanregende Wirkungen bei Krebs, Multipler-Sklerose, Hepatits C und anderen schweren chronischen Krankheiten. Wenn Cannabis nur zehn Prozent der Kranken hilft, dann kommen schon einige zehntausend Menschen zusammen, denen Linderung vorenthalten wird.
Warum sind beim Bundesamt bisher nur gut hundert Anträge gestellt worden?
Weil Cannabis und die daraus gewonnen Produkte Haschisch und Marihuana vielen Menschen bisher nur als Rauschgift bekannt sind. Und weil die Erfolgsaussichten eines Antrags bisher nur sehr gering sind. Das war bisher nur etwas für Kämpfernaturen.
Darf Claudia H., die 51jährige MS-Patientin, deren Antrag jetzt genehmigt wurde, nun Cannabis im Garten anbauen?
Nein. Frau H. soll nur ein neues Medikament aus Cannabis-Extrakt bekommen. Es ist bisher aber noch gar nicht auf dem Markt und seine Wirkung ist noch gar nicht bekannt. Zwei andere Patienten, denen auch nur das Extrakt genehmigt wurde, fordern weiterhin den legalen Zugang zu pflanzlichem Cannabis. Sie wollen nicht das Versuchskaninchen der Pharma-Industrie für ein neues Medikament spielen.
Warum ist dann Claudia H. dazu bereit?
Sie ist das nur bedingt. Wenn das Extrakt nicht die gewohnt gute Wirkung von natürlichem Cannabis erbringt, wird auch sie ihren ursprünglichen Antrag auf Selbstanbau weiterverfolgen. Bei ihr hat auch das Medikament Dronabinol nicht gewirkt, das den Cannabis-Hauptwirkstoff THC isoliert enthält.
Wer bezahlt den Cannabis-Extrakt für Frau H.?
Auch das ist noch ungeklärt. Weder weiß man, was er kostet, noch ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Dronabinol wird von vielen Kassen nicht erstattet. Es kostet, in der höchsten Dosierung, für einen Kranken bis zu 1200 Euro pro Monat. Mein selbst angebautes Cannabis kostet nur einige Cent pro Gramm.
Ist der Selbstanbau von Cannabis also die einzige Lösung, die sie akzpetieren würden?
Nein. Zwar haben wir uns ursprünglich im Selbsthilfe-Netzwerk Cannabis-Medizin zusammengeschlossen, um unter strengen Sicherheitsbedingungen Hanf anzubauen. Bei der holländischen Firma Bedrocan wird Medizinal-Cannabis jetzt aber in so guter Qualität hergestellt, dass wir da nicht mithalten könnten. Wir würden das Produkt, das in Holland unter staatlicher Aufsicht angebaut wird, deshalb gerne importieren.
Was sagt das Bundesamt?
Es ist mal wieder nicht einverstanden. Der Verwaltungsaufwand sei zu hoch, weil das Produkt aus dem Ausland kommt. Die finden immer einen Grund, um unsere Anträge abzulehnen. Die gehen über Leichen.
Wie meinen Sie das?
Viele Selbstmorde werden von Menschen mit chronischen Schmerzen begangen, denen Linderung vorenthalten wird. Der grundgesetzliche Schutz der körperlichen Unversehrtheit wird vielen Patienten so verwehrt.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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