Camp für Bankenkritiker: Occupy will endlich was besetzen
Bankenkritiker dürfen auf dem Kirchplatz in Mitte bleiben. Doch einige Aktivisten verlangen einen zentralen öffentlichen Platz - und wollen ihn sich notfalls nehmen.
Occupy hat ein Dauercamp - wenn auch nur im Hinterhof. Am Mittwochabend entschied der Gemeindekirchenrat der evangelischen St. Petri - St. Marien-Gemeinde in Mitte, dass das Camp der Bewegung bis auf Weiteres auf dem Kirchhof in der Klosterstraße bleiben darf. Anna Poeschel, Pressesprecherin der Gemeinde, sagte am Donnerstag: "Der Rat hat sich am Ende auf die Tradition der Kirche besonnen, friedlichen Bewegungen einen Raum zu geben, auch wenn man nicht alle Ziele unterstützt." Einige Aktivisten im Camp wollen aber mehr: Sie kündigten an, einen Platz zu besetzen, wenn sie nicht bald ein Angebot vom Land bekommen.
Mit Erlaubnis der Kirche lagern die Aktivisten seit vergangenem Wochenende mit etwa 20 Zelten, bunten Protestschildern und bemalten Schirmen auf der kleinen Grünfläche hinter der Parochialkirche. "Dass wir hier jetzt ein Basislager haben, erleichtert die Arbeit ungemein", sagt Florian Raffel, ein 40-jähriger Software-Entwickler, der in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich auftrat. Aber das reiche nicht. "Wir fordern Klaus Wowereit auf, uns in der Hauptstadt der Politik endlich einen zentralen Platz zu geben, um an der weltweiten politischen Bewegung teilzunehmen."
Am Lagerfeuer des Camps, erzählt Raffel, habe eine "nicht legitimierte Arbeitsgruppe" von 20 bis 25 Kernaktivisten beschlossen, spätestens am 11. November friedlich einen Platz in Mitte zu besetzen, wenn es bis dahin kein Angebot wie den Alexanderplatz oder das Marx-Engels-Forum gebe.
Die Behörden schieben die Zuständigkeit für den Antrag der Occupy-Leute auf ein dauerhaftes Protestcamp seit knapp zwei Wochen hin und her. Während sich das Bezirksamt Mitte nicht für politische Demonstrationen zuständig fühlt, erkennt die Polizei ein Camp bisher nicht als vom Versammlungsschutz gedeckt an. Beide Behörden waren bis Redaktionsschluss nicht zu einer Stellungnahme bereit, ob man sich angesichts des Ultimatums auch Kompromisse vorstellen könne.
Die Bewegung selbst ist uneins, ob eine Besetzung ihr Mittel der Wahl ist. Nach Meinung von Raffel hat die Idee die Unterstützung von "mindestens 60 Prozent der Protestler". Die Stimmung auf der täglichen Asamblea vor dem Reichstag ist am Mittwochabend jedoch angespannt, berichten Teilnehmer. Die Befürworter der Besetzung tragen ihre Idee erstmals vor. Nach dem offiziellen Ende der Versammlung äußern sich unter den 70 bis 80 Aktivisten auf der dunklen Reichstagswiese jedoch auch viele kritische Stimmen. "Die meisten hier wollen eine offizielle Lösung", glaubt Aktivist Johannes Ponader. Die Stimmung kippe aber gerade, "weil sich alle nach einem Camp sehnen", wo die bestehenden 35 Arbeitsgruppen besser inhaltlich arbeiten könnten.
Was ein Camp für die Bewegung bedeuten kann, untermalt am späten Mittwochnachmittag der Besuch von drei Occupy-Aktivisten aus dem Frankfurter Zeltlager. Eine Aktivistin erzählt, die Frankfurter hätten auf der Reichstagswiese nicht nur von der inhaltlichen Arbeit zu Themen wie der Finanztransaktionssteuer berichtet, sondern auch von kulturellen Angeboten, die viele Menschen zum Frankfurter Camp lockten.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer auf ein legales Zeltlager mit genügend Platz zum Arbeiten kommt aus der St. Petri - St. Marien-Kirchengemeinde. "Wir werden die Aktivisten bei der Suche nach einem zentralen Lagerplatz unterstützen", sagt Pressesprecherin Poeschel. "Als Kirchengemeinde hat man ja einige politische und gesellschaftliche Kontakte."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“