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CDU verteidigt TreitschkestraßeDer Antisemitismus der Anderen

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

Die CDU will eine Straße, die nach einem Antisemiten benannt ist, nicht umbenennen. Antisemitismus juckt die CDU nur, wenn er von den Richtigen kommt.

In Steglitz-Zehlendorf sind Straßen noch nach Antisemiten benannt Foto: Jonathan Penschek/dpa

D ie CDU ist eine Partei, die sich gern als harter Hund im Kampf gegen den Antisemitismus aufspielt. „Wir bekämpfen Judenhass und Antisemitismus, auch israelbezogenen Antisemitismus, mit aller Entschlossenheit – immer und überall“, heißt es etwa im Grundsatzprogramm der CDU. Und weiter: „Wir stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden. Wir lassen uns in Deutschland nicht einschüchtern von antisemitischen Gefährdern. Wir kämpfen gegen Gleichgültigkeit, Geschichtsvergessenheit und Relativismus.“

Nun, das mit dem Relativismus ist offenbar eine Auslegungssache. Zumindest für die CDU in Steglitz-Zehlendorf. Dort stellt sich die Partei verbissen gegen die Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße, benannt nach dem Historiker Heinrich von Treitschke (1834-1896), dem Autor der Schrift „Die Juden sind unser Unglück“, das zum Kanon des nationalsozialistischen Antisemitismus gehörte.

Gegen den Vorschlag, die Straße nach Betty Katz zu benennen, die das Jüdische Blindenheim in Steglitz leitete und 1944 in Theresienstadt ermordet wurde, hatte die Berliner CDU-Abgeordnete Claudia Wein zuletzt sogar Posteinwürfe verteilen lassen. Darin wird Treitschke als „einflussreicher Historiker und Publizist“ beschrieben, „auch wenn“ dessen „Ansichten und Rolle in der Geschichte umstritten“ seien. Der Antisemitismus von Treitschke wird nicht erwähnt. Dafür wird der Straßenname als „historisches Dokument“ bezeichnet, „das die Entwicklung unserer Stadt widerspiegelt“.

Das ist schon auf argumentativer Ebene Unsinn. Straßennamen sind eine Würdigung. An­ti­se­mi­t:in­nen diese Ehre zu nehmen, ist keine Geschichtsvergessenheit. Im Gegenteil: Die CDU relativiert Antisemitismus, wenn sie dafür kämpft, dass An­ti­se­mi­t:in­nen weiter als Teil des historischen Kanons gelten dürfen. Und wer sagt denn, dass der Antisemit Treitschke wichtiger für die deutsche Geschichte gewesen ist als eine Betty Katz?

Anti-Antisemitismus, wenn es nicht zu anstrengend ist

Nun ließe sich schlussfolgern, bei der CDU in Steglitz-Zehlendorf sitzen heimliche Treitschke-Verehrer:innen und Antisemit:innen. Das wäre vermutlich ebenfalls eine zu einfache Erklärung. Den Konservativen dürfte es nicht wirklich darum gehen, die Würdigung eines glühenden Antisemiten zu verteidigen, sondern vielmehr darum, einigen Be­woh­ne­r:in­nen der Treitschkestraße zu gefallen, die sich offenbar vor dem bürokratischen Aufwand fürchten, den eine Straßenumbenennung mit sich bringen kann.

Also alles halb so schlimm? Nein. Denn die Causa Treitschkestraße spricht trotzdem Bände darüber, was dieser Anti-Antisemitismus genau ist, den man in der CDU und darüber hinaus so pathetisch vor sich herträgt. Allzu belastbar ist er jedenfalls offensichtlich nicht, wenn schon ein bisschen bürokratischer Aufwand als zu viel verlangt gilt, um die öffentliche Würdigung eines Judenhassers zu beenden. Das allein sagt schon viel über die Natur des Kampfes gegen Antisemitismus aus, den sich die Union auf die Fahnen geschrieben hat.

Und dann ist da eben noch dieses andere Argument: das der deutschen Geschichte und Tradition. Die zu erhalten, ist den Konservativen naturgemäß wichtig. Und man mag es eben gar nicht, wenn irgendwelche überkorrekten Gutmenschen ankommen, und die schöne deutsche Geschichte und ihre Traditionen besudeln. Kritisches Reflektieren und Aufarbeiten des deutschen Antisemitismus? Bei der CDU in Steglitz-Zehlendorf jedenfalls Fehlanzeige.

Das Problem reicht über Steglitz-Zehlendorf hinaus. Es sei nur an die Reaktionen aus der Union auf die Affäre des Freie-Wähler-Chefs Hubert Aiwanger erinnert, der in seinen Schultagen Flugblätter mit Holocaust-Witzen herumtrug. Nicht schön sei das gewesen, aber doch bloß eine „Jugendsünde“, wie Aiwangers Bruder damals sagte. Die Union forderte erst ein wenig Aufklärung, akzeptierte dann hurtig das Narrativ, es sei der Bruder gewesen – und die CSU koalierte munter weiter mit den Freien Wählern. Aiwanger musste nicht mal seinen Posten räumen.

Quelle deutschen Nationalstolzes

Wie passt das zusammen: die Kampfansage an den Judenhass einerseits, das Feste-alle-Augen-Zudrücken im eigenen Lager andererseits? Sinn ergibt das nur, wenn man die These ernst nimmt, dass der Anti-Antisemitismus der CDU in erster Linie überhaupt nicht auf den Schutz jüdischen Lebens bezogen sein könnte, sondern vor allem ein Identifikationsangebot für die Deutschen selbst ist. Anti-Antisemitismus ist in der CDU-Ideologie schließlich eine Quelle deutschen Nationalstolzes, das Fundament eines neuen deutschen Patriotismus – und damit eben in erster Linie etwas, was die Deutschen von den Anderen abgrenzt.

So ist der Satz „Wir lassen uns in Deutschland nicht einschüchtern von antisemitischen Gefährdern“ zu verstehen: Da sind die Antisemiten auf den Straßen und in den Schulen und im Internet, aber das sind keine Deutschen, denn Deutsche stehen gegen Antisemitismus zusammen. Dementsprechend darf es auch keinen deutschen Antisemitismus geben. Und wenn sie doch Deutsche sind, die Antisemiten, dann wird entweder kaschiert (bei „Bio“-Deutschen) oder mit Ausbürgerung gedroht (bei Migrationshintergrund). Antisemitismus, das ist immer der Antisemitismus der Anderen.

Es ist eine Logik, die letztlich auf die Wiedergutmachungspolitik der Adenauer-Regierung gegenüber dem neu gegründeten Staat Israel zurückreicht und die sich heute im Mantra der „Staatsräson“ und der bedingungslosen Unterstützung Israels zeigt – beides dient vor allem der nationalen Entlastung vom Holocaust, nicht dem Schutz jüdischen Lebens. In dieser Logik können sogar jüdische Menschen Antisemiten sein, weil sie etwa antizionistische Positionen vertreten – und damit das Konstrukt deutscher Selbstentlastung gefährden.

Und so wird Anti-Antisemitismus in der CDU zu einem Instrument autoritärer Politik. Antisemitismus wird auf „die Anderen“ ausgelagert, derzeit insbesondere auf das Kollektiv der Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und alle, die sich mit ihnen solidarisieren. Effektiv schadet dieser Anti-Antisemitismus damit dem wirklichen Kampf gegen den grassierenden Judenhass, den es sowohl unter deutschen Israel-Unterstützer:innen als auch in der Palästina-Bewegung gibt. Aber wenigstens haben die Be­woh­ne­r:in­nen der Treitschkestraße einen Behördengang weniger.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bezirksverordnetenversammlung in Steglitz-Zehlendorf ihren Beschluss, die Straße umzubenennen, auch gegen den Widerstand der CDU durchsetzt.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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