Canan Bayram und Berliner Flüchtlinge: Die beharrliche Vermittlerin
Großer Druck für Grünen-Politikerin Canan Bayram: Sie vermittelte zwischen dem Bezirk Kreuzberg und den Flüchtlingen in der besetzten Schule.
BERLIN taz | Es ging in den vergangenen fünf Jahren eine fast wunderbare Verwandlung mit Canan Bayram vor. Damals, im Mai 2009, trat die Berliner Parlamentsabgeordnete aus der SPD aus und bei den Grünen ein. Drei Jahre lang saß die türkeistämmige Politikerin damals bereits als Sozialdemokratin im Abgeordnetenhaus, ohne groß in Erscheinung getreten zu sein. In der SPD war sie blass geblieben. In der Grünen-Fraktion übernahm die Rechtsanwältin und Expertin für Ausländerrecht dann die Migrations- und Flüchtlingspolitik – und erwarb sich bald stadtweit großen Respekt.
Bayram, 1966 geboren und Mutter einer Tochter, gilt als sachlich, kompetent, freundlich – und ausdauernd. Nicht nur das dürfte ihr dabei geholfen haben, zur Vertrauensperson der etwa 200 Flüchtlinge zu werden, die seit dem Oktober 2012 zunächst den Kreuzberger Oranienplatz, später auch eine leer stehende Schule besetzt hatten. Bayram war fast täglich dort und bot in der Schule regelmäßige Beratungen an. Nun vermittelte sie zwischen dem Bezirk und einer letzten Gruppe von etwa 40 SchulbesetzerInnen, die ihre Forderungen in früher getroffenen Vereinbarungen nicht umgesetzt sahen, und vermied so eine Räumung des Gebäudes.
Am Mittwoch gelang es ihr gemeinsam mit einem Parteifreund, dem Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele, mit den überwiegend aus dem Sudan, Marokko und anderen afrikanischen Ländern stammenden Flüchtlingen einen Kompromiss zu finden. Canan Bayram stand unter Druck von allen Seiten: Mehr als tausend Polizisten hatten das Viertel um die besetzte Schule tagelang abgeriegelt, die Polizeiführung drohte mit deren Abzug, der grüne Baustadtrat Hans Panhoff wollte eine Räumung, die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann lehnte das ab, pfiff ihren Stadtrat aber auch nicht zurück, die Flüchtlinge gerieten zunehmend in Panik. Bayram blieb dran.
Sie hatte wohl auch deshalb Erfolg, weil sie sich zurücknehmen kann. Sie sei nur Vermittlerin, sagte die Politikerin beharrlich auf Presseanfragen. Eigene politische Statements zur Lage lehnte sie ab: Sie wolle keinen Einfluss nehmen. Auch dafür darf man ihr nun Respekt zollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren