CSU, ihre Sprache und Asylpolitik: Aaaaaaaahhhhhh!
Seehofer, Söder und Co. sprechen von „den Menschen“ – um in deren Namen menschenverachtende Politik zu machen. Es ist nur noch zum Schreien.
Es ist so weit. Ich verstehe die AfD-Wähler und die Pegida-Anhänger und die Hass-Trolle im Internet. Ihr Brüllen, ihr Um-sich-Schlagen. Denn seit ein paar Tagen möchte ich nur noch dasselbe machen: brüllen, schreien. Und immer weiterbrüllen. Als ob es das letzte Mittel wäre, um gehört zu werden. Die sogenannte Kluft, von der immer die Rede war, als über die „Sorgen“ der besorgten Pegida-Demonstranten und der Frauen hassenden Trolle im Internet gerätselt wurde, sie tut sich jetzt auf der linken Seite auf. Bei mir.
Weil ich es endlich kenne, das Gefühl: Das ist nicht mein Land, von dem da die Rede ist. Weil Menschen eine Definition von Deutschland und seiner Bevölkerung, von einem Wir, einem Uns festlegen, mit der ich nicht mitgemeint bin.
So also empfinden Menschen, wenn ihre festgemauerte Normalität in ihren Grundfesten wackelt: wenn Nichtweiße sichtbarer Teil ihres Alltags, ihrer Nachbarschaft werden; wenn Frauen auf einmal als Hälfte der Bevölkerung auf der Hälfte an Präsenz und Mitsprache und Wertschätzung beharren; wenn plötzlich behauptet wird, die Welt ist ganz anders, als sie immer dachten. So geht es mir auch: Ich könnte schreien. Weil ich auf einmal von oberster Ebene vereinnahmt werde, als Bürgerin.
Wenn ein Bundesinnenminister meint, „Heimat“ sei politisch steuerbar. Wenn er so tut, als sei zu befürchten, „wir“ müssten „unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche“ aufgeben. Wenn der bayerische Ministerpräsident sagt: „Die Menschen sind tief verunsichert“ und „Sie wünschen sich, dass Deutschland an den Grenzen sicher ist“. Wenn auf einmal Regierungsmitglieder Begriffe und Bilder so selbstverständlich benutzen, als spiegelten sie „unsere“ Normalität: Da werden Rettungsboote der NGOs im Mittelmeer als „Shuttle“ bezeichnet, sie sprechen von „Anti-Abschiebe-Industrie“, reden von „Asyltourismus“ und „Asylgehalt“.
Das Wort „Ankerzentrum“ aus dem Koalitionsvertrag wird mittlerweile auch von Medienkollegen übernommen. Statt zu realisieren, dass das, was da so sonnig harmlos nach Riviera-Urlaub und Yachtclub klingt, Wiedergänger jener Lager sind, die nach dem Zweiten Weltkrieg keiner mehr irgendwo gutheißen sollte, Deutschland erst recht nicht.
Sprecht nicht für mich, verdammte Axt!
Die Sprache jener, die für die Bevölkerung, also dieses „Wir“, sprechen, ist voller brutaler Euphemismen der Morallosigkeit. Und da soll man nicht verzweifeln?
Es ist auch nicht mein Land, das der Stern meint mit seinem schwarz-roten Cover, oben eine Gruppe Flüchtender, anonym im Schattenprofil, unten Merkel, dazu die Zeile: „Das zerrissene Land. Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“. Oder das vom Zeit-Titel desselben Tages in Alarmrot: „Der Fall Susanna F.: Ein Mord, der etwas ändern muss“. Und auch nicht das, welches der Spiegel drei Titelausgaben hintereinander beschwört, die so tun, als drohe die Apokalypse: mit einem Boot voller Flüchtender auf einer tsunamiartigen Welle, mit der Zeile „Endzeit“ über Angela Merkels zur Sanduhr geformten Händen, mit der triefenden Überschrift „Es war einmal ein starkes Land“.
Wenn also diese meinungsbildenden Politiker*innen und Redaktionen sagen: Das ist unser Land, so ist unser Land, dann ist meine einzige Reaktion: Stopp, halt, nein! Ich bin nicht Teil von „den Menschen“, von eurem „Wir“. Sprecht nicht für mich, verdammte Axt! Und prüft mal eure Statistiken!
Die Zahl der Flüchtenden, die zuletzt in Deutschland Asyl beantragt haben, ist doch eh immens gesunken! Und Grenzöffnung – my ass! Wie könnt ihr dieses Wort in den Mund nehmen, wenn ihr vom Schengenraum sprecht? Vor allem, weil ihr damit so tut, als wäre das das wichtigste Thema der Republik. Hört ihr euch eigentlich selbst reden?!
Symptom eines Ohmachtsgefühls
Das Brüllen, es ist das Symptom eines Ohmachtsgefühls. Diejenigen, die im Internet rumkrakeelen oder auf diesen unsäglichen Demos, wo sich die Masse absurderweise in ihrer Ohnmacht bestärkt, sie kennen es. Und ich jetzt auch. Diese Vereinnahmung erinnert mich an einen Moment bei einer der großen Studentendemos gegen Studiengebühren vor zwanzig Jahren.
Es war danach, bei der Schlusskundgebung auf dem Marktplatz. Als da vorne irgendwer am Mikro stand und Dinge sagte, die ich nicht unterschreiben konnte. Aber ich stand da als Teil der klatschenden, johlenden Masse und wirkte von außen wie ein Teil der Zustimmung. Ich habe mich damals aus der Menge geschlängelt. Die Abschlussreden bei Demos meide ich seither aus Prinzip. Aber wegmogeln geht jetzt nicht.
Die Kluft, die Membran, die da auf einmal wächst, ist zu existenziell. Ich fühle mich entfremdet. Nicht im Sinne des Spiegel-Covers vom April mit der Suggestivfrage „Ist das noch mein Land?“, das alles, was Nicht-gartenzwergisch-Doitsch ist, als „das Fremde“ evoziert. Überhaupt, entfremden: Was für ein paradoxes Wort. Das Präfix „ent-“ nimmt üblicherweise etwas weg, die Hülle, die Spannung, die Waffen. Die Wurzeln. Sich zu entfremden hieße also, Vertrautheit herstellen. Lasst uns das mal machen. Aber erst mal brüllend. Laut. Muss ja.
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